Im roten Kleid

Der neue Mensch und seine Utopien
Foto: pixelio/Dietmar Meinert
Die Bilder einer besseren Welt und ihrer Bewohner sind umso befremdlicher, je konkreter sie werden. Denn sie zeugen ja von einer Begrenztheit, die am Ende scheitern muss. Möge sie auch noch so strahlend daherkommen, jede Zukunftsvision wird irgendwann Geschichte sein.

So viele Flugzeuge. Nicht irgendwelche. Flugboote sind hier zu sehen, die schönsten ihrer Art, weiß wie die Dornier X, zu ihrer Zeit das größte Passagierflugzeug der Welt, Ikonen der Technik, wie das Überschallflugzeug Concorde oder die Luftkissenboote auf dem Ärmelkanal. Alles schon längst wieder Geschichte, doch zu ihrer Zeit schienen diese Gefährte Botschafter einer besseren und nahen Zukunft zu sein, einer neuen Zeit, auf die erwartungsfroh geblickt werden darf. So wie es die Jungen am Strand tun auf den Gemälden, die der Russe Aleksandr Dejneka in den Dreißigerjahren gemalt hat. Schon längst hatte Stalin seine Diktatur installiert, in der jeder Widerspruch den Tod bedeuten konnte. Doch aus den Bildern spricht noch immer eine Hoffnung, ein Glaube an den "neuen Menschen." Zu sehen sind die Bilder derzeit in der Hamburger Kunsthalle. "Müde Helden" heißt die Schau, in dem auch die Arbeiter, Sportler, Tänzerinnen und Soldaten des postrevolutionären Malers zu sehen sind, denen allem verordneten Sozialistischem Realismus zum Trotz die Last und die Anstrengung anzusehen sind, die auf dem sozialistischen Weg zum "Neuen Menschen" zu bewältigen ist. Und das Auge des Betrachters fügt ihrem Ausdruck möglicherweise noch eine zusätzliche Portion Melancholie hinzu, weil er weiß, dass all diese Mühen umsonst waren, weil der Weg in die Irre führte und das Ziel verfehlt wurde. Lediglich die körperliche Ästhetik der Sozialistischen Realisten hat überlebt und prägt unseren Alltag ausgerechnet in der endlosen Bilderflut des Kommerzes. Dieser dumpfe Schmerz, den das Scheitern aller großen Ideen mit sich bringt, steigert sich zu depressiven Verstimmungen in den Gemälden Neo Rauchs. Der deutsche Malerstar der Gegenwart beherrscht ja die Bildsprache der Realisten, reißt sie aber aus ihren ideologischen Zusammenhängen und schafft aus den Fragmenten neue surreale Welten. Die Helden in seinen Bildern sind müde, ausgebrannt, meist ohne Kontakt zu anderen, wirken verloren im Raum, der sie umgibt, sei es ein Künstleratelier oder ein Plattenbauviertel. Die Werke sprechen für sich in der rätselhaften Sprache des Malerstars, finden aber in Kombination mit den Werken des Schweizer Lebensreformers Ferdinand Hodler und vor allem eben denen Dejnekas, die alle drei hier zusammen gezeigt werden, historischen Anschluss. Neben den Flugzeugbildern des Russen blickt ein versehrter Pilot Rauchs in Konstruktionspläne, hinter ihm entsteht ein absurd anmutendes Flugzeug, welches nach den Gesetzen der Physik wohl niemals wird fliegen können. Doch auf dem Plan ist eine Silhouette zu sehen, die eines Salamanders, der durch seine erstaunliche Fähigkeiten, abgetrennte Körperteile wieder nachwachsen zu lassen, zum Symbol wurde für Vergehen, Neuanfang und ewigen Wandel. Und so ist es wohl mit dem neuen Menschen und seiner Utopie - eingebettet in das stete Werden und Vergehen einer Welt. Deshalb sind die Bilder einer besseren Welt und ihrer Bewohner umso befremdlicher, je konkreter sie werden. Denn sie zeugen ja von einer Begrenztheit, die am Ende scheitern muss. Möge sie auch noch so strahlend daherkommen, jede Zukunftsvision wird irgendwann Geschichte sein. Vielleicht liegt es daran, dass das eindrücklichste Bild der Ausstellung ein scheinbar ganz schlichtes ist. Eine Frau fährt mit dem Rad auf einer Landstraße vorbei an Wäldern und Feldern. Dass sie eine Kolchosbäuererin sein soll, verrät nur der Titel des Gemäldes und vielleicht der Traktor in weiter Ferne. Ob sie tatsächlich dort gestartet ist, ist offen, ebenso ihr Ziel. Sie ist einfach nur unterwegs im roten Kleid an einem lauen Tag. Man möchte mit ihr fahren …

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Stephan Kosch

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