In weiter Ferne

Israelische Soldaten reden
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Die Soldaten, die sich diesen Interviews stellten, haben eines gemeinsam: Sie haben sich von ihren Erlebnissen berühren lassen...

"Eine Kleinigkeit nur, aber sie hat mich schockiert: Es gab da ein Haus, das sie gerade zerstört hatten. Es gibt einen Waffensuchhund, aber den haben sie nicht geholt, sie haben einfach das Haus zerstört. Die Mutter steht an der Seite und schaut zu und weint, die Kinder saßen bei ihr und haben sie gestreichelt." Einer von 146 ehemaligen israelischen Soldaten, die in diesem Buch anonym über ihre eigenen Erfahrungen als Besatzer im Westjordanland berichten - es erschien 2010 in Israel, im vorigen Jahr in Deutschland.

Die Soldaten, die sich diesen Interviews stellten, haben eines gemeinsam: Sie haben sich von ihren Erlebnissen berühren lassen. Oft erst im Nachhinein, mancher hatte zunächst zu denen gehört, denen es so richtig Spaß machte, einmal so richtig brutal sein zu dürfen und dabei auch über das offiziell Erlaubte hinauszugehen - in der Gewissheit, dass die Vorgesetzten schon wegschauen würden, solange kein Journalist in der Nähe war.

Die Innensicht, die die Soldaten liefern, bietet den Eindruck eines Besatzungsregimes zwischen planmäßiger und willkürlicher, aber kaum sanktionierter Schikane. Selbst wenn man alle dem nüchternen Realismus geschuldeten Abstriche schon gemacht hat, bleibt ein deprimierender Resteindruck: Diese Besatzungspolitik ist ersichtlich nicht auf Frieden und Verständigung ausgerichtet.

Israel hält das Westjordanland seit dem Sechstagekrieg im Jahre 1967 besetzt. Seitdem ist der Nahostkonflikt eine unendliche Tragödie von Gewalt und Gegengewalt. Gewiss stand Israel immer unter der Vernichtungsdrohung durch seine Gegner. Doch wie immer man die Chronologie der Auseinandersetzung akzentuiert und gewichtet, Tatsache bleibt, dass alle Hoffnungen auf einen ausgleichenden Frieden immer wieder im Nichts endeten.

Was die Zwei-Staaten-Lösung angeht, so rückt sie in immer weitere Ferne. Sie wird zwar gelegentlich von Seiten der israelischen Regierung aus dem Hut gezaubert, wenn es die politische Konjunktur erfordert, so auch vor einigen Wochen von Benjamin Netanjahu in der Phase seiner Regierungsbildung, doch niemand weiß, ob er selbst daran glaubt.

Die Siedlungspolitik, wohl das größte Hindernis auf dem Weg zum Frieden, läuft letzten Endes darauf hinaus, den Palästinensern immer mehr Land zu nehmen. Heute wohnen in den israelischen Siedlungen im Westjordanland etwa dreihunderttausend Menschen (ohne Ostjerusalem), nur ein Drittel des Westjordanlandes ist unter Kontrolle der palästinensischen Selbstverwaltungsbehörde. Die Palästinenser können sich im eigenen Land nur eingeschränkt bewegen: Schlagbäume und Spontankontrollen überall, und viele gut ausgebaute Straßen dürfen ausschließlich von Israelis genutzt werden. Auch wird den Einheimischen nur ein spärlicher Anteil am ohnehin knappen Wasser zugebilligt, die Genehmigung neuer Brunnenerschließungen obliegt der Besatzungsmacht.

Muss man vermuten, dass es in der israelischen Regierung einen Masterplan gibt, mindestens einen Teil des Westjordanlandes zu annektieren?

Tatsache ist: Das brachiale Besatzungsregime Israels ist nur dazu geeignet, die einheimische Bevölkerung auf Dauer in ihrer Feindschaft zu fixieren. Für Israels Regierung ist die Sache klar, für sie rechtfertigt das legitime Recht auf Selbstverteidigung die im Westjordanland angewendeten Mittel: Um einen potenziell mörderischen Gegner in Schach zu halten, müsse man notgedrungen hart vorgehen.

Immerhin ist Israel, solange solche Bücher in Israel erscheinen können, nicht verloren. Es ist ja fraglich, ob ein Buch, das so schonungslos mit den eigenen, sagen wir "Fehlern" umgeht, auch auf palästinensischer Seite erscheinen könnte. So sehr in Israel die Berichterstattung hinsichtlich der Besatzungspolitik gelenkt, begrenzt und geregelt ist, immer wieder kommen Dinge ans Tageslicht, die den politischen Hardlinern peinlich sein müssten, weil sie sich wie Puzzleteilchen in ein wenig schmeichelhaftes Gesamtbild fügen. So etwa auch die Fernsehdokumentation des israelischen Journalisten Dror Moreh (sie lief am 5. und am 6. März auf arte und in der ARD): Moreh hat alle noch lebenden sechs Chefs des israelischen Inlandgeheimdienstes "Shin-Bet" (auch "Schabak" genannt) interviewt, also Männer, die in diesem Kampf als Akteure gestaltend mitgewirkt und selbstverständlich auch illegale (aber von den Politikern halbwegs gedeckte) Tötungen angeordnet haben. Sie alle verteidigen ihr Vorgehen. Sie begründen es mit den Bedrohungen, denen Israel sehr real ausgesetzt war und ist - aber sie sind sich einig in der Meinung, dass Israel mit seiner Politik gegenüber den Palästinensern auf einem falschen und auf Dauer verhängnisvollen Weg ist - zu dieser Erkenntnis haben sie gerade ihre Erfahrungen geführt.

Übrigens: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat angekündigt, weder das Buch lesen noch den Dokumentationsfilm sehen zu wollen.

Breaking the Silence. Israelische Soldaten berichten von ihrem Einsatz in den besetzten Gebieten. Econ Verlag, Berlin 2012, 410 Seiten, Euro 19,99.

Helmut Kremers

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