Die Bäume schlagen aus - aber wie?

Es gibt Indizien für Schädigungen von Pflanzen durch Mobilfunk
Die Beschwerden von Elektrosensiblen lassen sich nicht mehr einfach auf psychische Befindlichkeiten zurückführen.

Der April ist gekommen, die Bäume schlagen aus. Die Frühlingspracht ist aber nicht die, an die mich mancherlei Fotos aus früherer Zeit erinnern: Bäume und Sträucher wirken heute weniger füllig, strecken immer öfter abgestorbene Äste aus halblichten Kronen, Blätter mit braunen Rändern fallen schon im Sommer auf. Für all das lassen sich diverse Ursachen vermuten oder nachweisen - gasförmige Umweltschadstoffe etwa, Insektenplagen oder Baumkrankheiten. Aber wie steht es um den Faktor der seit Jahren im Steigen begriffenen Belastung durch Mobilfunk-Strahlung? Kann nicht sein, was nicht sein darf? Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) verkündet stereotyp, nach dem "derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand" gebe es keine wissenschaftlich belastbaren Hinweise auf eine Gefährdung von Tieren und Pflanzen durch elektromagnetische Felder (EMF) unterhalb der Grenzwerte. Dabei hatte das BfS noch 1999 zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Seminar zum Thema veranstaltet: Im Tagungsband ist nachzulesen, EMF-Einflüsse auf Pflanzen, Tiere und andere lebende Organismen seien bislang nicht gründlich untersucht worden. Da aber ungünstige Auswirkungen auf die Umwelt letztlich das menschliche Leben beträfen, sei es schwer zu verstehen, warum man sich hier nicht mehr Arbeit gemacht habe.

Gänzlich unbestellt war das Feld nicht: Bereits 1934 hatten Forscher gehemmtes Wachstum bei Pflanzenkeimen infolge bipolarer Hochfrequenzbestrahlung nachgewiesen. 1985 hielt eine Tagung des Umweltbundesamtes zum Thema Waldsterben fest, Hochfrequenz gehöre zu den Stressfaktoren, die für die Schädigung von Bäumen mitverantwortlich seien. 2000 erbrachte ein Forschungsprojekt der Universitäten Wuppertal und Karlsruhe, das Hochfrequenz-Wirkung auf einjährige Keimlinge mehrerer Nadelbaumarten untersuchte, eine signifikante Zunahme von Schädigungen und toten Pflanzen. Einige Jahre später befasste sich der promovierte Physiker und Elektroingenieur Volker Schorpp intensiv mit der Thematik: Oft fand er dort die stärksten Schäden, wo durch Überlagerung verschiedener Hochfrequenzsignale Bereiche turbulenter Hochfrequenzfelder entstanden. Obwohl er solche Indizien 2006 auf einem Fachgespräch des BfS vorstellte, wurden keine Untersuchungen zur Abklärung des schwerwiegenden Verdachtes veranlasst.

Wissenschaftlich bestätigt

Entsprechende Erfahrungen machte in den letzten Jahren die Bamberger Ärztin Cornelia Waldmann-Selsam, die Baumschäden in der Nähe von Mobilfunk-Sendern an vielen Orten Bayerns dokumentiert hat - zum Beispiel Wipfel, die in jenem Teil in saftigem Grün stehen, der im Senderschatten liegt, während der andere Teil dürr erscheint. Zahlreiche Regierungspolitiker und Behörden hat sie brieflich und mündlich auf die von ihr registrierten Zusammenhänge hingewiesen, um eingehende wissenschaftliche Überprüfungen einzufordern. Die Antworten bestanden fast durchweg in atemberaubender Ignoranz. "Die Menschen wissen heute schon nicht mehr, wie gesunde Bäume aussehen", seufzt die engagierte Forscherin, die zum Beleg ihrer kausalen Annahmen sogar Luftaufnahmen ausgewertet hat. Mit einem Messgerät kann sie demonstrieren, dass Bäume die Strahlung wie Antennen absorbieren.

Deuten solch einschlägige Schädigungen darauf hin, dass die Strahlung auch biologische Effekte auf Menschen haben könnte? Der Internationale Ärzteappell von 2012 zum Thema Mobilfunk bestätigt: "Das Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen wird von natürlichen elektromagnetischen Feldern und Signalen gesteuert. Technisch erzeugte Felder können mit ihren sehr niedrigen bis sehr hohen Frequenzen die biologischen Stoffwechsel- und Kommunikationsvorgänge der Zellen tiefgreifend stören." Die Folgen seien wissenschaftlich vielfach bestätigt. Namentlich die Beschwerden von Elektro(hyper)sensiblen - bis zu zehn Prozent der Bevölkerung - erscheinen so in anderem Licht: Sie lassen sich nicht mehr einfach auf psychische Befindlichkeiten zurückführen, wie das etwa durchs BfS versucht wird.

Wer Augen hat zu sehen, der schaue hin und denke selber nach - auch über Konsequenzen! Diese müssten keineswegs in einer Abschaffung des Mobilfunks bestehen, sondern in einer deutlichen Reduzierung der Strahlenbelastung, wie sie etwa durch den Umstieg vom Indoor- auf ein Outdoor-Konzept möglich wäre. Dann wären zwar Außenantennen erforderlich, um Mobilfunk innerhalb von Gebäuden zu empfangen - aber Menschen, Tiere und Pflanzen könnten aufatmen.

Werner Thiede ist Pfarrer und außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. 2012 erschien sein Buch "Mythos Mobilfunk. Kritik der strahlenden Vernunft" (oekom-Verlag, München).

Werner Thiede

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