Starker Fürsprecher auf der Weltebene
zeitzeichen: Herr Generalsekretär Tveit, viele Kirchen haben sich auf der Weltebene zusammengeschlossen, zum Beispiel die lutherischen im Lutherischen Weltbund und die reformierten in der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen. Diese Weltbünde pflegen Kontakte mit anderen Kirchenbünden und dem Vatikan. Warum ist neben dieser bilateralen Ökumene noch der Weltkirchenrat nötig?
Olav Fykse Tveit: Das ist eine typisch deutsche Frage. Und es könnte auch eine typisch norwegische Frage sein. Der Weltkirchenrat ist eine Gemeinschaft von 350 Mitgliedskirchen verschiedener Konfession. Er will unter ihnen Verbindungen herstellen und pflegen. Gäbe es nur die von Ihnen erwähnten Konfessionsfamilien, würde der gemeinsame Ort fehlen, an dem konfessionsverschiedene Kirchen zusammenkommen, miteinander beten und feiern, gemeinsame Aktionen diskutieren und planen. Die von Ihnen angesprochene bilaterale Ökumene ist für die multilaterale Ökumene, für den Weltkirchenrat, sehr wichtig. Aber wenn sich die Ökumene in bilateralen Beziehungen und Dialogen erschöpfen würde, würde der Ökumene die Weite fehlen. Das sage ich als Lutheraner, der aus einer Kirche kommt, die sowohl dem Lutherischen Weltbund als auch dem Weltkirchenrat angehört. Die Generalsekretäre der konfessionellen Weltbünde treffen sich einmal im Jahr. Da bin auch ich dabei, und vertreten sind ebenfalls der päpstliche Einheitsrat und die Evangelische Weltallianz. Bei diesen Treffen spüre ich immer die starke Erwartung an den Weltkirchenrat, die verschiedenen Konfessionen und ihre Weltbünde zusammenzubringen und Impulse für das gemeinsame Zeugnis der Kirchen zu geben.
Noch eine Frage, die in Ihren Ohren möglichweise sehr deutsch klingt: Der Weltkirchenrat hat 350 Mitgliedskirchen, und ihre Zahl dürfte noch zunehmen. Kann eine solch riesige internationale Organisation effizient arbeiten?
Olav Fykse Tveit: Wir, der Genfer Stab, arbeiten ja nicht nur mit den einzelnen Mitgliedskirchen zusammen, sondern auch mit den Nationalen und Regionalen Christenräten, in denen sich die Kirchen eines Landes oder einer Region zusammengeschlossen haben. Außerdem haben viele der Kirchen gemeinsame Interessen, so dass die Prozesse zwar komplex sind, aber überschaubar bleiben.
Aber bei den Vollversammlungen des Weltkirchenrates kommen tausende Delegierte zusammen. Wäre es nicht sinnvoller, die konfessionellen Weltbünde würden korporativ Mitglieder des Weltkirchenrates. Dann würde zum Beispiel der Lutherische Weltbund en bloc für seine Mitgliedskirchen abstimmen, und bei Reformierten, Methodisten, Baptisten und Anglikanern wäre es genauso.
Olav Fykse Tveit: Aber diese Vorstellung passt nicht in die Wirklichkeit. Es könnte vielleicht noch bei Lutheranern und Reformierten funktionieren. Aber was wäre mit den Orthodoxen, die sich nicht immer auf eine Position einigen können? Und wo blieben die unabhängigen Kirchen Afrikas, die sich keiner Konfessionsfamilie zugehörig fühlen? Nein, ich halte es für wichtig, dass dem Weltkirchenrat Einzelkirchen angehören und dass er so die Vielfalt der Christenheit repräsentiert.
Die Effizienz der Arbeit hängt ja auch davon ab, wie Gremien Entscheidungen treffen. In den meisten Synoden gilt in der Regel das Mehrheitsprinzip. Aber im Weltkirchenrat ist das anders. Auf Druck der Orthodoxen wurde das Konsensprinzip eingeführt. Das heißt doch, eine Minderheit kann, wenn sie will, Entscheidungen blockieren. Und somit sind eindeutige Beschlüsse, die zumindest manchmal nötig sind, ausgeschlossen.
Olav Fykse Tveit: Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass das Konsensprinzip nicht allein wegen der orthodoxen Kirchen eingeführt wurde, sondern gerade auch die Erfahrung mit der Vielfalt der Kirchen dafür gesprochen hat. Im Übrigen gibt es klare Regeln für den Konsensprozess. Dazu gehört, dass keine Mitgliedskirche ein Vetorecht besitzt. Und jede Mitgliedskirche kann beantragen, dass über einen Antrag abgestimmt wird. Dazu kommt es, wenn es 85 Prozent der Abstimmungsberechtigten wollen.
Das heißt, 85 Prozent der Kirchen könnten entscheiden, dass an einem bestimmten Punkt das Mehrheitsprinzip gilt.
Olav Fykse Tveit: Dabei muss man wissen, dass den Orthodoxen in den Gremien des Weltkirchenrates 25 Prozent der Teilnehmer zusteht. Die 85-Prozent-Regel bedeutet demnach, dass 10 Prozent der Orthodoxen einem Antrag auf Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip zustimmen müssen. So wird gewährleistet, dass die Orthodoxen nicht einfach von der Mehrheit der nichtorthodoxen Kirchen überstimmt werden.
Ende der Neunzigerjahre sind zwei orthodoxe Kirchen aus dem Weltkirchenrat ausgetreten, die bulgarische und die georgische. Die Russisch-Orthodoxe Kirche, die größte orthodoxe Kirche, gehört dagegen dem Weltkirchenrat noch an. Wie gestaltet sich ihre Mitarbeit?
Olav Fykse Tveit: Ich habe das Gefühl, dass die von Ihnen angesprochene Krise hinter uns liegt. Dazu hat auch das Konsensprinzip bei Entscheidungen beigetragen. So müssen die Orthodoxen keine Angst mehr haben, überstimmt und im Weltkirchenrat marginalisiert zu werden. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass die orthodoxen Kirchen sehr verschieden sind. Da gibt es auf der einen Seite die Russisch-Orthodoxe Kirche und die orthodoxen Kirchen Osteuropas, die sich seit dem Fall des Eisernen Vorhangs rasant entwickelt haben. Und wiederum ganz anders ist die Lage der orientalisch-orthodoxen Kirchen.
Wie haben sich die orthodoxen Kirchen denn entwickelt?
Olav Fykse Tveit: Die Russisch-Orthodoxe Kirche spielt in Russland ja eine starke gesellschaftlich-politische Rolle. Das ist bei der syrisch-orthodoxen Kirche in Syrien natürlich ganz anders. Außerdem sind eigentlich alle orthodoxen Nationalkirchen nicht mehr auf bestimmte Staaten begrenzt. Vielmehr sind sie mittlerweile, auch als Folge von Migration, weltweit verbreitet. Ja, manche haben sogar mehr Mitglieder im Ausland als in ihrem Ursprungsland. Und das ändert natürlich die Perspektive.
In den Siebzigerjahren haben engagierte Protestanten in Deutschland gewusst, was der Weltkirchenrat ist. Denn damals hat er durch den Sonderfonds des Anti-Rassismus-Programms Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika unterstützt. Das hat zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. Seit langem ist es um den Weltkirchenrat ruhig geworden, und in Deutschland haben von ihm selbst viele Pfarrerinnen und Pfarrer nur vage Vorstellungen. Was kann der Weltkirchenrat tun, um wenigstens unter aktiven Kirchenmitgliedern bekannter zu werden?
Olav Fykse Tveit: Das ist auch meine Frage (lacht). Sie bewegt mich jeden Tag. Natürlich dürfen Sie nicht vergessen, dass der Weltkirchenrat und auch die Konferenz Europäischer Kirchen bis zum Fall der Berliner Mauer außerordentlich wichtig für die Kirchen im geteilten Deutschland waren. Aber da hat sich nach 1989 viel geändert. Und wenn Sie den Vergleich mit den Siebzigerjahren anstellen, vergessen Sie bitte nicht, dass der Genfer Stab damals an die vierhundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatte, und heute sind es nur noch rund hundert. Eine Frage, die sicher auch die Zehnte Vollversammlung des Weltkirchenrates bewegen wird, die Ende Oktober, Anfang November in Busan in Südkorea tagt, ist: Wie kann unsere Arbeit an Bedeutung gewinnen, für die Ortsgemeinden und Nationalkirchen und in der Weltpolitik? Der Weltkirchenrat wird dann an Bedeutung gewinnen, wenn zum Beispiel die Kirche in meinem Heimatland Norwegen, die Kirchengemeinde, deren Pfarrer ich einmal war, den Eindruck gewinnen: Über den Weltkirchenrat können wir Diskussionen über Probleme beeinflussen, die nicht in lokalem und nationalem Rahmen gelöst werden können. Dazu zählen zum Beispiel Umweltfragen. Und der Weltkirchenrat gewinnt auch an Bedeutung, wenn eine Ortsgemeinde und eine Nationalkirche merken, dass sie von ihm Impulse und Perspektive bekommen. Ich denke hier zum Beispiel an den interreligiösen Dialog und die Frage der Geschlechtergerechtigkeit. In den Siebzigerjahren wurde die Verbindung zwischen Ortsgemeinden und Nationalkirchen mit dem Weltkirchenrat durch die Verbreitung von Papieren hergestellt und Artikel, die hier und dort in einer Tageszeitung erschienen. Aber das ist im Internetzeitalter anders.
Und was bedeutet das für den Weltkirchenrat?
Olav Fykse Tveit: Wir müssen unsere Rolle im neuen Kommunikationszeitalter noch finden. So überlegen wir zur Zeit, wie wir es hinbekommen, dass nicht nur die Delegierten verfolgen können, was bei der Vollversammlung in Busan passiert, sondern auch Außenstehende. Insgesamt haben die Verbesserung und der Ausbau der elektronischen Kommunikation zwischen dem Weltkirchenrat und seinen Mitgliedskirchen in meiner Agenda einen hohen Stellenwert.
Dass bedeutet doch auch, dass Sie die Internetabteilung in Genf verstärken müssen, oder?
Olav Fykse Tveit: Darüber diskutieren wir intensiv. Möglichweise wird es zu einer Verlagerung der Ressourcen kommen.
Auch wenn sich seit den Siebzigerjahren eine Medienrevolution vollzogen hat, der Weltkirchenrat war damals auch deswegen bekannt, weil er sich auf ein Thema konzentriert hat, die Apartheid in Südafrika. Darüber konnte jeder mitreden. Über die Kirchen hinaus erregten sich die Leute, und es gab hitzige Diskussionen. Und das weckte das Interesse der Medien. Welches Thema könnte, ja müsste der Weltkirchenrat heute herausstellen?
Olav Fykse Tveit: Ich sehe viele Themen. Aber wir setzen natürlich Prioritäten. Der Weltkirchenrat muss in Fragen der Gerechtigkeit, des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung als starker Fürsprecher auf der Weltebene auftreten, auch gegenüber internationalen Gremien und Organisationen. Für die Vollversammlung dieses Jahr in Korea wurde als Schwerpunkt ein Pilgerweg der Kirchen für Gerechtigkeit und Frieden vorgeschlagen. Als Vertretung eines wichtigen Teils der Christenheit, von 560 Millionen Christen, hat der Weltkirchenrat die Aufgabe, auf der Weltebene die Beziehungen zu anderen Religionen zu pflegen, Gespräche und gemeinsame Aktionen anzuregen. Dann möchte ich ein Konzept weltweiter christlicher Solidarität entwickeln. Und der Weltkirchenrat kann auch bei Konflikten zwischen Christen und Muslimen vermitteln, so wie er es in Nigeria getan hat.
Das heißt, weil der Weltkirchenrat in Genf sitzt und sozusagen von außen kam, konnte er von den Muslimen in Nigeria eher akzeptiert werden als Christen, die in der Nachbarschaft wohnen?
Olav Fykse Tveit: Genau. Es geht auch um die Frage, wie der Weltkirchenrat etwas für eine bedrängte Kirche tun kann, indem er eine Plattform für das Gespräch mit anderen zur Verfügung stellt und Impulse für gemeinsame Projekte zum Aufbau einer gerechteren Gesellschaft gibt. Christliche Solidarität muss aus meiner Sicht stark vom Kreuz her gedacht werden. Das bedeutet, dass Christen und Kirchen auf der ganzen Welt nicht nur beieinander bleiben, wenn sie erfolgreich sind, sondern dass sie das Kreuz, das diesen und jenen Menschen, der einen und der anderen Kirche auferlegt ist, gemeinsam tragen.
Alle deutschen Landeskirchen gehören dem Weltkirchenrat an. Was erwarten Sie von ihnen?
Olav Fykse Tveit: Die deutschen Kirchen tragen finanziell sehr viel zum Weltkirchenrat bei. Aber wir wollen nicht nur finanzielle Beiträge. Schon jetzt haben die deutschen Vertreterinnen und Vertreter im Zentralausschuss sich sehr für den Pilgerweg für Gerechtigkeit und Frieden als Priorität eingesetzt. Bei den deutschen Kirchentagen beeindruckt mich immer, wie ernsthaft über die Ökumene diskutiert wird. Aber wir sollten gemeinsam überlegen, wie Themen des Weltkirchenrates, sowohl auf der Ebene der Ortsgemeinden wie der Landeskirchen, stärker diskutiert werden können. Aber natürlich müssen wir Projekte so entwickeln und darstellen, dass deutlich wird, warum der Weltkirchenrats wichtig ist.
Das heißt auch, die Kommunikation zwischen Genf und Deutschland müsste verstärkt werden, oder?
Olav Fykse Tveit: Das gewinnt an Bedeutung, weil eine Generation von Kirchenleuten, die sich im und für den Weltkirchenrat engagiert hat, in den Ruhestand tritt. Ich hoffe, dass die ökumenische, weltweite Dimension der Kirche auch der nachwachsenden Generation bewusst und wichtig ist und sie sich im Weltkirchenrat einbringt.
Sehen Sie denn ein nachlassendes Interesse an der weltweiten Ökumene?
Olav Fykse Tveit: Ich habe den Eindruck, dass sie an den theologischen Fakultäten keine so große Rolle spielt wie in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Heute werden dort eher interreligiöse Fragen diskutiert. Doch auch wenn sich das Bewusstsein nicht leicht ändern lässt, die weltweite Dimension der Kirche, die lokale, nationale und konfessionelle Grenzen übersteigt, sollte nicht nur ein Anliegen von Spezialisten sein, sondern von allen Kirchenmitgliedern.
In vier Jahren steht in Deutschland ein Ereignis bevor, das internationale Bedeutung hat, das Reformationsjubiläum. Wird sich der Weltkirchenrat beteiligen?
Olav Fykse Tveit: Sicher - wenn wir eingeladen werden (lacht).
Das ist eine kurze prägnante Antwort.
Olav Fykse Tveit: Wir haben darüber mit Vertretern der EKD und des Lutherischen Weltbundes gesprochen. Die Kommission des Weltkirchenrates für "Glaube und Kirchenverfassung" möchte 2017 eine Weltkonferenz zum Thema "Erneuerung" veranstalten. Das hat den Vorteil, dass nicht nur protestantische Kirchen, sondern alle Kirchen über ein Thema diskutieren können, das einen Bezug zur Reformation hat. Und wir blicken nicht nur auf die Geschichte zurück, sondern nehmen Fragen auf, die für die Kirchen heute und in Zukunft wichtig sind. Ich hoffe darüber hinaus, dass das Reformationsjubiläum eine wirklich ökumenische, weltweite Dimension bekommt, nicht nur eine deutsche und auch nicht nur eine weltweit lutherische. Schließlich hat die Reformation, die in Deutschland begann, alle Kirchen beeinflusst, selbst die nichtevangelischen. Natürlich kann man nicht einfach nur feiern. Denn schließlich hat die Reformation auch Kirchenspaltungen und Kriege bewirkt. Aber feiern sollten wir, dass sie ein neues, tieferes Verständnis des Evangeliums ermöglicht hat, die Einsicht, dass das Evangelium die Kirche schafft und immer wieder erneuert. Aber in dieser Grundeinsicht sind sich alle Kirchen einig, wie die bisherigen ökumenischen Dialoge gezeigt haben.
Sie kommen aus Norwegen, einem Land, das fast überwiegend lutherisch ist. Wie kommt es, dass Sie sich ökumenisch engagiert haben?
Olav Fykse Tveit: Als junger Mann war ich mit Pfingstlern befreundet. Dann habe ich in Oslo in einer sehr lutherischen Institution studiert und ein Semester in der damaligen theologischen Akademie Celle, einer ebenfalls lutherischen Institution. In Deutschland habe ich die ökumenische Auslegung neutestamentlicher Texte kennengelernt. Und ich habe begriffen, dass ich den Römerbrief nicht nur evangelisch lesen kann. Um ihn wirklich zu verstehen, muss ich ihn gemeinsam mit anderen lesen und auslegen. Nach meinem Studium bin ich Pfarrer auf einer kleinen Insel geworden, wo es nur Lutheraner gab. Wenn man Pfarrer auf einer Insel ist, ist man ganz nah bei den Leuten, aber zugleich wird man sich bewusst, dass man von anderen Menschen abhängig und mit ihnen verbunden ist, auf dem Festland und darüber hinaus. Auf die Kirche übertragen heißt das, sie ist lokal und zugleich Teil einer weltweiten Gemeinschaft. Damals habe ich die Katholizität der Kirche begriffen. Und als mich der Ökumenedezernent der Norwegischen Kirche angerufen und mir angeboten hat, dort als theologischer Berater mitzuarbeiten, habe ich das als Ruf, als meine Berufung empfunden. So ist Ökumene zu meiner Leidenschaft geworden.
Sie sind lutherischer Theologe, norwegischer Lutheraner, was noch einmal etwas Besonderes ist. Wenn Sie jetzt auf Ihre ökumenische Arbeit zurückblicken, in Norwegen und seit vier Jahren beim Weltkirchenrat in Genf, wie haben Sie sich verändert?
Olav Fykse Tveit: Ich bin ökumenischer geworden - und lutherischer.
Inwiefern lutherischer?
Olav Fykse Tveit: Ich habe besser verstanden, was für ein Schatz die lutherische Tradition, das lutherische Verständnis des Christentums birgt. Ich denke an die Bedeutung des Kreuzes, die ich vorher skizziert habe, und ein Verständnis des Evangeliums, in dem deutlich wird: Kirche verdankt sich nicht sich selbst, menschlichen Anstrengungen, sondern ist Gabe Gottes, Geschöpf seines Wortes.
Und inwiefern sind Sie ökumenischer geworden?
Olav Fykse Tveit: Ich habe durch Begegnungen mit Orthodoxen, Anglikanern und römischen Katholiken ein tieferes Verständnis für die Liturgie als Ausdruck unseres Glaubens entwickelt. Es geht dabei ja nicht nur um die Gestaltung des Gottesdienstes, sondern auch um unsere Lebensweise als Christinnen und Christen. Mir ist klar geworden, dass unser Abendmahl nicht nur eine Erinnerung an das Abendmahl Jesu und seiner Jünger ist, sondern Eucharistie, gemeinsame Danksagung der Gemeinde. Und es gibt eine enge Verbindung des himmlischen und des irdischen Brotes. Das erstere ist nicht ohne das letztere zu haben. Wenn wir das himmlische Brot miteinander teilen, müssen wir auch das irdische miteinander teilen. Das ist eine in einem sehr weiten Verständnis katholische Perspektive.
Ja, die Verbindung von Eucharistie und sozialem Engagement spielt gerade im Anglokatholizismus, dem katholischen Flügel der anglikanischen Kirche, eine wichtige Rolle.
Olav Fykse Tveit: Wichtig sind auch Eindrücke, die ich bei Begegnungen mit armen und bedrängten Kirchen gewonnen habe. Da ist mir klar geworden, was es heißt, Kirche unter dem Kreuz zu sein. Gerade solche Kirchen erweisen sich nicht als schwache, sondern als starke Kirchen, Kirchen, die ein starkes Glaubenszeugnis ablegen.
In der Geschichte des Weltkirchenrates hat es immer wieder Spannungen gegeben zwischen dem Genfer Stab einerseits und den Mitgliederkirchen andererseits. Verstehen Sie sich und den Genfer Stab als Ausführungsorgan der Mitgliedskirchen, oder wollen Sie auch Leadership ausüben und Impulse geben?
Olav Fykse Tveit: Wir haben unser Mandat natürlich von den Mitgliedskirchen bekommen. Aber dieses Mandat schließt ein, den Mitgliedskirchen Impulse zu geben für das, was sie gemeinsam machen können und welche Unterstützung die einen Kirchen von den anderen brauchen. Wir sind dazu da, die Gemeinschaft der Kirchen untereinander und ihr gemeinsames Zeugnis in der Welt zu stärken.
Der Stab der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen hat das teure Genf verlassen und ist in die Eurozone, ins billigere Hannover umgezogen. Ist das ein Vorbild für den Weltkirchenrat?
Olav Fykse Tveit: Nein.
Der Weltkirchenrat wird also in Genf bleiben.
Olav Fykse Tveit: Ja.
Und warum?
Olav Fykse Tveit: In Genf sitzen wichtige internationale Organisationen, zum Beispiel die UNO. Der Weltkirchenrat sollte schon deswegen hier bleiben, wenn er zur Weltpolitik etwas beitragen möchte. Ich bedauere, dass die reformierte Weltgemeinschaft weggezogen ist, und ich begrüße es, dass der Lutherische Weltbund bleibt. Denn es ist auch im Internetzeitalter wichtig, sich regelmäßig zu sehen, wenn man miteinander etwas bewirken will. Und wie wichtig ich die konfessionellen Weltbünde für den Weltkirchenrat halte, habe ich ja schon zu Beginn unseres Gespräches gesagt.
Das Gespräch führten Kathrin Jütte und Jürgen Wandel am 13. März in Genf.
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Olav Fykse Tveit