Ein Mensch, kein Automat

Was der Papst tun und lassen darf, ist nicht so eindeutig, wie viele meinen
Der Bischof von Rom mit den anderen Bischöfen Italiens. Foto: dpa/Vandeville Eric
Der Bischof von Rom mit den anderen Bischöfen Italiens. Foto: dpa/Vandeville Eric
Wer die christliche Einheit ernsthaft ersehnt, solle "geistlich und rechtlich ausbuchstabieren", wie sich das Papstamt gestalten lässt, fordert Wolfgang Beinert. Der Schüler Joseph Ratzingers und emeritierte Dogmatikprofessor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg behandelt auch die Frage nach dem Verhältnis des Papstes zu Bischöfen und Konzil.

Neben der positiven gibt es so etwas wie eine negative Ökumene. So lehnen außer der römisch-katholischen Kirche alle anderen Kirchen einmütig und bis heute die römisch-katholische Lehre über das Papsttum ab, wie sie in den beiden Vatikanischen Konzilien dogmatisiert wurde. Diese Lehre ist daher nach wie vor ein, ja das Hindernis für eine Einigung der anderen Kirchen mit der Papstkirche.

Eingehende Studien haben allerdings auch gezeigt: Ein beträchtlicher Teil der Differenzen beruht auf ungenauer Kenntnis der Faktenlage. Oder sie sind in bisher nur unzureichend geklärten römisch-katholischen Lehraussagen begründet. Die folgenden knappen Hinweise aus heutiger römisch-katholischer Sicht wollen lediglich Stoff zum Bedenken eines Lehrstücks anbieten, das gewiss nicht zu den fundamentalsten gehört, aber zu praktisch unverzichtbaren Programmpunkten für den Vollzug der christlichen Sendung. Und sei es auch nur, weil es so umstritten ist.

Die Papstproblematik hat sich nicht in einem konturlosen Raum entwickelt. So wird das Drama heute auf einer Bühne gespielt, die einen reichen Hintergrund, exakt erstellte Kulissen besitzt. Im Einzelnen sind drei Rahmenbedingungen zu nennen, die es nachhaltig und bis in die Einzelheiten des Skripts irreversibel prägen:

Da ist zunächst die historische Folie. Kein ernst zu nehmender Kirchengeschichtler, gleich welcher Konfession, wird den gegenwärtigen Papst als den historisch in unmittelbarer Nachfolge des Apostels Petrus stehenden Oberhirten von Rom und Inhaber universaler theologischer Ansprüche bezeichnen. Nahezu alle Begründungen, die man einst apologetisch bemühte, um gerade das zu untermauern, haben sich als brüchig erwiesen, manchmal sogar als nicht haltbar.

Konzilare und Papale

Das Papsttum hat eine Geschichte. Es hat sich von vagen Anfängen zu der machtvollen Institution entwickelt, als die es sich in der Neuzeit zeigt. Und Versuche, aus dem Ist-Zustand auf einen historischen Soll-Zustand zu schließen, sind zum Scheitern verurteilt. Das betrifft auch die Deutung der diese Geschichte prägenden Daten. Wie die Lehre von der Kirche, die Ekklesiologie, überhaupt, spielt auch die darin zu integrierende Papsttheologie erst seit dem 14. Jahrhundert eine theologisch-systematische Rolle. Sie wurde angestoßen durch kirchenpolitische Konstellationen, in denen es nicht allein, aber sehr wesentlich um die Macht ging. Die Frage war das Verhältnis zwischen dem Bischof von Rom und den anderen Bischöfen. Die "konziliare" Antwort bestimmte diese Beziehung von der Gesamtkirche aus, repräsentiert in den gegebenenfalls im Konzil versammelten Ortsbischöfen, die "papale" umgekehrt vom römischen Bischof.

Beide Thesen haben bis ins Zweite Vatikanische Konzil und darüber hinaus die innerkatholische Debatte bestimmt. Die Kirchenversammlung hat den Widerspruch zwischen ihnen nämlich nicht gelöst, sondern beide unverbunden nebeneinander stehen gelassen. Und für das ökumenische Gespräch bedeutet dies: Es ist zu orten, welcher Denkrichtung der katholische Gesprächspartner zuzurechnen ist.

Unbeschadet aller Kontroversen gehört es freilich zum katholischen Gemeindenken, dass das Papsttum ein wesentlicher und deswegen nicht aufgebbarer Bestandteil der Kirchenverfassung der Glaubensgemeinschaft ist, das letzten Endes auf Christus als den Urheber der Kirche zurückgeht. Das zeigt sich klar - und über die Daten herrscht ein weit reichender Konsens zwischen katholischen wie evangelischen Exegeten - in den neutestamentlichen Petrus-Texten. Bis auf einen, Galater 1,18-2,16, sind sie allesamt nach dem Tod des Apostels entstanden und bekunden somit die herausragende Stellung des galiläischen Fischers für die jungen Gemeinden. Sie wird auf Christus zurückgeführt und besteht darin, dass Petrus die Einheit der Kirche in der Vielgestaltigkeit der Ortsgemeinden (altkirchlich: Katholizität) wahrt, kräftigt und bezeugt. Heute spricht man gern vom "Petrusdienst".

Strukturell identisch mit Petrus

Der Streit entsteht über der Frage, ob ein solcher Dienst auf die Gründungsphase der Kirche beschränkt ist oder ob er - koexistent mit der Kirche - ein "Amt" ist und ob die "Amtsperson" des Erstapostels Nachfolger haben muss. Im Prinzip ist das keine Prinzipienfrage, sondern ein Tatsachenproblem. Es hat zu allen Epochen und Perioden der Kirchengeschichte Bedrohungen der Einheit wie der Katholizität gegeben. Wenigstens historisch ist zu registrieren, dass es Aufgabe des römischen Bischofs nach eigenem wie (ursprünglich) gesamtkirchlichem Verständnis war, diesen Bedrohungen Paroli zu bieten. Die katholische Theologie hält darum fest, dass zwischen der Aufgabe des Petrus und der des (heutigen) Papstes auf jeden Fall eine strukturelle Identität besteht: Der jetzt regierende Bischof von Rom hat, wie der Apostel Petrus, also grundsätzlich die gleichen Aufgaben und Mittel, um dem Verfassungsauftrag gerecht zu werden.Das ist eine strikt theologische These, die historisch fundiert, aber nicht allein historisch begründet ist.

Zu den wichtigen geschichtlichen Randbedingungen zählen auch die historischen Konstellationen, die 1869 zum Ersten Vatikanischen Konzil geführt haben: Erschüttert durch die Umbrüche der Französischen Revolution wie durch die geistigen Umwälzungen seit der Aufklärung (Naturalismus, Rationalismus) suchten kirchliche Kreise ein unerschütterliches Fundament (fundamentum inconcussum) zu finden, auf dem Leben und Lehre der Kirche sicher ruhen. In Jurisdiktionsprimat und Unfehlbarkeit des Papstes sahen sie es für gegeben. Die entsprechenden Definitionen sind daher stark juridisch und weniger pneumatologisch bestimmt und erst recht nicht ökumenisch. Und sie sind vor allem insofern sehr einseitig, als sie den Papst von der Kirche zu isolieren drohen.

Doch das war mitnichten vorgesehen. Die "Papstkapitel" sind eigentlich vorgezogene Bestandteile einer Gesamtekklesiologie, die wegen des vorzeitigen Konzilsendes 1870 nicht mehr debattiert wurden. Traditionalistischen Kreisen erschienen sie dennoch als verbindliche Lehre von der Kirche überhaupt. Und so waren papalistischen Interpretationen Tür und Tor geöffnet.

Ein Papst kann Häretiker sein

Der Papst ist aber kein dogmatisch programmierter Automat, sondern wie jeder Christ ein lebendiger Mensch im Kontext seiner Biographie, Denkformen, Mitmenschen, vor allem der Mitarbeiter, und seiner biologischen wie theologischen Hinfälligkeit. Seit dem frühen Mittealter sind die Theologen überzeugt, dass selbst er (a fide devius) ein Häretiker werden könne. Unter diesem Vorbehalt argumentieren selbst noch die ärgsten Papalisten.

Die kirchengeschichtliche Erfahrung zeigt zudem überdeutlich, dass jedes Pontifikat seine eigene, unverwechselbare, unvergleichbare Prägung besitzt, mal sehr glücklich, mal bedenklich re- und reagierend. Manche Päpste haben den Petrusdienst exzellent - in Struktureinheit mit Petrus - ausgeübt, manchen ist das weniger gelungen. Hier liegt der Grund dafür, dass Katholiken zwar keine Papsttumskritik, sehr wohl aber Pontifikatskritik vorbringen, ja gemäß dem Vorbild des Paulus vorbringen müssen.

Ökumenisch bedeutet der Sachverhalt: Die Diskussion darf sich nicht an einer bestimmten, historisch kontingenten Gestalt des Papsttums orientieren, sondern an dem theologischen Gestein, in dem es seine Basis hat. Die Gestalt des Papsttums ist variabel, und was unter diese Variabilität fällt, gehört nicht zum Glaubensgut.

Das Papstamt ist ein Amt in der und für die Kirche. Sein Wesen, seine Aufgabe, Zielorientierung und Vollzüge sind daher durch die entsprechenden theologischen Daten der gesamten Kirche vorgegeben. Das "Über-Sein" des Papstes in der Kirche ist ganz und gar und in jeder Beziehung abhängig von seinem "In-Sein" in der Kirche. Die Kirche ist wesentlich eine Gemeinschaft der getauften Christgläubigen (communio), die gleichsam als Sakrament, Zeichen und Werkzeug für die Einheit der Menschen mit Gott und untereinander wirken soll. Der Papst hat darum die Würde und die damit verknüpfte Autonomie der Getauften zu achten und zu fördern. Dazu gehört auch die Freiheit der Meinungsäußerung, die das Kirchenrecht sogar ausdrücklich festschreibt. Die Einheit, die der Papst also wahren muss, ist eine kommunionale, pluriforme Einheit, die letztlich von der christlichen Liebe garantiert wird.

Kollegium und Papst

Auf der Leitungsebene zeigt sich die Gemeinschaftsgestalt der Kirche in der Kollegialität der Bischöfe. Diese kommt zwar nicht ohne den Papst als römischem Bischof zustande, sie kann aber nicht durch den Papst schlankweg ersetzt werden. Er kann ohne die konkrete, sichtbare Mitwirkung der anderen Bischöfe als Repräsentant der Kirche auftreten, aber er kann nicht einfachheitshalber das Bischofskollegium abschaffen, um sein Amt effizienter auszuüben. Auch das Bischofsamt ist göttlichen Rechtes, ein Verfassungsmoment der Kirche. Weil seit alters her das Ökumenische Konzil Ausdruck dieser universalen Kollegialität ist, hat es in der katholischen Kirche eine bleibend hohe Bedeutung. Ungeklärt ist allerdings die genaue Bestimmung der Subjekthaftigkeit von Papst ohne Kollegium - und Kollegium mit Papst.

Auf der Glaubensebene kommt die Communio-Gestalt der Kirche in der Lehre von den Bezeugungsinstanzen des Glaubens zum Ausdruck. Als solche gelten die Heilige Schrift, die Überlieferung (Tradition), das päpstlich-bischöfliche Lehramt, die wissenschaftliche Theologie und der Glaubenssinn aller Gläubigen (sensus fidelium). Sie stehen zueinander in wechselseitiger Beziehung, so dass erst - und nur - das von ihnen gemeinsam Bezeugte, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung (Vorrang der Bibel!), verpflichtender Gegenstand des Glaubens werden kann. Hier liegen auch die Grenzen der päpstlichen Irrtumslosigkeit (Unfehlbarkeit). Sie ist begründet in der der Gesamtkirche von Gott verliehenen Unverirrbarkeit des Glaubens aller. Der Papst, ohne Inspiration und Eigenoffenbarung, kann nichts zu glauben vorschreiben, was nicht schon wenigstens im Ansatz geglaubt wird. Dieses zu erkunden, ist der Papst moralisch gehalten.

Ein besonders bedeutsam gewordenes Kriterium des Kirchenglaubens ist die Rezeption, die An- und Aufnahme einer lehramtlichen Erklärung durch die Glaubenden. Sie entscheidet zwar nicht unbedingt über deren Wahrheit und Richtigkeit, sehr wohl aber über ihre Förderlichkeit für den Gesamtglauben. Sie muss der Papst aufgrund seiner Stellung im Gefüge der Kirche als erstes im Auge haben.

Kirchliches Notstandsrecht

Da die Kirche kein zentralistisches Gebilde ist und der römische Bischof kein absoluter Herrscher, sind die in den beiden Vatikanischen Kirchenversammlungen festgelegten Vorrechte des Papstes, der Jurisdiktionsprimat und als dessen Konkretisierung die Lehrunfehlbarkeit, keine Arbeitsanweisungen für seine alltägliche Agenda. Anders wären die Bischöfe nur päpstliche Beamte und ein Konzil wäre unnütz. Beides haben Papst und Theologen aber stets zurückgewiesen. Vielmehr sind die Prärogativen des Bischofs von Rom Teile eines kirchlichen Notstandsrechts. Es ist dann aufzurufen, wenn eine aktuelle Situation die kirchliche Einheit so bedroht, dass alle anderen verfassungsmäßig vorgesehenen Instanzen - Lehramt und Aufsicht des Einzelbischofs, Bischofskonferenz, theologische Diskussion - sie nicht (mehr) retten können.

Diese Überlegungen deuten an: Nicht nur ökumenisch, sondern auch innerkatholisch besteht ein intensiver und nicht unerheblicher Bedarf hinsichtlich einer noch weiter auszuarbeitenden Amtstheologie. Dass Rom auf jeden Fall historisch eine besondere ekklesiologische Bedeutung besitzt, bezweifelt kaum einer. Aber wie sie geistlich und rechtlich auszubuchstabieren ist, ist allenthalben kontrovers. Gleichwohl muss sich an die Arbeit machen, wer ernsthaft die christliche Einheit ersehnt.

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Wolfgang Beinert

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