Ganz nah dran

Über DDR-Justiz
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Nicht die Fakten stehen im Vordergrund, sondern die Atmosphäre, die Gefühle, die Absurdität. Schönherr will Emotionen provozieren und Empathie.

Am Ende hat man genug. Das ist aber nichts Schlechtes, sondern es spricht klar für das Radio-Feature von Maximilian Schönherr. Mit Originaltonaufnahmen der DDR-Staatssicherheit aus dem Spionageprozess gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz vom 23. September 1955 katapultiert er den Hörer direkt auf die Anklagebank eines Gerichtssaals in Berlin-Mitte. Es ist eine harte Landung.

An nur einem Prozesstag werden die Chefsekretärin des DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl und ihr Geliebter wegen Spionage für den Westen zum Tode verurteilt. Schönherr beginnt mit historischen Hintergrundinformationen. Die nächsten Stellen sind sehr geschickt gewählt: Der Generalstaatsanwalt befragt die Angeklagte. Er formuliert suggestiv, aggressiv, er unterbricht. In seinen Worten, seiner Ungeduld und seinem Tonfall wird die ganze Überheblichkeit und Allmacht des Staates lebendig. Die Stimme von Barczatis dagegen ist dünn, nervös, zittert, bricht. Man spürt, wie isoliert und ausgeliefert die Vorverurteilten sind.

Nicht die Fakten stehen im Vordergrund, sondern die Atmosphäre, die Gefühle, die Absurdität. Schönherr will Emotionen provozieren und Empathie. Als Elli Barczatis bei der Beantwortung einer Frage zu weinen beginnt, ist das schwer zu ertragen. Und als sie bei der Beantragung der Todesstrafe völlig schockiert aufschreit, sind die Grenzen zur eigenen emotionalen Unantastbarkeit vollends überschritten.

"Fallbeil für Gänseblümchen" ist in seiner Fokussierung ungewöhnlich konkret und anschaulich. Es ist ein überwältigendes Zeitdokument, das einen einzigartigen Blick in die finstere Festung der frühen DDR-Justiz gewährt.

Fallbeil für Gänseblümchen. 1 CD, Laufzeit: 53 Min, Christoph Merian Verlag.

Katharina Lübke

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