Widerlegt

Barth und der Kommunismus
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Karl Barth hat die in der DDR bestehenden Freiheitsdefizite nicht geleugnet, aber auf dem Weg der Gerechtigkeit ging ihm der Staatssozialismus insgesamt keinesfalls zu weit, sondern, im Gegenteil, nicht weit genug.

Zur französischen Revolution gehört die Konterrevolution der europäischen Monarchisten. Zur Geschichte des Kommunismus gehört die weltweite Unterstützung reaktionärer Diktaturen und Putschregimes im Namen westlicher "Werte" oder Machtinteressen. Der Kampf wird auch auf literarischer Ebene geführt. Dabei gab es rühmliche Ausnahmen wie den Schriftsteller Thomas Mann, für den der bürgerliche "Schrecken vor dem Wort Kommunismus" die "Grundtorheit" seiner Epoche darstellte, oder eben den Theologen Karl Barth. Darüber ärgert sich der Schweizer Publizist und fdp-Politiker Erwin Bischof. Deshalb hat er 2010 ein Buch veröffentlicht, das an Kampagnen des Kalten Krieges erinnert und wahrheitswidrig behauptet, Karl Barth habe "im Dienste der DDR-Kommunisten" gestanden.

Wolf Krötke, emeritierter Professor für Systematische Theologie, hat seine gründliche Widerlegung Bischofs mit zwei weiteren Beiträgen nun in Buchform veröffentlicht, einem Erfahrungsbericht über Barths Wirkung in der DDR und einem Vortrag über Barths Konzeption von Gottes Gerechtigkeit als Recht der Gnade. Bischofs Darstellung sei aufgrund vieler Fehler "nachgerade peinlich" (so liest er Stasi-Akten unkritisch als zuverlässige Dokumente), provoziere aber auch zu "immer genauerem Hinsehen" bei einem brisanten Thema.

Krötke betont, das politische und gesellschaftliche System der DDR sei nicht mit dem "Stalinismus in der Sowjetunion der Dreißigerjahre" und erst recht nicht mit dem NS-Staat gleichzusetzen. Damit regt er zur vergleichenden historischen Betrachtung der zwei deutschen Staaten nach 1949 an. Zugleich bedarf die Begrifflichkeit weiterer Klärung. So äußert er zwar ein Generalverdikt über die "Ideologie des Sozialismus", betont aber auch das humane und soziale Anliegen des Marxismus.

Die sozialen Aspekte einer "Theologie der Freiheit" werden indes nur vage benannt. Die Welt sei "in arm und reich zerrissen" sowie "in Kriege und gewaltsame Auseinandersetzungen verstrickt". Barth hat da genauer hingesehen. Die Rede von den vermeintlichen "Zwängen der Realpolitik" wäre ihm verdächtig gewesen. Gibt es nicht auch eine "revolutionäre Realpolitik" (Rosa Luxemburg)? In seiner Lehre von der Schöpfung nimmt Barth die marxistische Kritik des Privateigentums an Produktionsmitteln auf und spricht unverblümt vom realen Klassenkampf.

Die "Befreiung jedes Menschen zu wahrer Menschlichkeit durch den offenbaren Gott" - Krötkes Kurzformel für Barths Grundgedanken - bedarf also der Auslegung, zum Beispiel im Kontext einer Diktatur der Finanzmärkte, die zunehmend auf staatliche Repression und Kriminalisierung zivilbürgerlicher Proteste setzt. Der südafrikanische reformierte Theologe C. F. Beyers Naudé konstatierte schon vor zwanzig Jahren eine "globale wirtschaftliche Apartheid". Im deutschen Rahmen ist an die "neue Umverteilung", so der Bielefelder Sozialgeschichtler Hans-Ulrich Wehler und, mit dieser eng verbunden, die vorsätzliche Prekarisierung des Arbeitslebens durch die Agenda 2010 zu denken.

Karl Barth hat die in der DDR bestehenden Freiheitsdefizite nicht geleugnet, aber auf dem Weg der Gerechtigkeit ging ihm der Staatssozialismus insgesamt keinesfalls zu weit, sondern, im Gegenteil, nicht weit genug. In dieser Hinsicht stand er radikal links. Dass eine solche Haltung Funktionären verschiedener Couleur nicht gefällt, ist konsequent und war schon vor fünfzig oder sechzig Jahren nicht anders. Sein Werk bleibt eine Herausforderung für den kirchlichen und politischen Diskurs, und das ist gut so.

Wolf Krötke: Karl Barth und der Kommunismus. Theologischer Verlag, Zürich 2013, 85 Seiten, Euro 19,20.

Matthias Gockel

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