Die letzte Chance

Dem Emissionshandel in Europa droht das Aus. Das hat auch Folgen für die Entwicklungshilfe
Solaranlagen sorgen für heißes Wasser in dieser Siedlung bei Kapstadt. Das Projekt war das erste in Südafrika, das über den Emissionshandel in Europa finanziert wurde. Foto: dpa / Nic Bothma
Solaranlagen sorgen für heißes Wasser in dieser Siedlung bei Kapstadt. Das Projekt war das erste in Südafrika, das über den Emissionshandel in Europa finanziert wurde. Foto: dpa / Nic Bothma
Im Juli wird das Europaparlament über einen strengeren Emissionshandel abstimmen. Einmal hat es die Reform bereits abgelehnt. Sollten die Parlamentarier dabei bleiben, steht nicht nur ein zentrales Element europäischer Klimapolitik vor dem faktischen Aus, sondern auch zahlreiche Projekte der Entwicklungshilfe. Der Journalist Frank Kürschner-Pelkmann erklärt die Zusammenhänge und beschreibt, was die Kirchen tun können.

Sollte ein Grabstein für die europäische Klimapolitik aufgestellt werden, dann könnte nach jetzigem Stand darauf der 16. April 2013 als Sterbetag eingemeißelt werden. Von der europäischen Öffentlichkeit wenig wahrgenommen und inzwischen meist längst wieder vergessen, hat das Europäische Parlament an diesem Tag mehrheitlich eine Reform des Emissionshandels abgelehnt und damit das wichtigste Instrument der EU-Klimapolitik zunächst zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Weil der Antrag vom Parlament aber an den zuständigen Umweltausschutz zurücküberwiesen wurde, werden die Abgeordneten im Juli noch einmal darüber abstimmen. Der Ausgang ist ungewiss.

Anfang 2005 hatte die EU den Emissionshandel eingeführt, um mit marktwirtschaftlichen Mitteln den klimaschädlichen Schadstoffausstoß zu reduzieren und so internationalen Verpflichtungen zum Klimaschutz nachzukommen. Etwa 11.000 Industrieanlagen und Kraftwerke dürfen seither nur noch in dem Umfang Kohlendioxid ausstoßen, wie sie dafür über Emissionsberechtigungen (Zertifikate) verfügen. Für die ersten Jahre wurden die Zertifikate größtenteils kostenlos ausgegeben, aber schrittweise müssen mehr Zertifikate, die jeweils zu einer Tonne CO2-Emissionen berechtigen, gekauft werden. Die Einnahmen fließen in den Klimaschutz der einzelnen Mitgliedsländer.

Nicht benötigte Zertifikate können von Unternehmen an speziellen Börsen veräußert, zusätzlich benötigte dort erworben werden. Es ist ein schwunghafter Handel mit diesen "Verschmutzungsrechten" entstanden, aber der Preis je Zertifikat fiel bis 2013 von zunächst 30 Euro auf unter fünf Euro. Von Anfang an wurden zu viele Emissionsberechtigungen kostenlos ausgegeben, sodass ein Überangebot nicht benötigter Zertifikate die Börsen überschwemmte. Der Preisverfall macht Investitionen von Unternehmen in den Klimaschutz kaum noch lohnend, während die Betreiber alter Kohlekraftwerke keine signifikanten Belastungen durch den Erwerb von Zertifikaten zu verkraften haben. Um diesen Prozess zu stoppen, wollten EU-Kommission und viele europäische Umweltminister 900.000 Zertifikate zumindest vorübergehend aus dem Markt nehmen.

Einnahmen sinken

Kirchen und kirchliche Hilfswerke haben vehement für eine Annahme dieses Antrags im Europäischen Parlament geworben. So schrieben der Bevollmächtigte des Rates der EKD und der Leiter des Kommissariats der (katholischen) deutschen Bischöfe in einem gemeinsamen Brief an die deutschen Europaabgeordneten, dass die zeitweise Entnahme von Emissionsrechten ein "wichtiges Signal politischen Willens für die Fortführung einer ambitionierten europäischen Klimaschutzpolitik" sei. Die Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor forderten die Abgeordneten öffentlich auf: "Bringen Sie das Schiff sicher in den Hafen. Stimmen Sie bitte für den Klimaschutz!" Die CDU-Europaabgeordneten Herbert Reul und Markus Pieper forderten daraufhin in einem Brief an die Leitungen der Kirchen von den Hilfswerken, "ihre gesellschaftliche Gesamtverantwortung wahrzunehmen und ... nicht undifferenziert einseitig Partei für oder gegen begründete Klimaszenarien zu beziehen".

Die Ablehnung der Vorlage im Europäischen Parlament hatte zur Konsequenz, dass umgehend der Preis je Zertifikat auf ein Rekordtief von 2,63 Euro fiel. Die EU-Regierungen erhalten nun aus der Versteigerung neuer Zertifikate weit weniger Einnahmen als erwartet. Die Bundesregierung hatte Verkaufserlöse von mehr als drei Milliarden Euro im Jahr für Maßnahmen im Rahmen von Energiewende und Klimapolitik eingeplant. Jetzt ist vermutlich nur noch etwa ein Drittel der Summe zu erwarten und viele Vorhaben sind gefährdet. Auch diejenigen Industrie- und Energieunternehmen, die in Erwartung eines funktionierenden Emissionshandels in klimaschonende Anlagen investiert haben, erleiden inzwischen Wettbewerbsnachteile gegenüber Konkurrenten, die längst abgeschriebene klimaschädliche Altanlagen weiter betreiben. Benachteiligt sind zum Beispiel neue klimafreundlichere Gaskraftwerke im Vergleich zu Kohlekraftwerken. Dabei kommt es beim Klimaschutz insgesamt ja darauf an, "dass diejenigen, die sich ökologisch verhalten, nicht die Dummen sind, sondern im Gegenteil wirtschaftliche Vorteile haben", wie der bayerische Landesbischof, Heinrich Bedford-Strohm, kürzlich in seinem Beitrag für zeitzeichen (zz 5/2013) formuliert hat. Zu den aktuell Geschädigten gehört unter anderem der EON-Energiekonzern, der in erneuerbare Energie und klimafreundlichere Kraftwerke investiert hat. Der EON-Vorstandsvorsitzende Johannes Teyssen wirbt daher für einen funktionierenden Emissionshandel und mahnte in einem Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" nach dem Beschluss des Europäischen Parlaments: "Der europäische Emissionshandel ist ein todkranker Patient. Entweder therapieren wir ihn jetzt oder er stirbt."

Clean Development Mechanism

Beträchtlich sind auch die Auswirkungen des Beschlusses des Europäischen Parlaments auf die internationale Klimapolitik, die ohnehin seit Jahren kaum vorankommt. Die EU galt jahrelang - etwa im Unterschied zu den USA - als ein Akteur mit ernsthaftem Interesse an einem neuen wirksamen internationalen Klimaabkommen. Durch den Beschluss zum Emissionshandel wurde die Glaubwürdigkeit der EU schwer erschüttert. Dazu noch einmal EON-Chef Teyssen: "Wir geben eine lächerliche Figur ab."

Doch es geht nicht nur um zukünftige Regelungen, auch bisherige UN-Klimaschutzinitiativen nehmen Schaden, sollte der Beschluss des Europaparlamentes Bestand haben. Auf der Grundlage von Beschlüssen der UN-Klimakonferenzen wurde in den letzten Jahren ein "Clean Development Mechanism" (CDM) eingeführt. Unternehmen und Einrichtungen in Entwicklungsländern, die nachweislich klimaschädliche Emissionen vermeiden, erhalten dafür Zertifikate, die sie international anbieten können. Als Käufer kommen Regierungen in Industrieländern infrage, die so einen Teil ihrer Zusagen für Emissionsreduzierungen erfüllen, ebenso Unternehmen, die die in Entwicklungsländern erworbenen Zertifikate ähnlich wie nationale oder europäische Zertifikate einsetzen können.

Die Regierungen der Industrieländer fallen aber als Käufer weitgehend aus, weil sie so geringe Klimaziele zugesagt haben, dass sie diese auch ohne Zukäufe von Zertifikaten erreichen können. Über 90 Prozent der Käufer der Zertifikate im Rahmen des CDM sind europäische Unternehmen, die am EU-Emissionshandel beteiligt sind. Der Preis der Zertifikate für CDM-Projekte steht deshalb in enger Beziehung zum Preis der europäischen Emissionszertifikate. Auch er befindet sich deshalb im Sinkflug.

Empfindlicher Rückschlag

Bisher haben vor allem China und Indien vom komplizierten "Clean Development Mechanism" profitiert. Wirtschaftlich arme Entwicklungsländer mit schwachen staatlichen Verwaltungsstrukturen haben viel Zeit benötigt, um überhaupt die Grundlagen für eine erfolgreiche Zertifizierung von CDM-Projekten zu schaffen. Dieser Aufwand dürfte nun weitgehend vergeblich sein, denn bei dem minimalen Preis der Zertifikate lohnen sich die Kosten einer Zertifizierung kaum noch.

Dabei sollen CDM-Projekte eine wichtige Rolle beim Übergang der Entwicklungsländer zu einer "grünen Wirtschaft" übernehmen. Das UN-Umweltprogramm UNEP und andere UN-Einrichtungen propagieren die "grüne Wirtschaft" als Weg, um Entwicklungsländern den Übergang zu einem höheren Wohlstand zu ermöglichen und dabei Wirtschaftswachstum und Klimaschutz miteinander zu verbinden. Bei den letzten internationalen Umwelt- und Klimakonferenzen haben die Regierungen der Industrieländer wiederholt zugesagt, den Entwicklungsländern durch Technologietransfer und Finanzmittel dabei zu helfen, ihre Wirtschaft "grüner" zu gestalten. Zuletzt geschah dies bei der UN-Klimakonferenz in Doha im Dezember 2012. Es gibt viel Kritik am Konzept der "grünen Wirtschaft", aber es kann Möglichkeiten eröffnen, staatliche Programme der Umwelt- und Klimapolitik mit den Aktivitäten der vielen hundert lokalen Ökogruppen und -betriebe zu verknüpfen. Allerdings ist die "grüne Wirtschaft" überall noch ein zartes Pflänzchen, und ein Zusammenbruch der CDM-Initiativen würde einen empfindlichen Rückschlag bedeuten.

Sollte das Europaparlament bei seiner Ablehnung bleiben, erschwert dies auch die Finanzierung des "Green Climate Fund", eines der wenigen konkreten Ergebnisse der letzten UN-Klimakonferenzen. Mit dem Fonds sollen in Entwicklungsländern sowohl Programme zum Schutz des Klimas als auch Maßnahmen zur Anpassung an den nicht mehr zu vermeidenden Klimawandel finanziert werden. Die Mittel des Fonds sollen vor allem durch die Regierungen der Industrieländer sowie durch Unternehmen und neue innovative Finanzierungsinstrumente (etwa eine Finanztransaktionssteuer) aufgebracht werden. Bis 2020 sollen die Einzahlungen in den Fonds schrittweise auf einhundert Milliarden Dollar im Jahr steigen. In den Entwicklungsländern bestehen Zweifel, ob die Industrieländer ihre Zusagen einhalten werden, zumal die Einzahlungen in den Fonds bisher schleppend erfolgen. Die Entwicklungsländer, die auf diese Gelder dringend angewiesen sind, haben angekündigt, dass sie keinem neuen UN-Klimaabkommen zustimmen werden, wenn die zugesagten Gelder für den "Green Climate Fund" ausbleiben und keine glaubwürdigen Finanzierungspläne für die kommenden Jahre vorliegen. Die EU-Mitglieder hätten einen bedeutenden Teil ihrer Einnahmen aus dem Emissionshandel für den internationalen Klimafonds einsetzen können. Jetzt stehen die Umweltminister erst einmal vor der Aufgabe, angesichts sinkender Einnahmen auch nur zugesagte Mittel für Klima- und Energieprogramme im eigenen Land finanziell abzusichern.

Verhältnis von Ökologie und sozialer Gerechtigkeit

Was können die Kirchen in so einer Situation tun? Gefragt sind entschiedene Standpunkte und Glaubwürdigkeit. Die Kirchen in Deutschland und in der weltweiten Ökumene müssen ihr Klimaengagement auf die Krise der internationalen Klimapolitik einstellen. Unverzichtbar ist, gemeinsam mit anderen Akteuren der Zivilgesellschaft den Druck auf die Regierungen zu erhöhen, tatsächlich bis Ende 2015 ein neues wirkungsvolles weltweites Klimaabkommen abzuschließen, das dann 2020 in Kraft treten könnte. Um dafür Bündnispartner im Süden der Welt und in der eigenen Gesellschaft zu finden, gilt gerade beim Klimaengagement das, was Bischof Bedford-Strohm in seinem erwähnten Beitrag so formuliert hat: "Eine Schlüsselrolle nimmt dabei das Verhältnis von Ökologie und sozialer Gerechtigkeit ein. ... Erforderlich ist auch eine Transformation der globalen Wirtschaft hin zu einer kohlenstoffarmen Entwicklung und einem neuen, ressourcenverbrauchsarmen Lebensstil." Dafür gibt es in den hiesigen Kirchen seit vielen Jahren zahlreiche Fürsprecher und wegweisende Synodenbeschlüsse. Allerdings gelingt es den Kirchen zu wenig, diese Positionen wirksam in die Öffentlichkeit und den politischen Diskurs einzubringen. Vielleicht besteht zu wenig Bereitschaft, sich mit klaren eigenen Positionen in Konflikte hinein zu begeben. Ein solches Engagement löst Widerspruch aus, wie die eingangs erwähnte Kritik einiger Politiker an der Position der kirchlichen Hilfswerke zum Emissionshandel zeigt, aber allein als neutrale Vermittler können Kirchen keinen überzeugenden Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten. Konkret bedeutet dies zum Beispiel, dass kirchliche Gruppen, Kirchengemeinden und Kirchenkreise, die sich gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke zur Wehr setzen, eine sehr viel breitere kirchliche Unterstützung verdienen.

Glaubwürdigkeitslücke in der Kirche

Eine wichtige Aufgabe der Kirchen und christlichen Initiativen in der hiesigen Klimadebatte besteht darin, die Stimmen der Kirchen im Süden der Welt zu den Folgen des Klimawandels und zur Notwendigkeit eines konsequenten Klimaschutzes noch deutlicher zur Geltung zu bringen. Die weltweit miteinander verbundene Christenheit ist in einzigartiger Weise dazu prädestiniert, gemeinsame ökumenische Positionen in die Debatten einzubringen. Dabei gilt es, die pointierten Auffassungen der pazifischen Kirchen wahrzunehmen, die fürchten müssen, dass ihre Atolle und Inseln in absehbarer Zeit im Meer versinken werden, wenn die globalen klimaschädlichen Emissionen nicht rasch und wirksam gestoppt werden.

Die Glaubwürdigkeit der Kirchen in Klimadiskursen wird ganz wesentlich davon abhängen, in welchem Umfang sie selbst Beiträge zum Klimaschutz leisten. Eine Glaubwürdigkeitslücke wurde zum Beispiel sichtbar, als die Deutsche Umwelthilfe im Dezember 2012 öffentlich machte, dass die Dienstfahrzeuge vieler deutscher Bischöfe hohe klimaschädliche Emissionen aufweisen. Umgekehrt gewinnen Kirchen und Kirchengemeinden an Glaubwürdigkeit und an Bündnispartnern, wenn sie überzeugende Konzepte des Klimaschutzes umsetzen. Und dafür gibt es erfreulicherweise immer mehr Beispiele. Fast alle Landeskirchen und ein großer Teil der Kirchengemeinden setzen inzwischen Programme um, mit denen Energie eingespart und klimaschädliche Emissionen vermieden werden. Was viel zu wenig gelingt, ist die Kommunikation dieser Initiativen in die Kirchengemeinden und die Öffentlichkeit hinein. Das erklärt zu einem Teil, warum die Kirchen 2011 in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen so wenig als "Akteure der Transformation" wahrgenommen wurden und Bischof Bedford-Strohm diagnostizieren musste, dass sie in dem umfangreichen Bericht nur zwei Mal kurz erwähnt worden waren.

Frank Kürschner-Pelkmann

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