Welt ohne Hunger
Die gute Nachricht zuerst: Eine Welt ohne Hunger ist im kommenden Jahrzehnt erreichbar. Zwar sei es ein ambitioniertes Ziel, bis 2025 alle Menschen in der Welt täglich mit ausreichend Kalorien zu versorgen, sagte Joachim von Braun. "Aber es ist möglich." Der Agrarökonom vom Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn hielt einen von zwei Vorträgen zum Schwerpunktthema der Synode "Es ist genug für alle da – Welternährung und nachhaltige Landwirtschaft".
Doch neben der einen guten Nachricht hatte er auch viele bittere Pillen im Gepäck. So wies er grundsätzlich darauf hin, dass "dort, wo es gebraucht wird", eben nicht genug für alle da sei. Denn es reiche nicht, die noch gut 800 Millionen hungernden Menschen in der Welt mit ausreichend Eiweiß und Energie zu versorgen. "Die Fixierung auf Kalorien ist ein Irrweg, wir müssen Hunger neu definieren", sagte von Braun und verwies auf den "stillen Hunger" durch den Mangel an wichtigen Nährstoffen wie Jod, Zink oder Vitamine, der rund zwei Milliarden Menschen beträfe.
Den zentralen Lösungsansatz sieht von Braun in einer "Intensivierung" der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern. Wissen und Forschungsergebnisse aus den reicheren Ländern müssten stärker mit den Bauern im Süden geteilt und das Saatgut verbessert werden. In diesem Zusammenhang rief er die Synodalen zum Umdenken beim Thema grüne Gentechnik auf. "Wir brauchen eine undogmatische Neubeurteilung", ein möglicherweise vor zehn Jahren ausgesprochenes grundsätzliches "Nein" dürfe nicht das letzte Wort sein.
Für Alexander Müller vom "Institute for Advanced Sustainability Studies (iass)" in Potsdam ist die Gentechnik allerdings kein Allheilmittel, es gebe auch viele andere Möglichkeiten, auf konventionellem Wege den Ertrag zu steigern. Allerdings betonte auch er, dass sich die Landwirtschaft so bald wie möglich an den Klimawandel anpassen müsse, denn von zunehmender Dürre, steigendem Meeresspiegel und mehr extremen Wetterereignissen seien nach den Prognosen der Wissenschaftler vor allem die Regionen betroffen, die in den kommenden Jahrzehnten einen steigenden Bedarf an Kalorien haben. "Wenn wir heute nicht aktiv handeln, wird morgen nicht genug für alle da sein", sagte Müller.
Klimawandel, Armutsbekämpfung, Flüchtlingspolitik, Gentechnik, Welthandel, EU-Agrarsubventionen und die Verpachtung eigener kirchlicher Äcker – die Vielschichtigkeit und Komplexität des Themas wurde nicht nur in den Vorträgen deutlich, sondern auch in den Textbausteinen, die die Synodalen zur Erstellung einer Kundgebung zum Thema diskutierten. Am Ende wurde daraus eine sechsseitige Kundgebung, die sich dem Thema sehr umfassend widmet und klare Erwartungen an die Politik, insbesondere die Europäische Union, sowie an kirchliche Einrichtungen und Gemeinden richtet. Letztere werden unter anderem dazu aufgefordert, den eigenen Lebensmittelverbrauch ökofair zu decken und Lebensmittelabfälle möglichst zu vermeiden. Zudem sollen sie die Verpachtung von landwirtschaftlichen Flächen im kirchlichen Besitz an den gemeinsam von beiden Kirchen 2003 formulierten Leitlinien für eine nachhaltige Landwirtschaft ausrichten. Explizit fordern die Synodalen, ortsansässige Landwirte bei der Vergabe ebenso zu bevorzugen, wie "ökologische und konventionelle Betriebe, die nachhaltig wirtschaften". Dies ist zwar nicht bindend für Landeskirchen und Gemeinden, könnte aber eine Argumentationshilfe für Biobauern sein, die sich bei der Vergabe von kirchlichem Land oft im Nachteil gegenüber größeren, konventionell wirtschaftenden Betrieben sehen. (zz 11/2013)
Entwicklungspolitisch fordern die Synodalen, die Kleinbauern besonders zu fördern, dem Anbau von Nahrungsmitteln stets Vorzug vor dem von Futtermitteln und Energiepflanzen zu geben und das so genannte Land Grabbing, also der großflächige Kauf von Ackerland durch ausländische Investoren (zz 02/2012), und die Spekulation auf Nahrungsmittel (dazu auch der Störfall auf Seite 55) einzudämmen. Ziel müsse es sein, "den Hunger bis spätestens 2030 vollständig zu überwinden".
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Stephan Kosch