Schäbiger Wettlauf?

In der Flüchtlingspolitik sollte europäischer gedacht werden
Foto: pixelio/Gabi Eder
Foto: pixelio/Gabi Eder
In der Flüchtlingsfrage war man sich auf dem Kirchentag weitgehend einig: So wie es ist, geht es nicht weiter.

Drei Menschen, aus Togo, der Türkei und Äthiopien, erzählen - durch den Mund von Schauspielern - ihre Geschichte. Sie erzählen von Kindersoldaten, religiöser Diskriminierung, politischer Verfolgung, Bürgerkrieg, Folter und Gefängnis. Und sie erzählen von Deutschland, von der Hilflosigkeit als Flüchtling, der Unsicherheit und Isolation, der Angst vor Brutalität, von der Unfreundlichkeit, Unsensibilität und Unwilligkeit der Ämter, Asyl zu gewähren, von der ständigen Suche nach Widersprüchen, die schlussendlich konstruiert werden. "Wir hatten nicht erwartet, dass Flüchtlingsheime wie Gefängnisse sind", sagt einer der drei im Theaterstück "Asylmonologe", das auf dem Hamburger Kirchentag lief.

Im vergangenen Herbst marschierten Flüchtlinge aus ganz Deutschland nach Berlin, um gegen gesetzliche Regelungen zu protestieren, die ihnen grundlegende Rechte verweigern. Sie forderten den Zugang zu Arbeitsmarkt und Bildung, Abschaffung von Asylbewerberleistungsgesetz und Residenzpflicht. Auch in Hamburg protestierten rund fünfzig Flüchtlinge. Der Kirchentag widmete sich in zwei Veranstaltungen der europäischen Flüchtlingspolitik. Wie aktuell das Thema ist, zeigte sich daran, dass von 150 geladenen Kenianern nur zehn ein Visum erhielten. Grund: voraussichtlich keine Rückreisewilligkeit. Als Bernd Pickert, Auslandsredakteur der taz, im voll besetzten Hamburger Thalia-Theater davon erzählt, geht ein empörtes Raunen durch das Kirchentags-Publikum. Ein passender Einstieg in das Podiumsthema: "Tor zur Welt oder Festung Europa?" Auf diese Frage kann es hier, auf dem Kirchentag, nur eine Antwort geben: Festung.

2012 starben laut Bundesregierung mindestens 180 Menschen beim Versuch, nach Europa zu fliehen. "Wann hören wir auf zu glauben, wir können uns einmauern?", fragte Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Grünen, das Publikum und ihre Mitdiskutanten Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl und CDU-Bundestagsmitglied, Günter Krings. Die Zahl der Asylanträge in der EU stieg im vergangenen Jahr um 16 Prozent auf 301 000. Weniger als 12 Prozent wurden bewilligt, 75 Prozent wurden abgelehnt oder nicht inhaltlich geprüft, zum Beispiel, weil die Antragsteller in ein südliches EU-Land zurückgeschickt wurden - diese Praxis basiert auf der massiv kritisierten Dublin-II- Verordnung, laut der nur in dem EU-Land Asyl beantragt werden darf, in das der Flüchtling erstmals den Fuß setzt.

Aber auch in Deutschland stieg die Zahl der Asylanträge in den vergangenen Jahren zwar konstant an, 2012 lag sie bei 77 651, doch ist sie weitaus niedriger als der Höchstwert von 166 951 im Jahre 1995. Und die Schutzquote sinkt.

Gleichklang der Empörung

Wer es bis nach Deutschland schafft, hat es auch hier schwer: "Es herrscht ein Egoismus der Nationalstaaten, die ihre Flüchtlingspolitik durchweg auf Restriktionen gründen", sagte Burkhardt. Das führe zu einem "Wettlauf der Schäbigkeit", so Roth. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die niedrigen Beträge des Asylbewerberleistungsgesetzes im Juli 2012 für verfassungswidrig. Wohlfahrtsverbände, evangelische und katholische Kirche sowie Flüchtlingsinitiativen fordern seine Abschaffung, wie auch die der Residenzpflicht, die Asylbewerber und Geduldete verpflichtet, sich nur in einem festgelegten Bereich aufzuhalten.

Auf der Veranstaltung: "Grenzen dicht?" im Audimax der Universität, setzte sich die einstimmige Kritik fort: Der Hamburger Migrationsforscher Norbert Cyrus sagte, die europäische Migrationspolitik missachte die individuelle Bewegungsfreiheit und sei auf Dauer ethisch nicht zu rechtfertigen, und der Hallenser Verfassungsrechtler Winfried Kluth untermauerte diese Ansicht juristisch, Doris Peschke von der Kommission der Kirchen für Migranten plädierte für eine Öffnung der Grenzen, und Katrin Göring-Eckardt kritisierte die "Panikmache" des Innenministers und plädierte für eine freie Wahl des Ziellandes. Die Rechtfertigungspflicht, die laut Asylrecht bei dem Flüchtigen liegt, solle umgekehrt werden, schon deshalb weil viele Fluchtgründe im Zusammenhang stünden mit dem Leerfischen der Meere, der Gestaltung der Weltmarktpreise und Waffenexporten.

Eine echte Diskussion gab es nicht. Das hat die personelle Besetzung der Podien verhindert. Vielmehr war es ein Gleichklang der Empörung und Kritik, und ein Aufruf, der von den Kirchentagsbesuchern mitgetragen, wenn nicht sogar erwartet wurde. Nur einer war in der Position, Kontroverses beizutragen: CDU-Vertreter Krings. Der bemühte sich, die CDU-Position in versöhnliche Worte zu packen und betonte, Deutschland leiste bereits einen großen Beitrag zur humanitären Hilfe für Flüchtlinge, aktuell etwa mit der Entscheidung, fünftausend Syrer aufzunehmen. Aber er stimmte zu, dass die Flüchtlingspolitik künftig mehr europäisch gedacht werden müsse.

Katharina Lübke

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