"Endlich Brüder und Schwestern"

Nach langer Eiszeit zwischen den Konfessionen beginnt in Ägypten ein ökumenischer Frühling
Im vergangenen Oktober erinnerten Koptinnen in Kairo an ihre ermordeten Glaubensgenossen. Foto: Virginie Nguyen Hoang/Wostok Press
Im vergangenen Oktober erinnerten Koptinnen in Kairo an ihre ermordeten Glaubensgenossen. Foto: Virginie Nguyen Hoang/Wostok Press
Angesichts der Bedrohung durch Islamisten rücken Ägyptens Kirchen zusammen. Wie es zu ihrer Entfremdung und Annäherung kam, beschreibt die Stuttgarter Journalistin Katja Dorothea Buck. Und sie schildert, wie sich die Gründung eines ägyptischen Kirchenrates negativ auf den Nahöstlichen Kirchenrat auswirken könnte.

Sonntagabend in einer evangelischen Kirche am Stadtrand Kairos unweit der Pyramiden: Am Ende des Gottesdienstes fragt der Pfarrer, wer zum ersten Mal da sei. Und acht junge Männer erheben sich und werden freundlich begrüßt. Alle kämen aus der koptisch-orthodoxen Kirche, erzählt der Pfarrer hinterher der Reporterin. Jeden Sonntag würden neue Gesichter auftauchen. Das sei mittlerweile völlig normal. Vor wenigen Jahren noch hätten die jungen Männer Probleme mit ihrer Kirche bekommen. Dass sie gewissermaßen fremdgehen, hätte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Und der koptische Ortsgeistliche hätte die jungen Männer oder deren Eltern ins Gebet genommen.

Seit der Revolution vor zwei Jahren sind die Grenzen zwischen den christlichen Konfessionen durchlässiger geworden. Im vergangenen Sommer predigte zum Beispiel ein koptisch-orthodoxer Priester bei einem großen evangelischen Jugendtreffen. Und am 11. November 2011, neun Monate nach dem Sturz Mubaraks, kamen mehr als 70.000 Christen aller Konfessionen zu einer Gebetsnacht in Kairo zusammen und beteten zwölf Stunden für die Zukunft des Landes. Seither haben interkonfessionelle Gebete Tradition. Christliche Fernsehsender übertragen die großen Events, und auf Facebook machen Fotos die Runde, die orthodoxe, katholische und evangelische Pfarrer Hand in Hand und beim gemeinsamen Gebet zeigen.

Hindernisse in der Vergangenheit

Lange hatte es die Ökumene am Nil nicht leicht. Insbesondere die koptisch-orthodoxe Kirche grenzte sich deutlich von der evangelischen und römisch-katholischen ab. Das hatte historische und dogmatische Gründe. Mitte des 19. Jahrhunderts waren aus Amerika, Schottland und Holland evangelische Missionare nach Ägypten gekommen, und mit ihrer Auslegung der Bibel hatten sie Erfolg bei einheimischen Kopten. So entstand die koptisch-evangelische oder presbyterianische Kirche Ägyptens. Und es gab immer wieder koptisch-orthodoxe Christen, die ihre Kirche dem Bischof von Rom unterstellen wollten. Aus diesen Bestrebungen ging die koptisch-katholische Kirche hervor.

Noch 2009 verkündete Bischof Bischoy, die rechte Hand des im vergangenen Jahr gestorbenen koptischen Papstes Schenuda III., evangelische und katholische Christen würden nicht ins Paradies kommen. Zu den historischen Blessuren kommen dogmatische Differenzen. So anerkennt die koptisch-orthodoxe Kirche nicht die evangelische Taufe.

Ein weiteres Hemmnis für die Ökumene hatte politische Ursachen. Präsident Hosni Mubarak erstickte wie sein Vorgänger Anwar Sadat alle zivilgesellschaftlichen Strukturen schon im Keim. Und dazu dürfte auch die Kooperation zwischen Kirchen gezählt werden.

Dickes Fra gezeichen

Wie hoch der Anteil der Christen in Ägypten ist, weiß niemand genau. Auf neun Millionen werden sie geschätzt. Doch hinter diese Zahl muss ein dickes Fragezeichen gesetzt werden. Der Staat geht von 6 Prozent Christen aus. Das wären bei einer Gesamtbevölkerung von rund neunzig Millionen, offizieller Stand Februar 2013, nur 5,4 Millionen. Christliche Quellen sprechen dagegen von bis zu 20 Prozent, was 18 Millionen Christen bedeuten würde.

Wie in vielen anderen Ländern sind Zahlen auch in Ägypten ein Politikum. Je mehr Mitglieder eine Gruppe hat, einen umso größeren politischen und gesellschaftlichen Einfluss möchte sie für sich reklamieren.

Einigkeit herrscht allerdings bei der konfessionellen Verteilung. 90 Prozent der ägyptischen Christen gehören zur koptisch-orthodoxen Kirche, die eine der ältesten Kirchen überhaupt ist. Der Überlieferung nach wurde sie bereits im ersten Jahrhundert vom Evangelisten Markus gegründet. Und im dritten Jahrhundert ging aus ihren Reihen das christliche Mönchtum hervor. Die Kirche zählt zu den altorientalischen Kirchen, die sich 461, beim Konzil von Chalcedon, aufgrund der Auseinandersetzungen um die Natur Christi abspalteten.

Unter den 10 verbleibenden Prozent ägyptischer Christen bilden die Presbyterianer mit 700.000 Mitgliedern die größte Gruppe, gefolgt von den 200.000 mit Rom unierten Kopten. Die griechisch-orthodoxe, syrisch-orthodoxe und die armenische Kirche bringen es zusammen noch einmal auf etwa 100.000. Und die anglikanische Kirche stellt die kleinste christliche Konfession dar, sie ist nach dem Abzug der Briten in den Fünfzigerjahren auf nunmehr 3.000 Mitglieder geschrumpft.

Foto: KNA/Wolfgang Radtke
Foto: KNA/Wolfgang Radtke

Prozession durch die Stadt. Feier des Festes "Der Einzug des Herrn Jesus Christus in Ägypten" ...

Foto: KNA/Wolfgang Radtke
Foto: KNA/Wolfgang Radtke

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Während der Revolution vor zwei Jahren standen Christen aller Konfessionen Seite an Seite. Bei den Demonstrationen gegen das verhasste Militärregime spielten dogmatische Differenzen und historische Blessuren keine Rolle mehr. Es ging um die gemeinsame Zukunft. Und die steht mehr denn je in Frage, seit Muslimbrüder und Salafisten vor einem knappen Jahr die Macht übernommen haben und im Eiltempo die Gesellschaft islamisieren wollen. Noch bemüht sich die Regierung - wohl auch im Blick auf das Ausland - um einen konzilianten Ton gegenüber den Christen. Doch kaum ein Christ traut den neuen Machthabern über den Weg. Vielmehr fürchten die Christen und auch die vielen liberalen Muslime, dass unter einem islamistischen Regime langfristig kein Platz mehr für Andersgläubige sein wird und die Muslime, die den Koran anders als die Muslimbrüder interpretieren. Die Zahl derjenigen, die vor diesem Szenario flüchten, wächst stetig. Wer kann, packt die Koffer und geht ins Ausland.

Die Christen, die aber bleiben, rücken immer mehr zusammen, auch auf politischer Ebene. Zum Beispiel veröffentlichten Ende Dezember die leitenden Geistlichen der verschiedenen Kirchen eine gemeinsame Erklärung zur neuen Verfassung. Diese war kurz zuvor im Eilverfahren und unter viel internationaler Kritik durch ein Referendum abgesegnet worden. Fundiert und kons-truktiv kritisierten die Kirchenführer einzelne Verfassungsartikel wie die zu den Frauen- und Familienrechten.

"Endlich Brüder und Schwestern"

Während die Erklärung in der Öffentlichkeit nur wenig Widerhall fand, rief ein anderes ökumenisches Ereignis bei vielen Christen Ägyptens große Begeisterung hervor. Am 18. Februar gründeten fünf Kirchen - darunter die koptisch-orthodoxe, die evangelische und die katholische - den ägyptischen Kirchenrat. Der soll dezidiert die Einheit der Christen in Ägypten fördern. Und an der Basis war fast ein Seufzer der Erleichterung zu hören. "Endlich dürfen wir uns als Brüder und Schwestern fühlen", sagen selbst einfache Gemeindeglieder.

Dass es dazu kam, ist vor allem dem neuen Oberhaupt der koptischen Kirche, Papst Tawadros II., zu verdanken. Kaum ein halbes Jahr im Amt, stellte er entscheidende Weichen für die Ökumene. Tawadros drang darauf, dass alle Mitglieder des Kirchenrates gleich viele Stimmen haben, ob sie wie die Kopten viele Millionen repräsentieren oder wie die Anglikaner nur ein paar Tausend. Auch die zweijährliche Ämterrotation an der Spitze des Kirchenrates geht auf den Papst zurück. Er gilt - im Gegensatz zu seinem Vorgänger Schenuda III. - als überzeugter Ökumeniker. Beim Weihnachtsempfang 2012 hatte Tawadros gegenüber den Vertretern der anderen Kirchen seine Vorstellung von Ökumene dargelegt: "Wir sind wie ein Garten, jeder ist eine Blume. Nur zusammen wirken wir."

Welche Rolle der Kirchenrat für die Einheit der Christen Ägyptens langfristig spielen wird, muss sich noch zeigen. Die gemischtkonfessionelle Führungsriege wird nicht müde zu betonen, dass der Kirchenrat keine politische Agenda habe oder gar als Instrument der Kirchen gegen Muslimbrüder und Salafisten gedacht sei. Man habe ihn nur gegründet, um die Einheit der Christen zu fördern. So organisiert der Kirchenrat Projekte zum gegenseitigen Kennenlernen. Themen wie Ehe und Scheidung, Kirchenbau und Familienrechte sollen gemeinsam diskutiert werden. Aber wie lange wird sich die Politikferne noch in einer politisch extrem aufgeheizten Situation halten lassen, in der es gerade für die Kirchen um sehr viel geht?

Siechender Nahöstlicher Kirchenrat

Offen ist auch, wie sich Ägyptens Kirchenrat in die kirchliche Landschaft des Nahen Ostens einfügen wird. Bisher war der Nahöstliche Kirchenrat (MECC) die ökumenische Plattform in der Region. Und in seinen Reihen gab es die stillschweigende Übereinkunft, dass niemand einen nationalen Alleingang startet, um nicht die Einheit der arabischen Kirchen zu gefährden, die schon genug unter der Minderheitensituation leiden. Aber kein Vertreter des MECC kritisierte die Gründung des ägyptischen Kirchenrats. Denn angesichts der prekären Lage der ägyptischen Christen unter einem islamistischen Regime hätte jede Kritik von außen unangemessen gewirkt. Außerdem muss der MECC derzeit ums eigene Überleben kämpfen. Jahrelange Managementprobleme machen sich bemerkbar. Im Gegensatz zum ägyptischen Kirchenrat hängt seine Existenz zum Großteil von internationalen Geldgebern ab. Diese wollen aber immer weniger Geld in die Verwaltung des MECC stecken, sondern geben lieber Geld für bestimmte Projekte und Programme aus. Innerhalb des ägyptischen Kirchenrats ist man sich der Probleme sehr wohl bewusst, und die Bekenntnisse für einen starken MECC reißen nicht ab.

Interessant wird, welche Rolle die internationale Ökumene spielen wird. Die Versuchung ist groß, sich von dem siechenden MECC abzuwenden und stattdessen den ökumenischen Aufbruch in Ägypten zu unterstützen. Ohne die Geldgeber aus dem Westen und ohne Ägyptens Kirchen, die gut 90 Prozent der Christen im Nahen Osten vertreten, könnte der MECC kaum überleben.

Katja Dorothea Buck

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Katja Dorothea Buck

Katja Dorothea Buck ist Religionswissenschaftlerin und Politologin und arbeitet seit mehr als 20 Jahren zum Thema Christen im Nahen Osten, Ökumene und Dialog.


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