Wer den Tod nicht scheut

Ein Punktum
Foto: privat
Der Seitenstreifen ist inzwischen fast völlig abgewaschen. Und der Lack ist ziemlich stumpf. Aber ab ist er nicht, der Lack, keineswegs.

Seit dreizehn Jahren gehe ich oder radle ich morgens denselben Weg. En passant registriere ich alle Veränderungen. Die Häuser immerhin stehen noch. Sie stehen auch für Kontinuität. Mobilien hingegen kommen und fahren dahin. Eine aber ist noch da. Ein Auto-Mobil, ein Wagen. Schon um die Jahrtausendwende nicht mehr der Jüngste, parkt er immer in der nämlichen Straße. Nie sah ich ihn in Aktion, aber mal steht er hier, mal da - Beweis seiner Fahrtüchtigkeit. Es handelt sich um einen Ford Fiesta. Weiß, mit breitem blauem Seitenstreifen. Aufgefallen war er mir, weil ich selbst einmal ein solches Exemplar gefahren hatte. Das muss in den Achtzigern gewesen sein. Der Klang seines Diesels ist mir noch im Ohr: das beruhigende, irgendwie gemütliche Tuckern eines alten Treckers.

Begegne ich also diesem noch existierenden Doppelgänger meines alten Ford Siesta (sic!), dann, nun ja ... weiß ich nicht so recht, was es bedeutet ...

Der Seitenstreifen ist inzwischen fast völlig abgewaschen. Und der Lack ist ziemlich stumpf. Aber ab ist er nicht, der Lack, keineswegs. Dieses Auto ist ganz offenkundig bereit und in der Lage, noch so manches Jahr die Welt zu durchgondeln und dies zu genießen. Wenn es nicht gerade ruht, ich meine: parkt. - Übrigens: Jetzt bitte keine Küchenpsychologie, etwa in dem Sinne, ich würde in dieser alten Karre irgendwie mein alter ego sehen oder so. Das wäre Unfug.

Obwohl. Irgendwie spielen die Automobile vergangener Tage schon eine Rolle. Besonders die aus Jugendtagen. Verständlich! Was hat man mit diesen Verflossenen nicht alles erlebt! Gewiss, sie sind unwiderruflich Vergangenheit ... aber die Erinnerungen! Ich will ein Beispiel nennen: Ein sommerlicher Wolkenbruch überforderte einmal die Scheibenwischer meines Autos ... es muss im Jahre ...

Aber zuvor sollte ich wohl berichten, was für ein Auto das war: Ein Lloyd Alexander TS, 26 PS, querliegender Zweizylinder-Motor, Stahlkarosserie (also kein Leukoplast-Bomber) Vorderradantrieb, Schräglenker-Hinterachse, Stoffschiebedach, Liegesitze (!). Männliche Leser werden diese Hinweise goutieren.Wenn ich dieses Fahrzeug zur Reparatur in irgendeine Hinterhofwerkstatt brachte - das kam oft vor -, hieß es unweigerlich: "Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd!" Der Spruch störte mich nicht. Eher im Gegenteil. Er verlieh meinem Gefährt(en) und mir so etwas wie den ironisch gebrochenen Hauch eines Camus-Existentialismus, der uns, wie ich fand, gut zu Gesicht stand ...

Aber leider ist die Seite schon wieder voll. Wissen Sie was? Die Geschichte mit dem Wolkenbruch erzähle ich ein andermal.

Helmut Kremers

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