Strandidylle mit Scheiterhaufen

Auf Gut Schmoel in Holstein spielte sich ein schreckliches Kapitel der Kirchengeschichte ab
Am idyllischen Strand hinter dem Landgut wurden im Jahre 1686 achtzehn Menschen auf Scheiterhaufen verbrannt. Foto: Martin Glauert
Am idyllischen Strand hinter dem Landgut wurden im Jahre 1686 achtzehn Menschen auf Scheiterhaufen verbrannt. Foto: Martin Glauert
Im Jahre 1686 bezichtigte Graf Christoph von Rantzau achtzehn seiner Untertanen der Hexerei und ließ sie am Ostseestrand verbrennen. Im gleichen Jahr erhob Pastor Johann Christoph Linekogel seinerseits Anklage gegen den Grafen wegen "ungetreuer Prozessführung".

Der Tatort gibt sich trügerisch harmlos. Die kleinen Läden an der Uferpromenade von Schönberg laden mit ihren bunten Auslagen zum Shopping ein, von den Imbissbuden weht mit den Sprachfetzen vergnügter Urlauber ein verlockender Geruch von Räucherfisch und Bier herüber. Kinder graben mit Eimer und Schüppchen eifrig im Sand, während ihre Eltern sich in den Strandkörben in der Sonne räkeln. Grellbunte Drachen tanzen hoch oben im Wind und sehen auf die idyllische Szenerie herab. Die war nicht immer so lieblich wie heute.

Am Abend des 30. Juni 1686 brennen an dieser Stelle achtzehn Menschen als lebende Fackeln qualvoll zu Tode. Ihre Schreie gellen über den Strand, werden allmählich schwächer und schließlich vom Rauschen der Brandung übertönt. Die verhängnisvollen Ereignisse, die in dieser grausigen Nacht münden, nahmen nur wenige Kilometer von hier entfernt ihren Anfang.

Weithin sichtbar erhebt sich aus dem flachen Land das Gut Schmoel. Seine mächtigen Bäume, die reetgedeckten Scheunen und das rote Ziegeldach des Torhauses sind schon aus der Ferne zu erkennen. Der Wagen wirbelt auf dem sandigen Zufahrtsweg eine Staubfahne hinter sich auf. Aus der Nähe macht das malerische Gehöft einen eher dunklen und abweisenden Eindruck. Die vergitterten Ritterhelme auf dem Wappen derer von Reventlow schauen seit "Anno 1690" drohend vom Burgtor herab. "Privatweg. Durchfahrt verboten", warnt das Schild am Eingang. Wie zur Bekräftigung knurrt und bellt ein misslauniger Hofhund den Besucher an. Der tritt dennoch zögernd über die steinerne Brücke und durch den mächtigen Torbogen und gelangt auf einen weitläufigen Gutshof. Große Fachwerkscheunen begrenzen den kopfsteingepflasterten Hof, ein einzelner Mann in einem blauen Arbeitsanzug verschwindet hinter der hölzernen Werkstatttür. Die Scheiben sind blind, außen an der Wand hängt ein verwitterter Holzkasten mit einer vergilbten Chemiereklame für Pestizide. Der Weg führt geradeaus zu dem ehemaligen Burgwall. An dieser Stelle befand sich einst das Herz des Gutes, eine stolze Wasserburg. Geblieben aber ist nur noch ein weißer Taubenschlag inmitten alter Bäume, die im Wind rauschen.

Störtebekers Schlupfwinkel

Zum ersten Mal wird Gut Schmoel im Jahre 1433 erwähnt. Der slawische Name bedeutet soviel wie "Pech" oder "Teer", der hier am Rande der Wälder gewonnen wurde und beim Bau großer Schiffe Verwendung fand. Selbst Klaus Störtebeker, der ebenso berüchtigte wie bewunderte Seeräuber, der in diesem Landstrich in Liedern und Geschichten lebendig geblieben ist, bezog den Werkstoff für seine Schiffe von hier und soll mit seinen "Vitalienbrüdern" ganz in der Nähe einen Schlupfwinkel gehabt haben. In die Tormauer über der Brücke sind die eisernen Buchstaben "Ch v R" geschmiedet, die Initialen des früheren Herrn auf Schmoel, der mit dem Hexenprozess traurige Berühmtheit erlangt hat und eine verhängnisvolle Rolle in dieser Geschichte spielt.

Im Nachbarort erinnern Strohpuppen an die Hexenverbrennung. Fotos: Martin Glauert
Im Nachbarort erinnern Strohpuppen an die Hexenverbrennung. Fotos: Martin Glauert
Gut Schmoel: Die Hofeinfahrt führt zu eienem stolzen Burgtor.
Gut Schmoel: Die Hofeinfahrt führt zu eienem stolzen Burgtor.

In dem durchgehend evangelisch geprägten Ostholstein tritt Christoph von Rantzau im Jahre 1650 zum katholischen Glauben über. Das ist ein ungewöhnlicher Schritt, der viel Aufsehen erregt. Zum einen ist Christophs Ehefrau die Äbtissin eines evangelischen Klosters, zum anderen ist nur zwei Jahre zuvor der Dreißigjährige Krieg zu Ende gegangen, der mit seiner Grausamkeit unüberbrückbare Gegensätze zwischen Katholiken und Protestanten hinterlassen hat. Christoph von Rantzau wird denn auch von Papst Innozenz und dem Kaiser für seine Heimkehr in den Schoß der "allein seligmachenden Kirche" hoch geschätzt, reich belohnt und bald darauf in den Reichsgrafenstand erhoben. Das wiederum muss den religiösen Eifer des Grafen offenbar weiter angespornt haben, mit tragischen Folgen.

Der Gutsverwalter berichtet dem Grafen eines Tages von Zauberei und Hexenwesen auf dem Gut Schmoel. Umgehend lässt Christoph von Rantzau die verdächtigten Personen verhaften, verhören und foltern. Mit dem Folterknecht vereinbart er einen Stücklohn für jedes gelieferte Geständnis. Solch ein Anreiz hat den zu erwartenden Erfolg: neben dem eigenen Geständnis presst der Folterknecht weitere willkürliche Namen von Dorfbewohnern aus den Gemarterten heraus, die in der Folge ebenfalls verurteilt werden. Die Chronik berichtet, dass "18 Personen (nur 1 Mann, sonst lauter Weiber) zusammen accusieret, inhaftieret, examinieret, aufs Wasser teils geworfen, torquieret, condemnieret, und exequieret" wurden. Christoph von Rantzau fällt in gutsherrlicher Selbstgefälligkeit die Urteile über die Opfer, eigenmächtig und in großer Eile. Alle achtzehn Angeklagten werden auf sein Geheiß hin bei lebendigem Leibe am Strand der Ostsee verbrannt.

Beschwerde wegen Formfehler

Aber die Sache hat ein Nachspiel. Dem evangelischen Pastor Johann Christoph Linekogel aus dem benachbarten Giekau lassen die Schreie der Opfer keine Ruhe. Detektivisch weist er nach, dass Christoph von Rantzau in dem Verfahren Fehler begangen hat. Denn auch das Foltern und Verbrennen von Hexen unterliegt gewissen formalen Richtlinien, so aberwitzig dies heute auch erscheint. Pfarrer Linekogel legt aufgrund von Formfehlern gegen die Selbstjustiz des Grafen Rantzau Beschwerde beim König ein.

Der Untersuchungsbericht kommt zu dem Ergebnis, "es seien hierin so viele und so enorme informalitäten und nullitäten, daß man mit Grunde der Wahrheit sich woll sagen kann, daß in obgemelten processibus criminalibus nicht der geringste passus justificabel sei". Christoph von Rantzau entzieht sich den unbequemen Vorwürfen durch einen Kuraufenthalt. "Nach Folter verreist", mag sein Sekretär auf Anfrage entgegnet haben. Der Graf unterzieht sich geistlichen Übungen und ist nicht zu sprechen, "da ich wichtigere und angelegenere Sachen, umb mich zu der glückseligen Ewigkeit voll zu disponieren, zu thun habe", wie er ausrichten lässt.

Schließlich aber wird doch ein Prozess wegen der skandalösen Justizmorde gegen ihn angestrengt, und tatsächlich wird er zu einer Geldbuße von 20?000 Talern verurteilt. Lebendig wurde davon allerdings niemand mehr. Gemäß einer anderen Quelle konnte der Pastor während des Hexenprozesses beim Grafen bewirken, dass die Verurteilten erdrosselt wurden, bevor sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Auch das ändert nichts - noch heute, mehr als dreihundert Jahre nach den Ereignissen, verspürt der Besucher auf Gut Schmoel eine beklemmende Atmosphäre.

Martin Glauert

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