Liebe vor Prinzipientreue
zeitzeichen: Im November hat der Rat der EKD erklärt, Selbsttötung sei "grundsätzlich abzulehnen, weil das Leben eine Gabe sei, über die wir Menschen nicht eigenmächtig verfügen dürfen". Da liegt die Frage nahe: Ist es Gottes Wille, dass der Mensch ein Leiden bis zum bitteren Ende aushalten muss, komme, was da wolle?
Nikolaus Schneider: Wenn es um Aussagen geht, was Gottes Wille in einer konkreten Leidenssituation für andere Menschen sein mag, bin ich sehr zurückhaltend. Wie und wohin sein persönlicher, individueller Glaube jemanden in einer konkreten Situation leitet, darüber kann und will ich als Ratsvorsitzender der EKD kein Urteil sprechen. Etwas anderes aber sind grundsätzliche ethische Maßstäbe, die wir in unserem theologischen Nachdenken über das uns in der Bibel bezeugte Wort Gottes gewinnen. Diese ethischen Maßstäbe sollen in unserer evangelischen Kirche gelten, sie sollen angewendet und verantwortet werden. Einzelnen Christinnen und Christen sollen sie als Orientierung dienen. Dazu müssen sie klar und verständlich sein. In diesem Sinne hat der Rat der EKD erklärt: Das Leben ist eine Gabe, ist ein Geschenk Gottes, der Schöpfer und Herr allen Lebens ist. Verantwortlicher Umgang mit dieser Gabe heißt für mich, zum Wohl des Lebens und der Lebenden damit umzugehen und das Leben, soweit es uns möglich ist, zu pflegen und zu erhalten.
Wir wissen aber: Menschen können in Situationen geraten, in denen sie für sich und für ihr irdisches Leben keine Perspektiven mehr sehen. Sie müssen dann letzten Endes selbst entscheiden und verantworten, welchen Ausweg sie aus dieser Perspektivlosigkeit suchen. Wir können nur hoffen, dass Menschen gerade in extremen Leidenssituationen ihre Entscheidungen in Verantwortung vor Gott treffen können und auch in Verantwortung vor Menschen, die ihnen nahe stehen. Wenn sich ein Mensch unter diesen Bedingungen für Selbsttötung entscheidet, wäre es meines Erachtens unangemessen, verurteilend zu sagen: Nach Gottes Willen ist Selbsttötung grundsätzlich abzulehnen, weil dein Leben eine Gabe ist, über die du nicht eigenmächtig verfügen darfst.
Dennoch halte ich an dem Grundsatz fest: Das Leben ist eine Gabe Gottes. Denn dieser Grundsatz kann uns davor schützen, dass wir mit dem Leben leichtfertig umgehen oder es aus einer augenblicklichen Bedrängung heraus voreilig beenden.
In der Erklärung des Rates heißt es, es gebe Fälle schweren Leidens, in denen "Menschen in tiefe Gewissenskonflikte und Grenzfälle geraten und deswegen sei es sogar zu respektieren, wenn Menschen anderen Beihilfe zum Suizid leisten". Würden Sie, wenn jemand, der schwer krank ist und sich das Leben nimmt, dies als Sünde bezeichnen?
Nikolaus Schneider: Sünde heißt Trennung von Gott. Zu unserem Glauben gehört das Bekenntnis, dass der Tod keine Macht hat, uns von Gott zu trennen. Der Auferstehungsglaube schenkt uns die Gewissheit, dass wir auch im Sterben und auch nach unserem Tod bei Gott geborgen sind. Trennen sich Menschen also mit einer Selbsttötung von Gott?
Ich denke, auf diese Frage kann es keine allgemeingültige Antwort geben.
Denken Sie an den Fall Jochen Klepper: Er hatte bei seiner Selbsttötung das Vertrauen, dass Gott ihn nicht fallen lässt und dass er und seine Frau in der Gegenwart Gottes besser aufgehoben sein werden als unter dem Terror der Nazi-Barbarei. Hier kann und will ich nicht von "Sünde" reden.
Oder denken Sie an Menschen, die bei ihrer Suizidentscheidung gar nicht mehr Herr oder Herrin ihrer Entscheidungen und Handlungen sind. Mir erscheint fraglich, ob die Kategorie Sünde in einer solchen Situation überhaupt angemessen ist. "Sünde" als eine Haltung und eine Tat, die einen Menschen von Gott trennt, kann einer Selbsttötung zugrunde liegen, muss es aber nicht.
Wenn ich Sie recht verstanden habe, sagen Sie, letztlich muss jeder Mensch in einer solchen Notsituation zu einer Gewissensentscheidung kommen. Aber müsste dann der Gesetzgeber die Gesetze nicht so ausgestalten, dass jeder dieser Gewissensentscheidung nachkommen kann? Auch in dem Sinne, dass Angehörige überhaupt erst in die Lage versetzt werden müssten, bei einer solchen Selbsttötung zu helfen?
Nikolaus Schneider: Der Gesetzgeber ist verpflichtet, auf dem Boden des Grundgesetzes eine Rechtslage zu schaffen, in der die Einzelnen in Verantwortung vor sich selbst, vor ihren Mitmenschen und vor Gott ihrem Gewissen gemäß handeln können.
Im Konkreten ist das alles andere als einfach: Es bleibt immer zu bedenken, dass der Gesetzgeber Maßstäbe setzen muss, die für das Zusammenleben in der Gesellschaft insgesamt gelten. Aber es soll auch genügend Spielraum bleiben, um dem Einzelfall gerecht zu werden. Dies bleibt eine Gratwanderung.
Plädieren Sie dafür, dass es bei der Nicht-Strafbarkeit der Selbsttötung und der Beihilfe zu ihr bleibt?
Nikolaus Schneider: Ja, daran will ich festhalten. Ich will nicht, dass wir Menschen, die in solchen tragischen Situationen entscheiden und handeln, noch mit rechtlichen Sanktionen überziehen und ihre so schwierige Lage noch schlimmer machen.
Gibt es einen Unterschied, wenn Angehörige diese Hilfe leisten oder wenn sie im Rahmen sogenannter organisierter Sterbehilfe von Organisationen geleistet wird?
Nikolaus Schneider: Ich sehe einen Unterschied und halte es für dringend notwendig, darüber eine öffentliche Debatte zu führen. Zunächst einmal: Sterbehilfe darf kein Geschäftsmodell sein, mit dem Gewinne gemacht werden. Darüber herrscht weitgehend Einigkeit.
Der zweite und schwierigere Punkt ist der: Wie weit soll die Sterbehilfe anonymisiert werden dürfen, nämlich durch eine Organisation. Hier ist meine persönliche Position und auch die der EKD, dies nicht zuzulassen - Sterbehilfe gehört in den Vertrauensbereich von Menschen, die einander hoch verbunden sind, nicht auf die abstrakte Ebene einer solchen Organisation.
Eine andere Frage ist, wie wir die Entscheidung eines Menschen seelsorgerlich werten, der die Dienste einer Sterbehilfe-Organisation etwa in der Schweiz in Anspruch nehmen will. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit ich bereit wäre, ihn auch auf diesem Weg seelsorgerlich zu begleiten.
Nun gibt es ja immer mehr allein lebende Menschen. Warum soll es denen nicht erlaubt sein, zu sagen, ich trete einer Organisation bei, so dass ich im Fall der Fälle auf Unterstützung rechnen kann? Macht das denn einen Unterschied?
Nikolaus Schneider: Der Unterschied liegt darin, dass es sich bei den Helfern im einen Fall um Fremde handelt, im anderen Fall um Menschen, die mir nahe stehen. Und daran ist viel gelegen, wenn es um die Frage eines auch unter diesen Umständen menschenwürdigen Sterbens geht. Nun kann man natürlich sagen, gerade die Distanz des Fremden sei hilfreich. Ich respektiere diese Meinung, teile sie aber nicht. Dass ein Mensch keine ihm nahe stehenden Mitmenschen hat und völlig vereinzelt ist, ist die absolute Ausnahme. Solche Einzelfälle können meines Erachtens die Existenz von Sterbehilfeorganisationen nicht grundsätzlich rechtfertigen, darüber müsste man gesondert nachdenken.
Und noch etwas. Meine langjährige Erfahrung als Pastor in der Begleitung sterbender Menschen hat mir eines gezeigt: Der menschliche Wille ist nicht stabil. Ich habe erlebt, dass einer klagte: Hoffentlich kann ich bald sterben! Zwei Tage später: Es ist gut, dass ich das jetzt noch erleben darf. Der Wille des Menschen schwankt, gerade in Extremsituationen. Um den je aktuell geäußerten Willen zu gewichten, bedarf es einer längerfristigen und intimen Beziehung. Das kann man nicht geschäftsmäßig abhandeln.
Aber ist es nicht eine viel größere Zumutung, wenn ein todkranker Mann von seiner Frau erwartet, dass sie ihm den tödlichen Trank reicht, als dass sich die beiden darauf verständigen, die Hilfe einer Organisation in Anspruch zu nehmen?
Nikolaus Schneider: Ja, gewiss. Es ist die größere Zumutung. Aber die Frage ist, muss das angesichts der Fragen, um die es geht, nicht auch so sein? Es handelt sich hier nicht um etwas, das man mit leichter Hand machen könnte und sollte. Die Betroffenen stehen vor der Tiefendimension von Tod und Leben, die für alle eine gewaltige Herausforderung ist und eben auch eine große Belastung. Aber ich bin davon überzeugt: Nur wenn die Betroffenen sich dieser großen Zumutung bewusst stellen, werden sie mit ihrer Entscheidung getrost sterben und/oder getrost weiterleben können. Allerdings sollten wir auch niemals aus dem Blick verlieren: Für Menschen in einer aussichtslosen Krankheitssituation gibt es auch andere Möglichkeiten der Hilfe, als sie in ihrem Sterbewunsch zu unterstützen oder ihnen Beihilfe zur Selbsttötung anzubieten. Ich denke beispielsweise an die ganzheitliche Sterbebegleitung von Hospizen, an die Palliativmedizin, an Patientenverfügungen und vorsorgende Vollmachten.
Doch wenn wir Verständnis dafür äußern, dass ein Angehöriger unter ganz bestimmten Umständen Sterbehilfe leisten will, so müssen wir doch konstatieren, dass er nur illegal an die entsprechenden Mittel dazu kommen kann. Und wenn er dann das entsprechende Medikament wirklich hat, darf er es dem Todkranken nicht etwa reichen, er darf es nur bereitstellen, anschließend muss er sich entfernen, damit klar ist, es handelt sich nicht um aktive Sterbehilfe. Er kann also nach deutscher Rechtslage dann den Sterbenden nicht begleiten. Ist das Ganze nicht eine Anleitung zur Heuchelei?
Nikolaus Schneider: Ich finde es nicht so überraschend, dass in solchen existentiellen Extremsituationen die notwendig formal bleibenden rechtlichen Regelungen widersprüchlich erscheinen. Die in bestimmten Grenzsituationen mögliche Hilfe zur Selbsttötung und der Gedanke der Garantenstellung haben beide ihr Recht und können gleichzeitig in Spannung zueinander stehen. Aber diese Spannung dient dem Lebensschutz. Das ist ein hohes Gut. Für dieses hohe Gut sollten wir gesellschaftlich weiter eintreten, auch wenn es in einzelnen Fällen zu kaum erträglichen Situationen führen kann.
Um noch einmal auf die Mittel zu sprechen zu kommen: Ein altes Ehepaar hat verabredet, dass im Falle einer tödlichen, quälenden Krankheit der andere Sterbehilfe leisten soll. Nun ist der Fall eingetreten. Wie sollen die beiden an ein geeignetes Medikament kommen? Schließlich sollen sie ja nicht zum Rattengift greifen. Muss das nicht geregelt werden?
Nikolaus Schneider: Es bleibt die Spannung zwischen der Garantenstellung - im Zweifelsfall für das Leben entscheiden und handeln - und dem Interesse dieses fiktiven Ehepaars, möglichst legal an ein tötendes Medikament zu kommen. Ich habe auch keine richtige Idee, wie wir diese Spannung rechtlich so auflösen können, dass wir sowohl dem grundsätzlichen Lebensschutz wie nachvollziehbaren Sterbe- und Sterbehilfewünschen konkreter Menschen gerecht werden. Hier voran zu kommen, das ist eine dringliche Aufgabe, die im gesellschaftlichen Diskurs gelöst werden muss. Auch in der Kirche bleibt hier noch viel zu beraten.
Darf ein Pfarrer den assistierten Suizid öffentlich befürworten? Auch den durch organisierte Vereine?
Nikolaus Schneider: Was Pfarrerinnen und Pfarrer in dieser Frage dürfen, müssen sie selbst verantworten. Da habe ich als EKD-Ratsvorsitzender nichts zu verordnen! Aber ich vertraue den Pfarrerinnen und Pfarrern, dass sie ihr Amt vor Gott und vor den ihnen anvertrauten Menschen verantwortungsvoll ausüben. Die Verkündigung des Evangeliums ist lebensorientiert. Das Evangelium aber ist doch gerade deshalb "frohe Botschaft", weil es Menschen gewiss macht, dass ihr irdisches Leben von der Gegenwart Gottes begleitet ist und dass Gott unzerstörbares Leben für sie bereit hält. Für uns Christenmenschen hört das Leben mit dem Tod nicht auf. Alles, wofür Pfarrerinnen und Pfarrer eintreten, sollte diese "frohe Botschaft" bezeugen und erfahrbar werden lassen. Im konkreten Einzelfall bedeutet dies: Auch diesen Menschen, die es in einer bestimmten Lebenssituation sehr schwer haben, mit Liebe gegenübertreten, nicht mit Gesetzen.
Dürfen wir noch mal zuspitzen. Sie sind ja Pfarrer. Angenommen, ein schwerkranker Mensch hat sich entschieden, alles ist vorbereitet, aber er möchte in seiner letzten Stunde durch einen Pfarrer begleitet werden. Wären Sie dazu bereit?
Nikolaus Schneider: Es kommt darauf an. In erster Linie auf die Beziehung, die ich zu ihm habe. Wenn ich ihn intensiv begleitet habe, wenn ich darum gerungen habe, dass er im Leben bleibt. Wenn ich wirklich alles getan habe, dass er sich vertrauensvoll in den Prozess des Sterbens hinein begibt. Wenn das alles nicht gefruchtet hat, wenn ich seine Not nachvollziehen kann, Verständnis für seine Gründe habe, dann würde ich ihn begleiten. Dann würde ich meine persönliche Überzeugung zurückstellen und würde sagen: Hier gilt es, Seelsorge zu leisten. Liebe geht in dieser Situation vor Prinzipientreue. Am Ende muss die Liebe entscheiden.
Es gibt einige wenige Länder in Europa, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, in denen auch die aktive Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist. Haben sich diese Länder auf ethische Abwege begeben?
Nikolaus Schneider: Es steht uns nicht zu, solche Urteile zu fällen...
... warum nicht, wenn die Gesetzgebung in diesen Ländern nicht mit Ihrer Ansicht vereinbar ist?
Nikolaus Schneider: Ich spreche mit meinen ethischen Maßstäben zunächst einmal für die evangelische Kirche in Deutschland. In unserem Land, denke ich, sollten wir als evangelische Kirche unsere Maßstäbe in diesen komplexen Fragen einbringen. Wir wollen argumentativ dafür werben, was wir für den richtigen Weg halten, ohne andere Wege pauschal zu verurteilen.
Gewiss sollten wir dann aber auch mit den Niederländern und Belgiern - vor allem mit unseren Partnerkirchen in diesen Ländern - darüber diskutieren, welche Gefahren und Konsequenzen mit der Freigabe der aktiven Sterbehilfe verbunden sind. Mir macht es durchaus Sorgen, dass es in den Niederlanden mittlerweile ältere Menschen gibt, die Zettel im Portemonnaie haben, auf denen steht: "Bitte keine Sterbehilfe, auch wenn meine Angehörigen etwas anderes sagen sollten; ich möchte nicht vom Leben zum Tode befördert werden."
Liegt das Problem also darin, dass es keine rechtliche Lösung gibt, die nicht auch missbraucht werden kann?
Nikolaus Schneider: So ist es. Solange Menschen agieren, werden sie die besten Lösungen auch missbrauchen. Das gilt auch für unsere Situation und Rechtslage in Deutschland.
Es gibt Menschen, die in aussichtsloser Lage die ärztliche Behandlung abbrechen, es gibt andere, die ein tödliches Medikament einzunehmen wünschen. Wo liegt hier der ethische Unterschied?
Nikolaus Schneider: Der ethische Unterschied liegt in der Lebenshaltung gegenüber dem Sterben:
In dem einen Fall - der "passiven Sterbehilfe" - lasse ich einen zum Tode führenden Krankheitsverlauf zu, ohne dagegen weiter anzukämpfen. Der Sinn des Behandlungsverzichts besteht darin, einen sterbenden Menschen sterben zu lassen. Der Tod wird zugelassen und seinem Kommen wird nichts mehr entgegengesetzt. Das ist zu respektieren.
Im anderen Falle - der "aktiven Sterbehilfe" - greife ich ein und führe den Tod selbsttätig herbei. Das geht über das Zulassen hinaus. Ob und wie dieser Mensch sein aktives Handeln vor Gott verantwortet, darüber erlaube ich mir kein Urteil. Meinem persönlichen Glauben entspricht ein solches Handeln nicht. Auch nicht der Position der EKD.
Ist es theologisch denkbar, dass man den Akt des selbstgewählten Sterbezeitpunktes nicht als Verstoß gegen Gottes Willen ansieht, sondern geradezu als eine Möglichkeit der Freiheit, die uns von Gott gewährt ist?
Nikolaus Schneider: Es gibt Christenmenschen, die das theologisch so sehen. Und es gibt gewiss Einzelfälle, in denen auch ich diese Möglichkeit sehe - ich habe auf das Beispiel Jochen Kleppers hingewiesen. Für mich handelt es sich dabei aber im Grunde um eine "unmögliche Möglichkeit". Denn eigentlich geht das für mich nicht. Ich verstehe die uns von Gott geschenkte Freiheit als "Freiheit zum Leben", nicht zum Tode.
Noch eine Frage zur passiven Sterbehilfe: Jemand liegt im Koma, hat eine Patientenverfügung vorher ausgefüllt, dass man alle medizinischen Maßnahmen unter genau beschriebenen Umständen einstellen soll. Die Angehörigen drängen darauf. Ist das zu akzeptieren?
Nikolaus Schneider: Der Rat der EKD und die Deutsche Bischofskonferenz geben in Verbindung mit weiteren Mitglieds- und Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland seit 2003 eine "Christliche Patientenvorsorge durch Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, Behandlungswünsche und Patientenverfügung" heraus. Wir haben uns in dieser Handreichung deutlich für die "passive Sterbehilfe" ausgesprochen und betont, dass jeder Patient verlangen kann, dass Maßnahmen zur Verlängerung seines Lebens in der Sterbephase unterlassen oder beendet werden, wenn diese lediglich den Todeseintritt verzögern und sich die Krankheit in ihrem zum Tode führenden Verlauf nicht mehr aufhalten lässt.
Für meine Person gilt: Ich werde eine Vorsorgevollmacht ausstellen, in der ich Vertrauenspersonen zu meinen Bevollmächtigten bestimme. Ich möchte, dass im kritischen Fall meine Frau entscheidet, die mich kennt und die mich liebt, oder meine Töchter, die mich kennen und die mich lieben. Ich habe das Vertrauen, dass diese mir vertrauten Menschen richtig für mich entscheiden werden.
Die Frage ist doch, wie weit ich alles selber bestimmen muss? Habe ich nur Zutrauen zu mir selber oder auch zu anderen? Das ist eine Kernfrage: In welcher Weise sind wir fähig, Vertrauen auszusprechen, uns an dieses Vertrauen zu binden, uns in dieses Vertrauen hineinzubegeben?
Inwiefern sollten kirchlich-christliche Standpunkte in die Gesetzgebung zur Sterbehilfe einfließen?
Nikolaus Schneider: Ganz allgemein gesprochen: Insofern sie dazu beitragen, eine Ethik des Zusammenlebens zu konstituieren, die für alle Menschen in unserer Gesellschaft gut ist, die darum auch von allen akzeptiert werden kann. Unabhängig davon, ob oder was sie persönlich glauben. Und ich finde, das Großartige unseres Glaubens ist, dass er diesen Beitrag leisten kann. Nur ein Beispiel: Das Sabbatgebot ist eine Wohltat für alle Menschen, für alle. Und genau das gilt doch auch für den entscheidenden und klaren Grundsatz unserer Überlegungen zur Sterbehilfe: Das Leben ist eine Gabe. Dieser Grundsatz führt zu menschenfreundlichen und lebensdienlichen Maßstäben, die allen Menschen guttun.
Das Gespräch führten Helmut Kremers und Jürgen Wandel am 28. Mai 2013 in Berlin.
Nikolaus Schneider, 65, ist im Ruhrgebiet beheimatet, wo er auch seine kirchliche Laufbahn begann. Lange Jahre war er Gemeindepastor und somit in nahem Kontakt zu den Menschen der Region, seine evangelische Kirche hat er so von der Basis aufwärts kennengelernt. Von 1977 bis 1984 war er Gemeindepfarrer in Duisburg-Rheinhausen, anschließend sieben Jahre Diakoniepfarrer in Moers, dann Gemeindepfarrer daselbst und von 1987 an zehn Jahre Superintendent des Kirchenkreises Moers. 1997 wurde er Vizepräses, 2003 Präses der Ev. Kirche im Rheinland (bis 2013). Seit 2010 ist er Ratsvorsitzender der EKD.Nikolaus Schneider ist seit 1970 verheiratet und Vater dreier Töchter. Seine jüngste Tochter Meike starb im Februar 2005 an Leukämie.
Wenn Menschen sterben wollen, EKD-Text Nr. 97
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Nikolaus Schneider