Der Barmann

Vom Ende der Beschwerde
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Hier geht es um einen, der zwar redet, aber sich in Zeiten seichter Sloganverblödung und medialen Overkills überhaupt nicht mehr anders als in Worten sehen lassen will. Er verbittet sich Fotografieren und tritt im Fernsehen mit abgeschnittenem Kopf auf.

"Rede, damit ich dich sehe!" So zitierte Johann Georg Hamann in seiner Aesthetica in nuce (Ästhetik in einer Nussschale) einst Erasmus. Wie überhaupt aus Zitaten errichtete Werke (Cento) Hamanns große Kunst waren und er die Zutaten da so gewitzt in den Mixbecher goss, dass seine Texte bis heute berauschen, mental, ästhetisch, und trotz recherchierbarer Zutaten eigenartig sind. Toll. Doch hier geht’s nun um einen, der zwar redet, aber sich in Zeiten seichter Sloganverblödung und medialen Overkills überhaupt nicht mehr anders als in Worten sehen lassen will. Er verbittet sich Fotografieren und tritt im Fernsehen mit abgeschnittenem Kopf auf. Visuell unverstellt ist er nur bei Konzerten. Kurz, Peter Licht aus Köln arbeitet (oder mixt) auf derselben Baustelle wie der Philosoph vor einem Viertel Jahrtausend und ist gleich toll. Einen Hit hatte er bislang, 2001, mit "Sonnendeck" gelandet - perlender Elektropop mit sanfter Stimme, Subtilität und Rede, die (ihn - uns?) sichtbar macht: "Wenn ich nicht hier bin, bin ich auf’m Sonnendeck (bin ich, bin ich, bin ich) oder im Solarium oder am Radar ... und alles, was ist, dauert drei Sekunden, eine Sekunde für vorher, eine für nachher und eine für mittendrin, für da, wo der Gletscher kalbt, wo die Sekunden ins blaue Meer fliegen." Alben wie "Das Ende des Kapitalismus" oder "Melancholie & Gesellschaft" folgten. "Das Ende der Beschwerde" ist sein fünftes, mit zwölf Liedern. Wortkunst nach wie vor; sein Soundspektrum reicht von Deklamation im Stil Schorsch Kameruns (zz 12/09) im Opener "Sag mir, wo ich beginnen soll" über ein Amalgam aus Achtziger-Touch und aktuellem Schlager und Meditation ("Schüttel den Barmann") bis zur Ballade, die dem tourenden Verkündigungs-Musical "Die Zehn Gebote" entstammen könnte, aber ein pfiffiges "New Order"-Beat-Korsett hat: "Begrabt mein iPhone an der Biegung des Flusses" heißt diese "Rede, damit ich dich sehe!" - eine Großtat, die ahnen lässt, dass der Mann auch auf Lesebühnen reüssiert (in Klagenfurt etwa) und auch begeistert Theater macht. Er arbeitet mit Rainer Maria Rilkes "Du musst dein Leben ändern" (in "Das Ende der Beschwerde") und bemerkt: "Wenn ich nur wüsste, welches Leben ich ändern müsste / und welches besser nicht" (was Peter Sloterdijks gleichnamiges Buch hörnt). Velvet Underground-Dramaturgie hat er im Gepäck und ist immer ganz nah an dem, was unser überdrehender Oberflächenalltag schon lange verdeckt. Er ist Nietzsches toller Mensch und zündet uns mitten am Tag eine Laterne an. Pop, der Tiefsinn hat und Größe. Melancholisch allenfalls dort, wo man die Begeisterung dafür mit einer oder einem Verflossenen teilt.

Peter Licht: Das Ende der Beschwerde. (Motor Music/Edel 2011)

Udo Feist

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