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Hamann zum Geburtstag
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Die Verlegenheit, in die Hamann seine Leser immer wieder führen kann, liegt darin, dass sich seine grundsätzliche Kritik am Denken des Idealismus in ihrer Rhetorik ihr argumentatives Defizit zu Gute hält.

Wer mit der Umkehrung des Satzes Cogito ergo sum das Denken der unmittelbaren Empfindung nachordnen will, steht mit dieser Kritik am Rationalismus allerdings vor dem logischen Problem, dass das Ich im Prozess menschlichen Erkennens nicht allein das sinnlich Erfahrene, sondern stets schon ein Gemeintes ist.

Doch mit der Kritik am Rationalismus und dem Mut zur Wirklichkeit befindet er sich in guter Gesellschaft und kann sich mit vielen freuen, die in diesem Jahr, am 21. Juni des 225. Todestages von Johann Georg Hamann gedenken und damit an einen Vorbereiter der Hermeneutik erinnern wollen.

Hamann, ein Theologe und Philosoph des 18. Jahrhunderts, der immer ein Schriftsteller geblieben, aber nie ein Professor oder Pfarrer geworden ist, steht in der Theologie-und Philosophiegeschichte für Kritik am Idealismus und insbesondere an der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants, mit dem er sich in Königsberg viele geistige Fehden geliefert hat.

Dabei stand er schon in seiner beruflichen Praxis für die Nähe zum wirklichen Leben ein, wenn er etwa beim Zoll arbeitete, während sein Widerpart, Immanuel Kant, an der Universität ganz dem Denken nachhängen konnte. Doch mehr noch als die vielfach gebrochene Biographie Hamanns steht die stilistische Heterogenität seines Schreibens und die literarische Vielfalt bei den Sujets seiner Schriften für den Unterschied zwischen ihm und Kant: Während Hamann dem Rezipienten mit Rollenprosa und stets in ironischer Verbrämung imponiert, ist für Kant Philosophie vor allem Argumentieren.

Mit vielen Aufsätzen über Johann Georg Hamann hat der dänische Philologe Sven-Aage Jørgensen über Jahrzehnte hin nach dessen kritischem Denken gesucht und bei seiner Beschäftigung mit dem Bildreichtum und der durchgängigen Metaphorik in Hamanns Sprache dessen Grundüberzeugung, dass das Verhältnis zwischen Gott und Mensch metaphorisch sei, herausgearbeitet:

Nicht Raum und Zeit sind für Hamann das Apriori der menschlichen Erkenntnis, sondern vorgängig ist die Anrede Gottes an den Menschen. Unter Berufung auf Augustin gelten dem Hermeneuten nicht die Worte allein als die Zeichen der Sachen, vielmehr sind res schon selbst signa Gottes.

In dieser sprachlich verfassten Welt wird an Gott als an ihren Autor geglaubt. Gottes geschichtliche Zuwendung zum Menschen ist seine Kondeszendenz in die Bilder. Die Deutung der Geschichte bewegt sich deswegen in einer eschatologischen Spannung zwischen den Bildern und dem Abgebildeten und deutet typologisch etwa auch Sokrates schon auf Christus hin. Die Geschichte folgt dabei nicht der Idee einer Vervollkommnung des Menschen, sondern findet allein darin ihren Sinn, auf Gott hinzuweisen. Jørgensen spricht zu Recht von Hamanns "vormodernem, traditionalistischem Zeitverständnis".

Damit aber hat sich Hamann ganz von der geschichtsphilosophischen Vorstellung, wonach sich die Menschheit vom Objekt zum Subjekt ihrer Geschichte entwickelt, gelöst. Für ihn bleibt der Mensch in seiner individuellen Existenz auf Gott gewiesen und im Glauben ganz an diesen gebunden. Glaube hat demnach immer "den Charakter einer unmittelbaren Erfahrung, einer ‚Empfindung‘".

Mit dieser Kritik am Fortschrittsgedanken ist Hamann auch von Herder, als dessen Inspirator er doch immer wieder gelten soll, unterschieden. Jørgensen betont dies in dem Aufsatz über den "fehlenden Einfluss" Hamanns auf Herder ausdrücklich gegen den Trend in der Forschung. Die Verlegenheit, in die Hamann seine Leser immer wieder führen kann, liegt aber darin, dass sich seine grundsätzliche Kritik am Denken des Idealismus in ihrer Rhetorik ihr argumentatives Defizit zu Gute hält.

Sven-Aage Jørgensen: Querdenker der Aufklärung. Studien zu Johann Georg Hamann. Wallstein Verlag, Göttingen 2013, 223 Seiten, Euro 34,90.

Friedrich Seven

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