Altes Muster

Deutschland, Amerika, Afghanistan
Foto: privat
Die USA werden sich aus Afghanistan zurückziehen. Vielleicht werden sich die amerikanischen Politiker durch die dort gemachten Erfahrungen davon abbringen lassen, künftig noch einmal auf alte Muster zu setzen.

Die Amerikaner verlassen Afghanistan früher als ursprünglich vorgesehen. Gemessen an dem, was sie sich dereinst vorgenommen hatten - das Land für westliche Werte aufzuschließen, ihm gar die Demokratie zu bescheren -, sind sie gescheitert.

Mit ihrem optimistischen Beginnen waren sie einem alten Muster gefolgt, das sich, darf man vermuten, tief in das amerikanische Bewusstsein eingegraben hat: Im Zweiten Weltkrieg hatten sie ein wahnsinniges Regime bekämpft, dem die Mehrheit der Deutschen zunächst zugejubelt und am Ende in einer Mischung aus Zwang und Verblendung die Nibelungentreue gehalten hatte. Als Sieger machten die Amerikaner die überwältigende Erfahrung, dass sie im Land der Besiegten keinen Guerillakrieg führen mussten; die West-Deutschen und West-Berliner taten, was man ihnen sagte, viele deutsche Frauen warfen sich den GIs an den Hals. Verständlich: Das Regime hatte beispiellosen Bankrott gemacht, das Volk war ausgepowert, die Städte zerstört, es gab kaum etwas zu essen.

Und die "Umerziehung" funktionierte. Ganz allmählich verinnerlichten die Deutschen die ihnen offerierten westlichen Werte.

1948 erschien ein Film des amerikanischen Regisseurs Billy Wilder: "Eine auswärtige Affäre". In ihm wird in humorvoller Weise die Fraternisierung zwischen Besatzern und Besetzten dargestellt: Eine prüde Senatorin soll Gerüchte von unsittlichem Treiben zwischen amerikanischen Soldaten und deutschen Frauen untersuchen, stößt auf eine zwielichtige deutsche Mondäne (Marlene Dietrich), bei der es sich offenbar um eine Karriere-Nazisse handelt, und wird von deren Liebhaber, einem amerikanischen Offizier, zur Ablenkung erfolgreich bis zur vollständigen Vernachlässigung ihrer Pflichten becirct. Das Ende ist zeitgemäß politisch korrekt, die mondäne Schöne wird verhaftet, der amerikanische Offizier hat sich inzwischen wirklich in die biedere Senatorin verliebt ... Dennoch: Der Film stellte dem amerikanischen Publikum die Deutschen als Menschen wie du und ich vor - zu Beginn des Kalten Krieges durchaus politisch erwünscht. Übrigens: Wilder war Jude, er stammte aus dem österreich-ungarischen Galizien, seine Mutter und sein Stiefvater waren im KZ umgekommen.

Im November 1963 wurde der amerikanische Präsident John F. Kennedy ermordet. Sein Tod bedeutete in gewisser Weise Höhe- und Schlusspunkt der deutschen Amerikahörigkeit. Um Kennedy trauerten die Deutschen kaum weniger als die Amerikaner. Doch unter der Ägide des strahlenden Präsidenten hatte auch der Vietnamkrieg begonnen, und wenige Jahre später kam es in der ganzen Welt zu einem Aufstand der Jugend, in Deutschland bekannt als 68er-Bewegung. Die distanzierte sich mit - im Nachhinein nicht ganz neu erscheinender - Sehnsucht nach Radikalität von Amerika als politischem Akteur. Anders in Lifestyle-Dingen, in ihnen eilen die Deutschen jeglicher politischer Couleur den Amerikanern nach wie vor hinterher.

Die USA werden sich aus Afghanistan zurückziehen. Vielleicht werden sich die amerikanischen Politiker durch die dort gemachten Erfahrungen davon abbringen lassen, künftig noch einmal auf jenes gute alte Muster zu setzen. Die Bedingung für sein Funktionieren lag damals darin, dass die Deutschen ungeachtet des von ihnen veranstalteten Kulturbruchs dem selben Kulturkreis angehörten wie die US-Amerikaner. Dafür, dass es sich andernorts ohne diese Bedingung bewähren könnte, fehlt jeder Hinweis.

Helmut Kremers

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