Nicht nur Griechenland
Was hat die große alte Orgel aus dem Jahr 1906, die in der Hamburger Haftanstalt Fuhlsbüttel stand, mit Europa zu tun? Oder ein Wohnwagen im Wetteraukreis? Und die Hochzeitskirche im nordfriesischen Schwabstedt? Für alles gab es Geld aus Europa, besser: aus Förderprogrammen der EU. Und bei allen drei Projekten profitierten davon kirchliche Träger in ländlichen Regionen in Deutschland. So wurde die spätromantische Santa-Fu-Orgel, die im Gefängnis nur selten genutzt wurde, dort abgebaut, in die Kloster- und Schlosskirche Franzburg in Vorpommern transportiert und wieder aufgebaut. Denn die dortige Orgel war vor vierzig Jahren zerstört worden. Der Umzug kostete 32.000 Euro, ein Teil davon kam aus dem EU-Programm für ländliche Entwicklung. Ebenfalls aus diesem Programm mitfinanziert wurden ein Kleinbus und ein Wohnwagen im Evangelischen Dekanat Nidda. Mit dem "Theomobil" ziehen dessen Mitarbeiter nun über die Dörfer und erweitern so das Angebot für Jugendliche in der Wetterau. Und die idyllisch gelegene St. Jakobi Kirche aus dem 12. Jahrhundert war für viele Hochzeitspaare so attraktiv, dass mit Hilfe der EU auch ein Standesamt in der Kirche eingerichtet wurde, damit Paare aus Hamburg, Berlin oder anderen Regionen sich an einem Ort möglichst einfach gleich zweimal das Ja-Wort geben können - und der Tourismus in der Region gestärkt wird.
Möglicherweise ist es wichtig in Zeiten wie diesen, in denen Europa entweder nur volkswirtschaftlich als Euro-Krisen-Land oder mit gehörigem Pathos als niemals aufzugebende Idee diskutiert wird, darauf hinzuweisen, dass Europa in Form von finanzieller Förderung in sehr vielen Regionen und Gemeinden wirkt. Sicher geht es auch hier vordergründig um den schnöden Mammon, der aus Brüssel weitergereicht wird. Dahinter stehen aber zahlreiche Projekte und Ideen, die Arbeitsplätze schaffen, Menschen zusammenführen und Infrastruktur verbessern. Davon profitieren auch viele kirchliche Einrichtungen. Allein auf der Internet-Seite www.geistreich.de sind knapp vierzig evangelische Projekte zu finden, die mit EU-Mitteln gefördert wurden.
Umfassende Beratung
Damit es künftig noch mehr werden, hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vor etwa einem Jahr an ihrem Dienstsitz in Brüssel drei neue Stellen eingerichtet. Das Team berät evangelische Einrichtungen in Deutschland mit Blick auf mögliche Förderungen kostenlos. Das haben die Mitarbeiter des Büros zwar auch schon vorher getan, doch durch die neuen Stellen ist eine viel umfassendere Beratung möglich geworden. So kann sich ein Gemeindepfarrer, der Geld für die Renovierung des Kirchendaches oder für ein Jugendcamp braucht, ebenso melden wie der Leiter eines evangelischen Krankenhauses oder Kantoren, die ein bestimmtes musikalisches Projekt realisieren wollen und dafür noch Geld brauchen.
Am anderen Ende sitzt dann Christoph Schnabel, Leiter des Beratungsteams. Er bewertet die möglichen Chancen einer finanziellen Förderung und sucht nach dem passenden der etwa dreißig Fördertöpfe, die für kirchliche und diakonische Projekte in Frage kommen, wobei die Erfolgsaussichten von Programm zu Programm unterschiedlich sind. 258 Personen haben er und seine KollegInnen im vergangenen Jahr beraten, etwa sechzig Förderanträge sind dann im Brüsseler EKD-Büro mitgeschrieben worden. Ob ein Projekt EU-Geld bekommt oder nicht, hänge oft von Kleinigkeiten ab. Das können einzelne Formulierungen sein, manchmal muss das Vorhaben aber auch insgesamt den Förderrichtlinien angepasst werden.
Der Tod und das Meer
So zum Beispiel bei dem Projekt "Der Tod und das Meer", das das Team betreut hat. Die Kirchengemeinde St.-Clemens auf der Insel Amrum benötigte eine Finanzierung zur Restaurierung von historischen Grabsteinen auf dem Friedhof. Hier führte ein Umweg zum Erfolg: Mit einem Bildungsprojekt mit dem Titel "Der Tod und das Meer" werden 2013 Exkursionen und eine Ausstellung realisiert um neues Kapital einzuwerben. Die Organisation und Umsetzung hierfür wird durch ein EU-Programm gefördert.
Wie viele Anträge, die im Brüsseler EKD-Büro betreut wurden, am Ende erfolgreich waren oder noch sein werden, hängt sehr von den einzelnen Antragstellern ab. "Auch wenn das Geld aus Brüssel kommt, muss der Antrag oft in der Kommune oder bei der Landesregierung eingereicht werden", sagt Schnabel. "Wir erfahren das Ergebnis dann oftmals erst auf Nachfrage."
Die Servicestelle, wurde zunächst befristet auf zwei Jahre eingerichtet. Katrin Hatzinger, die Leiterin des Brüsseler EKD-Büros, zieht aber bereits jetzt ein positives Zwischenfazit: "Es rechnet sich, und zwar nicht nur in Euro und Cent." Denn durch die Anträge würden kirchliche Einrichtungen zum Teil europaweit vernetzt, wie zum Beispiel beim Projekt "re-use-it". Hier sucht ein Diakonisches Werk aus Deutschland gemeinsam mit anderen Diakonischen Werken in Europa nach Möglichkeiten für eine Professionalisierung und Erweiterung des Secondhand-Handels.
Positive Reaktionen
Doch auch wenn sie oder Schnabel, der vorher bereits in Leipzig bei einer Beratungsagentur für EU-Förderprogramme gearbeitet hat, in Deutschland unterwegs sind, um über ihre Arbeit zu informieren, seien die Reaktionen auf den Förderservice fast ausschließlich positiv. Manchmal sei es etwas ernüchternd, dass Europa und die EU vor allem dann zu positiven Reaktionen führten, wenn es um die Möglichkeiten gehe, Geld zu bekommen. "Ich würde mir diese Reaktionen auch öfter wünschen, wenn wir über die anderen Themen unserer Arbeit berichten." Denn hier gerate sie derzeit immer öfter in die Defensive. "Wir sind ja weder Vertreter der EU noch der Brüsseler Bürokratie, aber es geht uns schon darum, den europäischen Gedanken hochzuhalten und gegen billigen Populismus zu verteidigen."
Denn natürlich sind die anderen Felder, die die "Botschafter" der evangelischen Kirche in Brüssel bearbeiten, weiterhin bedeutsam. Migration, Sozialpolitik, die Rolle der Kirchen in Europa - all das sind Themen, bei denen das Brüsseler Büro wissen muss, was in der Kommission und im Parlament diskutiert wird. Und dieses Wissen müssen sie nach Deutschland an die entsprechenden Stellen tragen. Gleichzeitig gehe es aber auch darum, selber Impulse zu setzen und in vielen Veranstaltungen, Fachgesprächen und Empfängen in Brüssel Raum für Gespräche über europapolitische und kirchliche Themen zwischen den unterschiedlichsten Gruppen zu schaffen. Und nicht zuletzt will Hatzinger auch ein Stück protestantischer Kultur im katholischen Brüssel präsentieren, zum Beispiel durch Musikveranstaltungen, wie zuletzt bei einem Chorkonzert im Rahmen des Jahres der Kirchenmusik. Die Juristin spielt selber hobbymäßig Cembalo, das Instrument der leisen Töne steht aber in ihrem Büro, weil die Wohnung zu klein ist. Auch die Noten, die darauf liegen, sind ihrer Botschafter-Rolle angemessen, Bachs "Wohltemperiertes Klavier".
Im Vergleich zu anderen Lobby-Gruppen seien die Kirchen in Brüssel eine kleine Lobby, dennoch würden sie in der Politik wahrgenommen. "Man braucht eine gesellschaftliche Gruppe, die immer wieder klar macht, dass Europa mehr ist, als eine Wirtschafts- und Währungsunion." Auch Christoph Schnabel legt Wert darauf, dass er nicht der Mann mit dem Geldkoffer ist, der durch die Presbyterien und andere Kirchengremien zieht. "Zunächst einmal bringe ich Arbeit", sagt er, denn bevor ein Förderantrag eingereicht werden kann, muss das Projekt sehr genau durchgeplant werden. Doch bei dieser Arbeit erfahre das Büro auch viel über den Bedarf, der in den einzelnen Regionen herrscht. Und diese Informationen geben er und seine Kollegen auch weiter an die zuständigen Stellen in der EU-Verwaltung und Politik. "Die europäische Integration ist schließlich kein Selbstzweck."
Stephan Kosch