Aus der Praxis

Kirche und Migration
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Das Buch behandelt das Thema Interkulturalität breit, so dass es geradezu als ein Kompendium für die kirchliche und diakonische Praxis gelesen werden kann. Wer sich gegenwartsbezogen und praxisrelevant mit Interkulturalität beschäftigen will, findet reichhaltige Anregungen.

Das Thema ist an Aktualität kaum zu überbieten: Längst haben die europäischen Gesellschaften ein deutliches multikulturelles Gepräge erhalten - samt allen Bereicherungen, Konflikten und Orientierungsbedürfnissen, die damit einhergehen. So vergeht kaum ein Monat, in denen nicht in Talkshows, Zeitungen oder politischen Gremien darüber diskutiert würde, wie das Miteinander von Menschen verschiedener kultureller Herkunft gelingen kann. Dass dieses Thema auch die Kirchen nicht unberührt lassen kann, liegt auf der Hand.

Stefan Heinemann hat nun ein Buch vorgelegt, das sich dieser Realität als einer gewichtigen "Herausforderung für Kirche und Diakonie" annimmt. Inhaltlich orientiert es sich am Dreischritt von Wahrnehmen, Urteilen und Handeln. Zunächst werden die Konzepte von Migration und Interkulturalität material- und faktenreich aufgearbeitet, jeweils unter besonderer Berücksichtigung der Situation in Deutschland. Anschließend werden aus einer biblisch-theologischen Besinnung auf den Umgang mit Fremden Kriterien erhoben, die dann in ein Lernmodell interkultureller Kompetenz einmünden. Dahinter steht die Überzeugung, dass jene biblisch inspirierten Haltungen nicht selbstverständlich sind, sondern des gezielten und dauerhaften Lernens bedürfen, um ihre Wirkung zu entfalten. Hierin liegt das gedankliche Scharnier, das zwischen den Beobachtungen des ersten Teils und den praktischen Anwendungen des dritten Teils vermittelt. Dort zielt Heinemann schließlich auf "Leitlinien für diakonisches und kirchliches Handeln in Migrationskontexten", die dann an zwei Praxisfeldern erprobt werden: Ein kürzerer Abschnitt widmet sich den Wegen zur interkulturellen Öffnung diakonischer Einrichtungen, ein deutlich längerer Gedankengang beschäftigt sich mit dem Kontakt zwischen evangelischen Kirchengemeinden und charismatischen Migrationskirchen.

Das Buch zeichnet sich besonders durch drei Vorzüge aus: Erstens wird das Thema in wünschenswerter Breite behandelt, so dass es geradezu als ein Kompendium in Sachen Interkulturalität für die kirchliche und diakonische Praxis gelesen werden kann. Dazu trägt auch die Klarheit in Sprache und Gliederung bei, die den Leserinnen und Lesern einen schnellen Zugang auch zu einzelnen Facetten vermittelt. Zweitens lebt das Buch von seinem ausgeprägten Praxisbezug. Neben den präzisen Wahrnehmungen im ersten Teil sticht dies besonders im Kapitel über den Umgang mit charismatischen Migrationskirchen heraus. Hier findet sich eine Fülle von praktischen Anregungen, die stets getragen sind von den vorher erarbeiteten theoretischen und theologischen Einsichten. Drittens schließlich können Heinemanns Ausführungen dadurch überzeugen, dass sie sich ganz auf die gegenwärtigen Debattenlagen konzentrieren. Das betrifft sowohl die soziologischen und sozialpsychologischen Beobachtungen des ersten Teils als auch die Ausführungen zum interkulturellen Lernen, wo Heinemann eine Vielzahl aktueller Ansätze verarbeitet.

Daraus lässt sich zugleich ablesen, was dieses Buch nicht ist und sein will: Es handelt sich nicht um eine theologische Grundlagenreflexion, sondern es bewegt sich durchgängig auf einer anwendungsbezogen "mittleren" Theorieebene. Wer etwa systematische Überlegungen zum Verhältnis von Christentum und Kultur erwartet, wäre hier an der falschen Adresse. Das ist dem Autor sicherlich nicht anzulasten, denn derartige Fragen würden noch einmal ein ganz eigenes Buch erfordern. Wer sich jedoch gegenwartsbezogen und praxisrelevant mit Interkulturalität beschäftigen will, findet hier reichhaltige Anregungen.

Stefan Heinemann: Interkulturalität. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2012, 292 Seiten, Euro 34,-.

Tobias Braune-Krickau

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