Kräutergartenglück

"Amygdala" von DJ Koze
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Vom Fischmob-Beatmaster zum Techno-Kräutermeister, so lässt sich der Weg von Stefan Kozalla/DJ Koze kurz schildern. Erstmals nach sieben Jahren erschien mit Amygdala wieder eine Platte von ihm. Ein Zaubergarten warm pulsierender Tanzmusik mit viel Seele, auch Hintersinn und unbezwingbarem, melancholischem Humor.

Vom Fischmob-Beatmaster zum Techno-Kräutermeister, so lässt sich der Weg von Stefan Kozalla/DJ Koze kurz schildern. "Prankster" ("Schelm") nennen sie ihn auf den britischen Inseln, wo das Echo groß war, als mit Amygdala erstmals nach sieben Jahren wieder eine Platte mit dreizehn Tracks von ihm erschien. Ein Zaubergarten warm pulsierender Tanzmusik mit viel Seele, auch Hintersinn und unbezwingbarem, melancholischem Humor, etwa wenn er aus dem Hildegard Knef-Song "Ich schreib' dir ein Buch" mit jazzigen Grooves seine 2013-Version macht. Wie es überhaupt eine seiner Stärken ist, Stimmen zu verarbeiten. Selbst das an Edgar Reitz' Heimat-Filme gemahnende Geraune von Tocotronic-Sänger Dirk von Lotzow in "Das Wort" (nämlich "love") ertragen wir, wenn es von DJ Koze ein stabiles Dub-Beat-Bett bekommt. Und was das gesamte Album durchzieht, ist sein Händchen für erlesene Samples aus Alltag, Filmen und Soundideen, die er lang sammelte und nun als berückendes Füllhorn-Kaleidoskop ausschüttet. Schwelgen ist erlaubt. Füße und Beine zucken, das Becken kreist, aber über allem schwebt ein milder Geist, religiös diffus fernöstlich. Waterkant hin oder her.

Exemplarisch für seinen Ansatz der tänzelnde "Royal Asscher Cut": treibender Techno-Beat trifft auf voluminöse milde Keyboardsounds, präzise gesetzte Breaks und wieder Loslassen. Satt, schiebend, Kraft, die sich überträgt, dazu Flötentöne. Oder "Marilyn Whirlwind", erst ein (gefühlt) minutenlanger, fett mit sich zufrieden torkelnder Bass, auf den er unerwartet funkrockende Spuren legt. Folgt dröhnendes Motorengeräusch, Beschleunigung und Festkrallen am Vordermann, damit es uns nicht von der Sitzbank reißt. Trotzdem entspannt. Wo die Abfahrt hingeht, mag man da nicht fragen. Eine Stimme setzt ein, wieder so ein Detail, und über allem "Amygdala", der Name der mandelförmigen Hirnregion, die für Angst, Aggression, Erkennen von Gefahren zuständig ist, was Koze so übersetzt: "Heimat des Säbelzahntigers. Angstmacher. Jener Fehler in unserer Bewusstseinsmaschine. Überflüssig, aber mächtig".

Auf seine Musik bezogen übersetzen wir: "Mandelkern, überladener Voodooaltar, Kräutergarten" - und denken an Kräuterkoch Oskar Marti alias "Chrüter-Oski" aus der Schweiz: "Im Mittelalter waren Kräuter wegen ihrer Heilwirkung ein Privileg der Klöster. Hätte ich damals gelebt, wäre ich bestimmt als Hexer bezeichnet und verbrannt worden. Die Klöster wollten nicht, dass man ihr Heilwissen weitergab, weil sie um ihre Privilegien fürchteten." DJ Koze ist ein Kräutergärtner ohne Angst. Zu unserem Glück.

DJ Koze -Amygdala. Pampa/Rough Trade 2013.

Udo Feist

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