Selbstreflexion

Zur Weitergabe des Glaubens
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Ein Buch, das für katholische Lesende als Selbstreflexion der eigenen Kultur und für evangelische Lesende als Einblick in die Kultur der Glaubensgeschwister erhellend und lesenswert ist.

Die Situation der großen Kirchen in der Gegenwart ist in den vergangenen Jahren vielfach sowohl aus theologischer als auch aus soziologischer Perspektive analysiert worden. Das Besondere dieses Buches liegt in der Perspektive des Autors: Franz-Xaver Kaufmann schreibt als Vertreter der "methodisch areligiöse[n] Wissenschaft" Soziologie, gleichzeitig schreibt er als engagierter Katholik. Den Fokus seines Buches legt er auf die Frage, wie die (katholische) Kirche von der gesellschaftlichen Situation der Spätmoderne beeinflusst wird und wie sie sich darin verhält und begreift.

Diese aktuellen Entwicklungen sind nach Kaufmann nicht zu verstehen ohne das Wissen um die Reaktion der Kirche auf die beginnende Moderne im 19. und 20. Jahrhundert. Die Kirche nahm dabei eine "Sakralisierung" der Organisationsstrukturen vor, was faktisch eine stärkere Hierarchisierung und Zentralisierung der Kirche einschließlich einer Stärkung der Ämter (auch des Papstamtes) und eine stärkere Abgrenzung zur Gesellschaft sowie die Förderung einer katholischen Teilgesellschaft bedeutete. Spätestens seit den Sechzigerjahren, in der "entfalteten Moderne" mit dem gesellschaftlichen "Verlust der Zentralperspektive", funktioniert dieses Konzept nicht mehr, und es "tendiert aus soziologischer Sicht die Chance, die Auffassung von Kirche als sakraler Hierarchie in einer modernen Kultur glaubwürdig zu halten, gegen Null".

Dies wird nun in vierzehn Kapiteln recht unterschiedlich ausgeführt. Die ersten drei Kapitel konzentrieren sich auf die theoretische Analyse des komplexen Verhältnisses von (katholischer) Kirche und Moderne, einschließlich des Beitrags, den das Christentum zur Entstehung der Moderne geleistet hat, der "Verkirchlichung" des Christentums sowie der Tatsache, dass die Kirche an den Ambivalenzen der Moderne teilhat. In diese Analyse fügt sich das Zweite Vatikanische Konzil als "Modernisierung des Katholizismus" ein, das Kaufmann - auch und vielleicht besonders für die evangelische Leserin - in ausgezeichneter Weise kompakt darstellt. Nach einem Blick auf die Globalisierung als Teil der Modernisierung mit allgemeinen Überlegungen zum Religionsbegriff widmet er sich dann stärker kircheninternen Perspektiven: den verschiedenen Aspekten der "Kirchenkrise" als "Missbrauchskrise", "pastorale Krise", "strukturelle Krise" und "Glaubenskrise" und - für ein soziologisches Buch überraschend - dem Umgang mit Sünde in der Kirche. Hier wird dann der soziologische Rahmen zugunsten theologischer Überlegungen deutlich verlassen. Auch die anschließenden Überlegungen zu "Kirche als Lehr- und Lerngemeinschaft" wirken wie soziologisch informierte praktisch-theologische Überlegungen - was dem Buch nicht schadet, aber dem Autor immer wieder Bemerkungen zu seiner Rolle abnötigt.

Kapitel neun beleuchtet den römischen Zentralismus näher und vertieft dies am Beispiel der Bischofskonferenzen, bevor das elfte Kapitel dann die Frage stellt, ob und warum Theologie an der staatlichen Universität angesiedelt ist. Die drei letzten Kapitel wenden schließlich den Blick stärker in die Zukunft und nehmen eine handlungsorientierte Perspektive mit einem stärker kirchenpolitischen Charakter ein, in dem sich Kaufmann als progressiver katholischer Christ mit klarem theologischen Profil zeigt. Hier wird auch endgültig deutlich, dass eines seiner zentralen Anliegen die Frage der Weitergabe des Glaubens ist: Wie kann es in dieser gesellschaftlichen Situation und mit diesem Erbe gelingen, dass Menschen auch in Zukunft den christlichen Glauben als plausibel und lebensrelevant erfahren - und welche kirchlichen Sozial- und Organisationsformen sind dafür erforderlich?

Das Buch ist für katholische Lesende als Selbstreflexion der eigenen Kultur und für evangelische Lesende als Einblick in die Kultur der Glaubensgeschwister erhellend und lesenswert, erfordert jedoch die Bereitschaft, sich auf eine verständliche Wissenschaftssprache, auf relativ komplexe Zusammenhänge und manche Redundanzen einzulassen.

Franz-Xaver Kaufmann: Kirche in der ambivalenten Moderne. Herder-Verlag, Freiburg 2012, 370 Seiten, Euro 22,-.

Uta Pohl-Patalong

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