Nicht abzuwenden

Ende der Apokalypseblindheit
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Taxacher präsentiert sich als Skeptiker. Er bestreitet die Möglichkeit, eine globale Katastrophe abzuwenden. Seine Darlegungen sind anspruchsvoll, kenntnisreich und sprachlich überaus gewandt. Und in zahlreichen Passagen provozieren sie Widerspruch.

"Die Menschheit könnte sich durch Solarstrom mit Energie versorgen ..., sie könnte sich weitgehend vegetarisch ... ernähren, sie könnte einen großen Teil der giftigen Emissionen in Luft, Wasser und Boden einsparen oder effektiv filtern. Aber ohne eine Revolution unserer Lebensweise ginge das nicht. Und - dagegen stehen alle gesellschaftlichen Beharrungskräfte." Zu diesem Ergebnis hinsichtlich der Ökologie kommt Gregor Taxacher, ein katholischer Theologe, in seinem mit prophetischer Leidenschaft, dazu sachkundig und in pointierter Sprache geschriebenen Buch.

Dessen erste drei Kapitel sind einer schonungslosen globalen Gegenwartsanalyse gewidmet - neben die unausweichliche ökologische Weltkrise tritt eine "globale, soziale Katastrophe". Zu ihr gehört, dass sich die Politik im 21. Jahrhundert im Wesentlichen als Privilegiensicherung darstellt, sich Gegenwartsinteressen unterwirft und eine Zukunft für Welt und Mensch tendenziell ausschließt: "Die Menschheit der Gegenwart ist in einer nicht mehr abwendbaren und ... nicht mehr endenden Endzeit angelangt."

In seinem pessimistischen Fazit plädiert er dafür, die "Apokalypseblindheit" (Günther Anders) abzustreifen und dem Menschen die ungeschönte Wahrheit zuzumuten.

In den Kapiteln vier und fünf vollzieht Taxacher einen Perspektivwechsel. Er redet als Theologe, legt biblische Texte aus und blickt aus der Perspektive des prophetischen und apokalyptischen Geschichtsdenkens auf die Gegenwart. Dabei werden Themen in das Zentrum seiner Reflexion gerückt, die in Kirche und Theologie weithin ausgeklammert bleiben: die "unbequeme Rede vom Gericht" als Geschichtsfolge und als "kollektives Geschehen" ebenso die "uns fremd gewordene Sünde als versklavende Macht", in welcher Ohnmacht und Schuld sich dialektisch durchdringen. Das biblische Verständnis von Sünde wird dabei mit Bezugnahme auf systemtheoretische Überlegungen als "Selbsterhaltung auf Kosten anderer" interpretiert.

Obgleich den christlichen Kirchen die Verkündigung des prophetischen Wortes aufgetragen ist, diagnostiziert er bei ihnen eine antiapokalyptische Haltung und Hermeneutik. Sie sind zu "Kirchen ohne Prophetie" geworden.

Sein kritischer Blick fällt zugle ich auf die "neuen Apokalyptiker". Sie lösen die apokalyptische Spannung auf, entweder aggressiv oder durch Resignation, Weltentsagung und Rückzug in Sonderwelten. Ein wichtiges Fazit lautet: "Noch steht die Theologie erst am Anfang, die biblische Vernunft für ihre eigene Kritik in Anspruch zu nehmen, in ihr die Spuren des Verhängnisses und die Fingerzeige der Rettung zu unterscheiden."

Die Darlegungen Taxachers sind anspruchsvoll, kenntnisreich und sprachlich überaus gewandt. In zahlreichen Passagen provozieren sie Widerspruch. Der Autor präsentiert sich als Skeptiker. Er bestreitet die Möglichkeit, eine globale Katastrophe abzuwenden. Mit Recht zielt das Buch darauf ab, einen blinden Zukunftsoptimismus infrage zu stellen. Es kann und sollte auch als aufrüttelnder Ruf gelesen werden, sich von der Welt nicht abzuwenden, sondern sie zu verändern.

Gregor Taxacher: Apokalypse ist jetzt. Vom Schweigen der Theologie im Angesicht der Endzeit. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2012, 224 Seiten, Euro 19,99.

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Reinhard Hempelmann

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