Missionsfreie Jahreszeit

Es fehlt nicht an Hilfsprojekten in den Entwicklungsländern, sondern an ihrer Koordinierung
Widersprüchliche Förderung in Nicaragua: Deutsche Entwicklungshilfe fließt in eine Palmölplantage, die die angrenzenden Bio-Kakao-Bauern beeinträchtigt. Auch sie erhalten Geld aus Deutschland. Foto: epd/Matthias Knecht
Widersprüchliche Förderung in Nicaragua: Deutsche Entwicklungshilfe fließt in eine Palmölplantage, die die angrenzenden Bio-Kakao-Bauern beeinträchtigt. Auch sie erhalten Geld aus Deutschland. Foto: epd/Matthias Knecht
Zu viele Helfer, zu wenig Abstimmung untereinander - das ist seit Jahrzehnten eines der Grundprobleme der Entwicklungshilfe. Dabei sollte eigentlich spätestens seit 2005 die so genannte "Paris-Agenda" der Geberländer Abhilfe schaffen. Warum das bislang nicht gelungen ist und wie einzelne Länder des Südens dieses Problem mittlerweile selber lösen, erläutert Tillman Elliesen, Redakteur der Zeitschrift welt-sichten in Frankfurt am Main.

Im Süden von Nicaragua unterstützt die Bundesregierung seit Jahren Kleinbauern, die Kakao anbauen, und gleichzeitig eine Plantage, die auf 4000 Hektar Ölpalmen anbaut. Auf den ersten Blick ist dagegen nichts einzuwenden. Das Problem ist nur, dass hinter beiden Vorhaben ganz unterschiedliche Vorstellungen davon stehen, wie das Land in der Region möglichst sinnvoll genutzt werden könnte und was den Menschen, die dort leben, am besten helfen würde: einerseits in Genossenschaften organisierte kleinbäuerliche Landwirtschaft, andererseits eine Agrarindustrie, in der die Bauern nicht mehr auf ihrem eigenen Land arbeiten, sondern gegen Lohn für ein Unternehmen.

Das Entwicklungsministerium in Berlin ist der Ansicht, dass sich das nicht gegenseitig ausschließt, und findet es deshalb nicht widersprüchlich, beides zu fördern. Vor Ort, in der Gemeinde El Castillo, sieht man das jedoch anders: Dort fühlen sich die Kakaobauern, die unter anderem für den deutschen Schokoladenhersteller Ritter produzieren, von der Ölpalmen-Plantage zunehmend an den Rand gedrängt und beklagen sich über die Umweltverschmutzung als Folge der Ölproduktion.

Notbremse gezogen

Eine Untersuchung soll nun klären, wo die Konfliktpunkte liegen und wie sie sich möglicherweise beheben lassen. Doch das kommt reichlich spät. Das Beispiel aus Nicaragua zeigt gut, woran die Entwicklungshilfe häufig krankt: Geberländer und ihre Entwicklungsagenturen stimmen sich zu wenig untereinander ab. Alle haben ihre eigenen Projekte und Programme und achten zu wenig darauf, was die anderen tun. Wenn es gut läuft, ergänzt man sich oder stört sich wenigstens nicht. Wenn es aber schlecht läuft wie in Nicaragua, behindern sich die Helfer gegenseitig und verhindern, dass ihr Engagement die erwünschte Wirkung hat.

In vielen Entwicklungsländern, vor allem in Geberlieblingen wie Tansania und Vietnam, ist das ein echtes Problem. Denn dort sind dutzende staatliche Entwicklungsagenturen sowie multilaterale Organisationen wie die Weltbank und das UN-Entwicklungsprogramm tätig. Hinzu kommen unzählige nichtstaatliche Hilfsorganisationen aus aller Welt. Die Behörden dieser Länder müssen teilweise hunderte Gebermissionen im Jahr empfangen und tausende Berichte liefern, um der internationalen Entwicklungsbürokratie Genüge zu tun. Vor einigen Jahren zogen deshalb schon die Regierungen Tansanias und Mosambiks die Notbremse und führten "missionsfreie Jahreszeiten" ein, in denen sie keine Geberbesuche empfangen.

Die Paris-Agenda

Seit zehn Jahren wird die Kritik an dieser Art von Entwicklungshilfe schärfer - auch aus armen Ländern, vor allem in Afrika. Im selben Zeitraum ist die Frage, wie die Hilfe wirksamer gestaltet werden könnte, ganz nach oben auf die Tagesordnung in Geber- und Empfängerländern gestiegen. Wichtigstes Ergebnis dieser Debatte ist die so genannte "Paris-Agenda": 2005 trafen sich Geber- und Empfängerländer sowie Vertreter multilateraler Institutionen in der französischen Hauptstadt und verständigten sich auf fünf grundlegende Prinzipien, die die internationale Entwicklungshilfe künftig anleiten sollen. Die armen Länder etwa sollen mehr Eigenverantwortung übernehmen und sich überlegen, welche Art von Hilfe sie eigentlich wollen. Die Geber wiederum sollen ihre Unterstützung an diesen Vorgaben ausrichten und ihre Projekte und Programme stärker über die Verwaltungen der Empfängerländer abwickeln. Außerdem gelobten sie, sich künftig besser untereinander abzustimmen und die Arbeit aufzuteilen.

Die Paris-Agenda fand unter Fachleuten von Beginn an ein geteiltes Echo: Die einen werteten sie als wichtigen Schritt in die richtige Richtung, anderen war sie dagegen zu bürokratisch und einseitig technisch angelegt. Immerhin ist die Entwicklungshilfe längst ein milliardenschweres Geschäft, von dem viele Menschen gut leben und in dem die beteiligten Organisationen und Unternehmen auch nach eigenen Interessen handeln. Außerdem verfolgen die Geber mit ihrer Hilfe oft auch politische Ziele, die nicht unbedingt mit Entwicklung zu tun haben.

Im Feld

Daran ändern auch die Paris-Agenda und andere wohlfeile Bekenntnisse der Geber zu mehr Abstimmung und Arbeitsteilung nichts. Unterm Strich sollten deshalb die Skeptiker Recht behalten. In den vergangenen zwei Jahren haben Gutachter mehrere Evaluierungen dazu vorgelegt, inwieweit die Beschlüsse der Paris-Erklärung verwirklicht wurden. Und die Ergebnisse sind niederschmetternd: Kaum eines der beschlossenen Ziele ist erreicht worden. Vor allem die Geber haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht, während die Entwicklungsländer ihren Teil der Abmachung weitgehend erfüllt haben. In einem der Evaluierungsberichte heißt es, es gebe eine große Kluft zwischen den unzähligen Papieren und Beschlüssen, die der Entwicklungshilfezirkus ständig auf Konferenzen verabschiede, und der praktischen Arbeit "im Feld", wie es im Helferjargon heißt.

Das heißt nicht, dass eine arbeitsteiligere und an den Interessen der Entwicklungsländer orientierte Entwicklungshilfe unmöglich ist. Allerdings dürfen die armen Länder dabei offenbar nicht auf die Initiative der Geber hoffen, sondern müssen das Heft selbst in die Hand nehmen. Das kleine zentralafrikanische Ruanda hat vorgemacht, wie es geht. Die Regierung sieht Entwicklungshilfe eher als ein notwendiges Übel an, das man akzeptieren müsse, bis das Land auf eigenen Beinen steht. Sie formuliert ihre eigenen Projekte und Programme und lädt die Geber ein, sich daran zu beteiligen - aber zu ihren Bedingungen. Am liebsten sind ihr finanzielle Unterstützung und Investitionen, weniger gern gesehen sind technische Berater aus den Agenturen der Geberländer. Und wenn, dann will die ruandische Regierung genau wissen, welche Kosten ein solcher Berater verursacht, etwa welches Gehalt er bekommt, um beurteilen zu können, ob man dieselbe Expertise zum Beispiel aus Indien billiger haben könnte.

Schwellenländer mischen mit

Die Zahl der Geber ist in Ruanda im Vergleich zu anderen Ländern eher klein. Die Regierung kümmert sich außerdem darum, dass nicht alle Geber dasselbe tun, sondern die Arbeit untereinander aufteilen. Sie setzt durch, was die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union für ihre Entwicklungspolitik schon vor Jahren beschlossen, aber kaum irgendwo verwirklicht haben: dass kein EU-Geber mehr als zwei Arbeitsbereiche abdeckt - wie Bildung, Landwirtschaft und Gesundheit - und dass in keinem Arbeitsbereich mehr als drei bis fünf Geber tätig sind. Das soll Auswüchse wie in Mosambik verhindern helfen, wo sich mehr als zwanzig Geber allein im Kampf gegen Aids engagieren.

Ende 2011 fand in der südkoreanischen Hafenstadt Busan die bislang letzte große Konferenz für eine wirksamere Entwicklungshilfe statt. Seither diskutieren Fachleute darüber, ob die Bemühungen damit vorerst zum Erliegen gekommen sind oder ein neues Kapitel in der Wirksamkeitsdebatte aufgeschlagen worden ist. Das Ergebnis des Treffens lässt sich nämlich so oder so interpretieren. In Busan tagten die alten Geber, also die Industrieländer Europas und Nordamerikas, zum ersten Mal nicht mehr unter sich. Vielmehr saßen auch Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien mit am Tisch - und zwar nicht als Empfänger, sondern als Geber von Entwicklungshilfe. Sie unterzeichneten das Abschlusspapier der Konferenz, was weithin als Erfolg gewertet wird. Der Stellenwert dieser Länder für die Entwicklungsfinanzierung wächst, und deshalb kann ohne ihre Beteiligung die Wirksamkeit der internationalen Hilfe kaum gesteigert werden.

Vertane Chance

Doch bislang sind neue Geber wie China und Brasilien nicht bereit, sich den Wirksamkeitsprinzipien der alten Geber zu unterwerfen. Die Erklärung von Busan fällt entsprechend nichtssagend aus und enthält, anders als die Paris-Agenda, keinerlei konkrete Vorgaben. So mancher Beobachter hat die Wirksamkeitsdebatte denn auch schon für tot erklärt. Tatsächlich besteht die Gefahr, dass der Prozess nun im Sande verläuft. Die offizielle Sprachregelung bei den alten Gebern ist, man hoffe, dass sich die Schwellenländer Stück für Stück den Prinzipien der Paris-Agenda annähern. Nicht auszuschließen ist freilich, dass die alten Geber die Gelegenheit nutzen und sich ihrerseits den neuen Ländern im Geber-Club anpassen - und sich somit still und heimlich von ihren Pariser Beschlüssen verabschieden, die sie ja auch bisher schon weitgehend ignoriert haben.

Abgesehen von den Forderungen der armen Länder selbst - siehe Ruanda - wird vieles davon abhängen, in welche Richtung die Entwicklungshilfe der neuen Geber künftig geht. Schon das Wort "Hilfe" stößt in China, Brasilien und Indien auf Ablehnung, wenn es zum Beispiel um ihr Engagement in Afrika geht. Man spricht dort eher nüchtern von Investitionen und wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Dass diese Zusammenarbeit auch zum eigenen Vorteil sein darf, gilt in Peking, Brasilia und Neu-Delhi als selbstverständlich und nicht als anrüchig. Einerseits. Andererseits berichten Kenner etwa der Szene in Brasilien, dass die dortigen Entwicklungspolitiker nicht weniger als in Deutschland um eine von außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen unabhängige Hilfe bemüht sind.

Dennoch spricht einiges dafür, dass die staatliche Entwicklungshilfe in Zukunft wieder stärker den geopolitischen Interessen der Geber angepasst wird. Bis 1990 folgte sie der Logik des Kalten Krieges, und künftig könnte sie dem sich zuspitzenden Wettlauf um Rohstoffe zwischen alten und neuen Industrieländern untergeordnet werden. Die zwanzig Jahre zwischen dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Konferenz in Busan könnten im Rückblick einmal als kurzes, glückliches Intermezzo einer von Interessen vergleichsweise wenig beeinflussten Entwicklungshilfe erscheinen - und zugleich als vertane Chance, diese Hilfe wirksamer zu gestalten.

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Tillman Elliesen

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