Offene Fragen

Islamische Theologie
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An deutschen Universitäten wurden bereits vor 2010 die ersten Lehrstühle für islamische Religionspädagogik eingerichtet. Welche Wege dabei beschritten wurden beschreibt Özdil in seiner Dissertationsschrift.

Das Fehlen einer etablierten islamischen Theologie in Deutschland wird immer wieder beklagt. Hierzulande ausgebildete Imame und muslimische Theologen sind rar. "Viele Muslime, die in Europa leben, handeln nach Maßstäben außereuropäischer Regionen", kritisiert der Islamwissenschaftler und Religionspädagoge Ali Özgür Özdil. Er mahnt ein islamisches Selbstbewusstsein ein, das die "eigene Situation unter den Bedingungen der hiesigen Kultur und Gesellschaftskreise analysiert" und Lösungen für Probleme anbietet. Den Weg dahin sollen private und universitäre Institute für Islam-Studien ebnen, die in den vergangenen Jahren in vielen europäischen Ländern entstanden. Auch an deutschen Universitäten wurden bereits vor den Empfehlungen des Wissenschaftsrats von 2010 für Islamische Studien die ersten Lehrstühle für islamische Religionspädagogik eingerichtet. Welche Wege dabei beschritten wurden und welche Rahmenbedingungen in Deutschland und anderen Ländern vorherrschen, beschreibt Özdil in seiner Dissertationsschrift.

Die Studie dokumentiert und analysiert die Gründung und Arbeit europäischer Islam-Institutionen bis 2009. Nach einer Einleitung über die Grundbegriffe islamischer Theologie erläutert Özdil unter anderem, wie die Islam-Studien in Ägypten, Iran und der Türkei organisiert sind. Den Hauptteil seiner Arbeit nimmt die Darstellung der Islaminstitute in Deutschland und neun anderen europäischen Staaten ein. Seitenlang listet er aus den Selbstdarstellungen der Institutionen die Titel und Kurzbeschreibungen von Vorlesungen, Seminaren und anderen Veranstaltungen auf. Dabei ist sich der Direktor des Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstituts in Hamburg sehr wohl bewusst, dass private Initiativen, konfessionelle Institute und staatliche Universitäten nur bedingt miteinander vergleichbar sind.

Özdil erläutert zudem die weiter offenen religionsrechtlichen Fragen, die sich aus dem Fehlen einer anerkannten islamischen Körperschaft in Deutschland ergeben. Seine Studie gibt einen guten Einblick in die ersten Entwicklungsstufen für ein Studienfach, das bislang noch keinen einheitlichen Namen hat. Da der Begriff "Theologie" nicht von allen Muslimen für den betroffenen Fächerkanon akzeptiert wird, sind häufig andere Bezeichnungen wie etwa "Islamische Studien" im Gebrauch.

Allerdings kann die Untersuchung zweierlei nicht leisten: Sie kann vor allem in Deutschland angesichts des schnellen Aufbaus von Islam-Studien nicht mehr aktuell sein. Die Auswahl von Tübingen, Münster-Osnabrück, Frankfurt-Gießen und Erlangen-Nürnberg als universitäre Zentren für die neuen Fächer war noch nicht getroffen. Außerdem kann der Leser aus der Fülle an Einzelinformationen allenfalls einen groben Überblick über die sehr unterschiedlichen Lehrangebote und Zielsetzungen der Islam-Institute erhalten. Wie beispielsweise Koran-Exegese vermittelt wird - eher beschränkt auf die klassisch arabischen Auslegungstraditionen oder mit starkem praktischem Bezug zur Situation der Muslime in Europa - bleibt oft vage. Darüber hinaus vermeidet Özdil die zuweilen spekulativen Angaben über die Träger der Einrichtungen in anderen europäischen Ländern und deren Ruf. So ist beispielsweise unter Islamwissenschaftlern die Ansicht verbreitet, dass das "Institut Européen des Sciences Humaines" im französischen Château Chinon eng mit der Muslimbruderschaft verbunden sei.

Ali Özgür Özdil: Islamische Theologie und Religionspädagogik in Europa. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2011. 340 Seiten, Euro 29,80.

Andreas Gorzewski

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