Von Termiten und Hochstaplern

Warum die Forstwirtschaft in Peru auf Illegalität und Korruption beruht
Um Holz schlagen zu dürfen, benötigen die indigenen Gemeinden nur eine einfache Genehmigung. Foto: Bettina Hoyer
Um Holz schlagen zu dürfen, benötigen die indigenen Gemeinden nur eine einfache Genehmigung. Foto: Bettina Hoyer
Siebzig Millionen Hektar beträgt die Waldfläche des peruanischen Amazonas. Illegale Holzfäller machen damit Geschäfte, wie die Berliner Journalistin Bettina Hoyer bei einem Besuch erfuhr. Interpol und die UN-Umweltbehörde UNEP zogen in einer kürzlich veröffentlichten Studie den Vergleich mit dem Drogenhandel.

Fast hätte ich sie übersehen. Reste einer zerstückelten Leiche, zwischen Ranken und Gestrüpp. Einer Baumleiche. Einst war dies eine stattliche Zeder. Es gibt Tausende und Abertausende solcher Überreste. Aus Mahagoni, Kapok, Talg-Muskatnuss. Siebzig Millionen Hektar beträgt die Waldfläche des peruanischen Amazonas. Sie schwindet. Rapide. Emsig wie Termiten schneiden illegale Holzfäller Stücke aus der grünen Lunge. Und in aller Stille machen sie damit so großartige Geschäfte, dass Interpol und die UN-Umweltbehörde UNEP in einer kürzlich veröffentlichten Studie den Vergleich mit dem Drogenhandel wagen. Für Peru schätzten KfW-Entwicklungsbank und peruanisches Umweltministerium im Jahr 2010 die jährliche Abholzung auf 94.000 bis 150.000 Hektar Wald.

"Das Forstwirtschaftsmodell in Peru basiert komplett auf Illegalität und Korruption", schnarrt Abel Benítez, Leiter des "Programm für die Nachhaltige Entwicklung von Forstwirtschaft und wildwachsender Fauna und Flora", in seinem kleinen Büro der Regionalregierung in Iquitos. "Es genügt, den Bericht der Ombudsstelle 'Defensoría del Pueblo' von 2009 zu lesen. Dort steht, dass 90 Prozent des aus Loreto kommenden Holzes illegal war und 80 Prozent der Beamten der Waldbehörde INRENA in Korruptionsfälle verstrickt waren."Der Forstingenieur ist für die Provinz Loreto zuständig. 368.851 Quadratkilometer. 2,4 Einwohner pro Quadratkilometer. Deutschland ist 357.212 Quadratkilometer groß.

Benítez regiert über die nachhaltige Nutzung von rund 37 Millionen Hektar Wald. Das entspricht 60 Prozent der Waldfläche Perus. "Neunzig Prozent der Arbeitsplätze in der Provinz hängen direkt oder indirekt von der Holzwirtschaft ab", unterstreicht er. "Ein Baum, der im Wald steht" ist seiner Meinung nach "zu nichts nütze. Er ist nur eine Versuchung für den illegalen Holzeinschlag." Benítez ist sichtlich bemüht, Korruption als Altlast der Vergangenheit darzustellen, während die Zentralregierung in Lima zuständig war. Trotzdem sagt er: "Wenn Sie heute investieren und legal arbeiten, haben Sie im schlechtesten Fall nach drei Monaten ihr Geld wieder eingespielt und einen vierfachen Gewinn. Arbeiten Sie illegal, verdoppelt oder verdreifacht sich diese Summe. Der Holzsektor ist sehr rentabel." Ihm selbst seien einmal umgerechnet rund 87.000 Euro angeboten worden, damit er grünes Licht für eine illegale Holzfracht gibt.

Es fehlt an technischem Wissen

Stunde um Stunde entfernen wir uns von unserem Abfahrtsort, der 400.000-Einwohner-Stadt Iquitos. Einem Moloch in Goldgräberstimmung, der nur per Flugzeug oder Boot erreichbar ist. Wir entfernen uns von Apotheken, Polizeiwachen, Haushaltswarenläden. Seit dem Morgen sind wir mit dem himmelblauen Motorboot unterwegs. Zunächst ging es auf dem Amazonas flussabwärts, dann sind wir links in den Fluss Apayacu abgebogen.

Am Spätnachmittag steht die Gruppe aus deutschen und peruanischen Journalisten, Indigenen, Entwicklungshelfern und Menschenrechtsverteidigern, die im Gebiet der Yagua-Indigenen nach den Spuren von "Termiten" und ihren Agenten sucht, dann im Waldgebiet der Gemeinde Cuzco. Hier wurde eine Cedrela odorata umgelegt. Widerrechtlich.

Ángel Yaicate, der Sohn des ehemaligen Dorfvorstehers, erklärt: "Wir beantragten auf gemeinschaftlichen Beschluss hin bei der Waldbehörde INRENA eine Erlaubnis zum Holzschlagen. Da wir selbst über keine Ressourcen dafür verfügten, begannen wir, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten. Im vierten Jahr sandte uns das Unternehmen einen Berater, der einen falschen Bericht ablieferte. Wir hatten nicht die in der Erlaubnis angeführte Menge Zedernholz, aber der Unternehmer Joel Campos sagte: 'Wenn ihr dieses Holz nicht habt, ist das kein Problem.' Er organisierte dann den illegalen Holzeinschlag mit unserem Einverständnis. Jetzt hat uns der Staat bestraft, und wir sitzen auf einer Strafe von 20.000 Soles."

Foto: Bettina Hoyer
Foto: Bettina Hoyer

Kleinbauer Lizardo Flores.

Umgerechnet sind das etwa 5.900 Euro. Zuviel für die schmale Gemeindekasse dieses Dorfes. Etwa fünfzig Familien leben hier vom Anbau von Maniok und Bananen, von Hühner- und Schweinehaltung, von Jagd und Fischfang - für die Selbstversorgung. Geld wird so keines erwirtschaftet. Und Cuzco darf vorerst kein Holz mehr verkaufen.

Der Kleinbauer Lizardo Flores wird anderntags noch ergänzen, dass der Traktor der Holzfirma immer wieder verreckt sei. Deshalb sei der Unternehmer mitsamt seinen Maschinen irgendwann verschwunden und "ließ das Holz einfach liegen - ohne uns zu bezahlen".

Um in ihren Gebieten kommerziell Holz schlagen zu dürfen, brauchen die indigenen Gemeinden am Apayacu nur eine einfache Genehmigung. Für Firmen ist das Verfahren komplizierter, weshalb es für sie sehr attraktiv ist, mit indigenen Gemeinschaften "zusammenzuarbeiten".

Den Gemeinden fehlt technisches Gerät und Wissen, um den Wald selbst bewirtschaften zu können. Viele Bewohner sind zudem Analphabeten. Es ist wie in den entlegenen Dörfern unserer Breiten: Wer nicht mobil sein kann, muss zu dem Preis kaufen und kann nur das bekommen, was der mobile Krämerladen anbietet. Internet gibt es dort jedoch nicht. Dafür aber jede Menge Halsabschneider, Hochstapler und Termiten unter den fahrenden Krämern.

Der Trick mit den falschen Angaben in den Papieren wiederholt sich in ganz Amazonien. Doch manche Krämer bieten schier unglaubliche Dinge in ihrem Laden feil. So der Australier David Nilsson, der sich den Matses-Indigenen mit der Offerte näherte, einen REDDplus-Vertrag über ihr Territorium abzuschließen. "Er sagte, er werde die Zertifikate verkaufen. Der Gewinn gehe zur Hälfte an uns und zur Hälfte an ihn", berichtet der Matses Daniel Manquid. "Den Vertrag wollte Nilsson in England registrieren lassen, so dass wir bei Problemen dorthin hätten gehen müssen. Aber er hat das sehr schön erklärt, und wir waren froh, denn es fehlt uns immer an Einkommen", schildert Manquid den Lauf der Dinge.

Tiefe Zerwürfnisse

Dann zeigt jemand Manquid einen Zeitungsartikel von 1996 aus dem Courier Mail. Damals war aufgeflogen, dass Investoren aus Singapur 1,5 Millionen US-Dollar für sieben Grundstücke gezahlt hatten, die es gar nicht gab. Die "Nilsson Corporation" wurde daraufhin aufgelöst, die Gläubiger klagten. Der Lehrer Daniel Manquid wird nach diesem Artikel misstrauisch, sucht Hilfe beim Indigenenverband Aidesep und der Ombudsstelle und geht an die Öffentlichkeit. Es folgen Intrigen, Absetzungen von Stammesältesten, sogar Strafanzeigen - aber die Matses unterschreiben nicht.

Anders die drei Yagua-Gemeinden Cuzco, Sabalillo und Apayacu. Sie unterzeichneten Nilssons Angebot - nur das Dorf Yanayacu lehnte ab. Warum man das unterschreibt? Dauernd kämen NGOs vorbei, versprächen allerhand Dinge. "Aber sie bringen kein Geld. Und wir brauchen Geld." Unternehmer versprechen Geld. Geld für Schulbildung, für Seife, für Medizin, für Schnaps. Staatliche Unterstützung gibt es kaum oder gar nicht. Das Verhängen von Geldstrafen scheint jedoch zu funktionieren.

Nilsson, der in Hongkong die "Sustainable Carbon Resources Limited" gegründet hatte und sein Partner, der US-Amerikaner James Luis King, schwadronierten den Yagua vor, sie würden die Dörfer in den ersten Jahren mit Motorsägen, Haustieren und Benzin versorgen, um zwanzig Holzarten in Hongkong zu vermarkten. Bis das CO2-Projekt starten könnte. Im Gegenzug wäre die Holding Vermittler bei allen Geschäften und verwalte alle Güter und Gewinne für die nächsten hundert Jahre.

Foto: Bettina Hoyer
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Eine Dorfversammlung ...

Foto: Bettina Hoyer
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... in Saballilo, Peru.

"In Sabalillo stellte Nilsson sich als Vertreter von Weltbank und UNO vor. In Cuzco erklärte er, er werde uns täglich einen Lohn von siebzig Soles dafür zahlen", berichtet Ángel Yaicate. Einen "Verräter" habe man ihn im Dorf genannt, weil er sich gegen den Vertrag stemmte. Ihm war es nicht geheuer, dass etwas unterzeichnet werden sollte, was sie nicht gelesen hatten. Spaltungen und tiefe Zerwürfnisse gibt es nun in den Gemeinden wegen der Frage, ob man Nilsson lieber ins Boot setzen oder mit ihm zusammenarbeiten sollte. Ana Rosa Saénz von der Organisation IBC erklärt, es hätten sogar Familien um Asyl gebeten.

In einem Beitrag der australischen Sendung "60 minutes" vom Juli dieses Jahres wurde Nilsson mit versteckter Kamera dabei gefilmt, wie er einem vorgeblichen Verkäufer - einem Reporter - versucht, seine Verträge über die Yagua-Territorien anzudrehen: "Meine Verträge sind zweihundert Jahresverträge, in Stein gemeißelt. Wenn die CO2-Sache vorbei ist, kann der Regenwald dort gerodet werden", so Nilsson. "Wir werden einen Aufforstungsplan haben, mit dem die Leute aufforsten können, Palmöl pflanzen, sie können all das Holz schlagen und niemand kann sie stoppen. Niemand kann sie stoppen."

Tatsachen schaffen

Kann man gültige REDDplus-Verträge abschließen, bevor dieser Mechanismus überhaupt implementiert ist? Fest steht: Nilsson könnte die Verfügungsgewalt über die Territorien der Yagua für einen langen Zeitraum erworben haben. Ob sich seine Verträge als wasserfest erweisen, wird sich zeigen. Die Dorfbewohner müssen selbst entscheiden, ob sie gegen die Verträge vorgehen wollen, unterstreichen Anwalt Juan Carlos Torres und die Ethnologin Dr. Sandy El Berr, die als Entwicklungshilfefachkraft die Arbeit der peruanischen Menschenrechtsorganisation IDL unterstützt.

Angesichts der schwachen staatlichen Institutionen in Loreto ist allerdings zu befürchten, dass "Termiten" und Hochstapler schlichtweg unumkehrbare Tatsachen schaffen könnten, ehe Konsequenzen eventueller rechtlicher Schritte greifen. Interpol und UNEP warnen in ihrer Studie eindringlich davor, dass REDDplus komplett schief gehen könnte: "Mit den Investitionen von Milliarden US-Dollar in REDDplus und einem Kohlendioxidmarkt der sich mitten in der Entwicklung befindet, um Investitionen in die Reduzierung von Emissionen zu erreichen, stellen die Mafias und illegalen internationalen Netzwerke aufgrund von Korruption und Betrug ein enormes Risiko für die Emissionsreduzierung und das Abschwächen des Klimawandels dar. Sie gefährden damit die Entwicklungsziele und die Armutsreduzierung in vielen Ländern."

Bettina Hoyer

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