Sauerteig

Katholische Laienkritik
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Der Autor durchmisst einen weiten thematischen Bogen: Von religiösen Fragen wie Gott als Schöpfer der Welt, der Göttlichkeit Christi und der Jungfrauengeburt über die Kirchengeschichte, die Notwendigkeit der Ökumene bis zum Schutz des Lebens und dem Einsatz für soziale Gerechtigkeit.

Hans-Harald Sedlacek, Professor für Tumorbiologie, ist seit Jahren ehrenamtlich in der katholischen Kirche aktiv. Als einer der vielen "Laiengläubigen", die sich als Teil der Kirche fühlen und zugleich an ihr leiden, hat er sich ein Buch von der Seele geschrieben, das sich vor allem als Frage "an die Amtsträger der römisch-katholischen Kirche" versteht. Aus seiner naturwissenschaftlichen Prägung heraus hört er die Sprache von Kirche und Theologie kritisch, weiß aber aus gleicher Erfahrung auch um die Begrenztheit menschlicher Erkenntnis: "Die absolute Wahrheit zu beanspruchen, wäre unwissenschaftlich wie auch vermessen."

Darum plädiert er für eine kritische Rolle der Theologie gegenüber dem Amt. Nahe fühlt er sich jenen Priestern, "die weder ihre Karriere, noch ihr eigenes Seelenheil in den Vordergrund stellen" und "den Sauerteig unserer Kirche" bilden. Seine Absicht ist es, "aus Laiensicht einige der mannigfaltigen Probleme beim Namen zu nennen und damit beizutragen, dass möglichst viele sich der Notwendigkeit von Veränderungen bewusst werden und diese öffentlich einfordern".

Sedlacek "geht es dabei nicht um das durch Christus zugrunde gelegte Fundament unserer Kirche, sondern (...) um die über die Jahrhunderte hinweg gewachsenen Stockwerke des Kirchengebäudes". Konkret fordert er die Einbettung kirchlicher Entscheidungen in einen breiten fachkompetenten Gesprächsprozess, die Zustimmung der Gläubigen und ihrer gewählten Vertreter zu Bischofs- und Kardinalsernennungen, eine neutrale (gemeint ist wohl: "unabhängige") Gerichtsbarkeit in der Kirche, die Überarbeitung des Kirchenrechts, die Abschaffung des Zwangszölibats und die Zulassung von Frauen zur Priesterweihe. Der Priestermangel ist für ihn durch die Kirche selbst verschuldet. Was er in der Kirche fürchtet, sind Selbstgerechtigkeit und Reformunfähigkeit. Was ihn umtreibt, ist der Skandal der Kinderschändungen. Mit den von ihm formulierten Sorgen um die Zukunft der Kirche spricht er sicherlich vielen deutschen Katholiken aus dem Herzen. Der Autor durchmisst einen weiten thematischen Bogen: Von religiösen Fragen wie Gott als Schöpfer der Welt, der Göttlichkeit Christi und der Jungfrauengeburt über die Kirchengeschichte, die Notwendigkeit der Ökumene bis zum Schutz des Lebens und dem Einsatz für soziale Gerechtigkeit.

Dass dies nicht mit der gleichen Intensität und nicht auf gleichem argumentativem Niveau erfolgt, kann nicht überraschen. So ist es wohl vordergründig, alle Kirchenspaltungen als Folge von Machtstreben und Reformverweigerung zu erklären. Auch die Schwierigkeiten der Ökumene verortet Sedlacek nur auf der katholischen Seite. Generell macht er es sich zu einfach, wenn er sich ständig auf die Zehn Gebote und das Gebot der Liebe und Barmherzigkeit in den Evangelien als einzigen Maßstab beruft. Auch seine Ablehnung des Opferbegriffs in Kirche und Gesellschaft ist wirklichkeitsfremd.

Sehr eindrucksvoll und lesenwert sind zweifellos die Kapitel über den Schutz des menschlichen Lebens und die ethischen Probleme der künstlichen Befruchtung und der Präimplantationsdiagnostik. Hier schreibt der naturwissenschaftliche Fachmann, der auch die einschlägigen kirchlichen Texte genau kennt. Verkürzt gesagt, unterstützt Sedlacek die kirchliche Position des unbedingten Schutzes des menschlichen Lebens, warnt aber vor einem wirklichkeitsfremden Rekurs auf das "Naturgegebene" als göttliche Schöpfungsordnung.

Sedlacek wählt eine eher ungewöhnliche Art der Darstellung, in dem er sich selbst in den vorandrängenden "Hans" und den warnenden und dagegen haltenden "Johannes" spaltet und so der abendländischen Tradition des Dialogs folgt. Die Wirkung auf den Leser ist zwiespältig: Einerseits mag man die Gestaltung des Textes als Gespräch anregend empfinden, andererseits fragt man sich nach der Position des Autors.

Unbeschadet aller Einwände dokumentiert dieses Buch zweifellos ein Stück Wirklichkeit der katholischen Kirche in Deutschland. Darum wünscht man sich unter seinen Lesern viele Amtsträger und Theologen. Dieser Wirklichkeit auszuweichen, wäre freilich relativ einfach. Es bedarf dafür nicht einmal des Totschlagarguments, es gebe keine Kirchenkrise, sondern eine Krise des Gottesglaubens.

Stattdessen könnte man Hans-Harald Sedlacek mit Recht darauf hinweisen, dass die Einheit der Christen nicht nach dem Modell einer Unternehmensfusion hergestellt werden kann und dass die Kirche keine "Organisation" ist. Liegt es aber nicht an der kirchlichen Realität, wenn in diesem Buch der konziliare Begriff des Volkes Gottes faktisch keine Rolle spielt? Auch theologisch berechtigte Einwände können diesem Buch nichts von seinem Wert nehmen. Denn dieser besteht darin, authentisch zu bündeln, was viele Katholiken, von deren Mittun das Leben der Gemeinden und mithin ihrer Kirche abhängt, heute denken und empfinden, fürchten und hoffen. Dem muss man so nicht zustimmen, aber man sollte sich ihm ehrlich aussetzen.

Hans-Harald Sedlacek: Verbaut die Kirche ihre Zukunft? Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2012, 368 Seiten, Euro 19,90.

Hans Joachim Meyer

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