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Erfahrungen eines Spätstarters bei Facebook: Wie man Freunde findet
Stets in Verbindung: Die Symbole der sozialen Netzwerke auf einem modernen Handy. Foto: dpa/David Ebener
Stets in Verbindung: Die Symbole der sozialen Netzwerke auf einem modernen Handy. Foto: dpa/David Ebener
20 Millionen Deutsche sind Mitglied bei Facebook. Was erleben sie dort, was die anderen gut 60 Millionen Bundesbürger nicht erleben? Stephan Kosch wollte es wissen und hat sich angemeldet.

Ich werde in diesem Monat 44 Jahre alt. Das ist noch jung oder schon nicht mehr so, je nachdem von wo man darauf guckt. Doch manchmal fühle ich mich richtig alt. Immer dann, wenn irgendwo diese Begriffe auftauchen. Twitter, Facebook, posten (englisch betont, wie Post Office, nicht wie Wach-posten). Wenn ich lese, dass Politiker, die ich eigentlich für viel konservativer und älter halte als mich selbst, ihre Meinung durch die Gegend twittern und damit am nächsten Tag in allen möglichen Nachrichten zitiert werden. Oder wenn ich wieder mal von spontanen Partys lese, bei denen Tausende von Jugendlichen zusammenkamen, weil irgendwer was auf Facebook geschrieben hat.

Nicht dass ich da unbedingt mitfeiern möchte, aber vielleicht wäre es trotzdem gut davon zu wissen, schon allein um nicht aus Versehen am Samstagnachmittag mit den Kindern in so etwas hineinzugeraten. Am Samstagnachmittag finden solche Partys gar nicht statt? Mag sein, ich weiß es nicht. Ich weiß, was Facebook und Co. betrifft eben nur, was man so liest. Zum Beispiel, dass diese so genannten Social Media (neben Facebook auch noch Studi- und SchülerVZ, Stayfriends, Xing) eine Folge des so genannten Web 2.0. sind, also dem Internet, dass nach der Internetsteinzeit (1.0), in der man nur lesen, hören und sehen konnte, was irgendwer ins Netz gestellt hat, nun von Jedermann und Jederfrau gestaltet werden kann. Das hat zu Millionen von Bloggs genannten Onlinetagebüchern geführt, in denen jeder seine Erlebnisse oder seine Sicht der Dinge veröffentlichen kann - lese ich selten, komme ja schon mit den Zeitungen nicht durch.

Aber das Web 2.0 hat uns ja auch das großartige Wikipedia geschenkt, das aktuellste (wiki bedeutet schnell auf hawaianisch) Lexikon der Welt, das aktuellen Tests zufolge mittlerweile inhaltlich an die Enzyklopaedia Britannica heranreichen soll.

Die Schwarmintelligenz zieht vorbei

Das bringt, wenn man den Blick auf die guten Beispiele richtet, der Menschheit ohne Frage einen gewissen Fortschritt. Aber was leistet Facebook? Was kann es mehr als normale E-Mail? Warum soll es 850 Millionen Menschen weltweit interessieren, wo ich gerade bin, wo ich im Urlaub war, was ich gerade so denke, lese, sehe ... ist das nicht nur ein Forum für Menschen mit einem überdurchschnittlichen Hang zum Exhibitionismus?

Andererseits: Es sollen ja schon Revolutionen über Twitter und Facebook geplant und durchgeführt worden sein. Und Politiker mussten gehen, weil ihnen im Netz Unsauberkeiten bei der Anfertigung ihrer Doktorarbeit nachgewiesen wurden. Schwarmintelligenz ist faszinierend, und es steht zu befürchten, dass sie an mir vorbeizieht, während ich mir Gedanken darüber mache, ob Facebook die Menschheit weiterbringt oder nicht.

Angemeldet

Also melde ich mich an. Das geht denkbar einfach, und man muss auch nicht sonderlich viel von sich preisgeben - wenn man nicht will. Lediglich einen Namen, eine dazugehörige E-Mail-Adresse und einen Geburtstag will Facebook wissen. Das kann natürlich der eigene echte Name sein, oder irgendein anderer. Man kann sein Profil sehr konkret gestalten oder gar nichts sagen, kann beim Beziehungsstatus die klassischen Zustände anklicken oder "Es ist kompliziert" oder "offene Beziehung" - muss es aber nicht tun. Man kann seine berufliche und schulische Vita angeben, muss es aber nicht. Politische Einstellung, Religion, Vorbilder, Lieblingszitate und all solche Dinge in rund vierzig Unterpunkten beschreiben oder es bleiben lassen. Und man kann alles, was man angibt, nur für Freunde (und deren Freunde) oder der ganzen Welt sichtbar machen - oder nur für sich selbst.

Welchen Sinn soll das haben? "Nur für Facebook und seine Werbekunden" wäre wohl ehrlicher, denn es ist schon klar, dass ich nun im großen Datenregal von Facebook irgendwo neben den anderen kirchen-, architektur- und choraffinen Menschen abgelegt werde. Niemand von diesen Menschen meldet sich übrigens in den kommenden Wochen bei mir, wohl aber ändert sich die Werbung, mit der mich Facebook versorgt. Anfangs werden mir vor allem Computerspiele angeboten, mittlerweile eher Designermöbel. Das irritiert mich aber weniger, denn so etwas kenne ich schon. Seitdem ich beim Versandhaus "Otto" im Netz mal nach Kinderkleiderschränken gestöbert habe, wird meine Spiegel-Online-Lektüre immer wieder mit genau den Modellen umrahmt und aufgelockert, die damals in der engeren Auswahl waren.

Aufdringliche Bitte

Sehr aufdringlich zeigt sich Facebook allerdings in den ersten Tagen, indem es mich immer wieder bittet, doch Zugriff auf die in meinem E-Mail-Account gespeicherten Adressenlisten zu geben. Natürlich nur, um mir durch einen Abgleich mit den E-Mail-Adressen anderer Mitglieder zu helfen, Freunde zu finden, versichert mir Facebook. Aber ich glaube nicht recht daran und möchte nicht, dass alle die, denen ich jemals eine Mail geschickt habe, künftig noch mehr Werbemails in ihren Postfächern haben und bleibe auch bei der x-ten Aufforderung standhaft. Irgendwann gibt Facebook auf.

Nun bin ich beim Freundefinden also auf mich allein gestellt. Ich falle dann auch gleich in tief verschüttete Verhaltensweisen zurück und mache das, was ich früher im Jugendzentrum und in der Disco auch gemacht habe: am Rand stehen bleiben und gucken, was passiert. War damals schon nicht sehr erfolgreich, ist es immer noch nicht. Wobei ich mich natürlich sehr darüber gefreut habe, dass mich meine Tante Gerda sehr schnell gefunden hat, das wäre mir in der Disco wohl nicht passiert. Und kurz darauf meldet sich auch eine frühere Kollegin, die jetzt surreale Fotos ins Netz stellt, mit einer Freundschaftsanfrage bei mir. Dann geschieht lange nichts.

Einige Wochen später stelle ich fest, ich liege deutlich unter dem Durchschnitt der Facebook-Mitglieder von 105 Freunden. Irgendwer bei Facebook bekommt das Drama offenbar mit und bietet mir an, Werbung für mich zu schalten. Das ist mir aber trotz eines Rabattes viel zu teuer, und ich entsinne mich an die entscheidende Strategie der Einsamkeit in der Disco zu entgehen: Gucken, ob man jemanden kennt, der schon länger da ist, hingehen, "Hallo" sagen ... So ähnlich mache ich das jetzt auch bei Facebook: Namen eingeben von Menschen, die ich kenne, Freundschaftsanfrage abschicken und auf wohlwollende Antwort hoffen. Sobald man einen ersten Treffer hat, geht das viel einfacher als im wahren Leben, denn man kann auch die jeweiligen Freunde der Freunde sehen und wenn man dort auf einen klickt, wieder die Freunde der Freunde usw.

Man kann alles und muss (fast) nichts

Einige Dutzend Freundschaftsanfragen sind schnell verschickt, innerhalb eines Tages habe ich zwei Dutzend Freunde, und es kommen nahezu täglich neue hinzu. Man ist schnell vernetzt, wenn man es will, man kann dem einen oder anderen Wiedergefundenen eine Nachricht schreiben oder es bleiben lassen, sich über das freuen, was andere auf ihrer Seite teilen (Fotos, Fundstücke aus Zeitungen, Videos, was auch immer) oder es ignorieren, man nimmt Teil an dem, was andere mitteilen wollen. Man kann sich unter die Leute mischen und los-posten oder sich wieder an den Rand stellen und zugucken.

Man kann das alles beliebig nennen und die Entwertung des Freundschaftsbegriffes beklagen, man kann die sozialen Netzwerke im Internet aber auch als Ergänzung zu den bestehenden sozialen Netzen des wahren Lebens verstehen - und nicht als Alternative dazu. Man kann Angst vor neuen Datenspuren haben, die man durch Facebook setzt und dem Konzern viel Geld bringen. Man kann diese Spuren aber auch durch die entsprechenden "Privacy"-Einstellungen reduzieren und mit einer gewissen Gelassenheit konstatieren, dass sich die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum schon längst verschoben haben und jede Anfrage bei Google, jedes Buch bei Amazon und jeder Kauf einer Bahnkarte im Internet auch Datenspuren hinterlassen. Wollen wir trotzdem auf diese Annehmlichkeiten verzichten?

Man muss nicht bei Facebook sein. Aber man kann dabeisein und das Maß, in dem man sich dort selber der Öffentlichkeit (und auch der Werbewirtschaft) präsentiert, zum allergrößten Teil selbst bestimmen. Man kann eine wilde Show auf der Tanzfläche inszenieren und auf Kommentare hoffen oder von einem Grüppchen zum nächs-ten gehen und ein paar Worte wechseln. Man kann am Rand stehen bleiben und auch wieder ganz ’raus gehen. Man kann vieles, man muss eigentlich nichts - das gefällt mir.

P.S. Vor kurzem las ich auf der Pinnwand einer Kollegin, dass Facebook verbindlich für alle die so genannte Chronik einführt. Das neue Design der Seiten wird dazu führen, dass Einträge und Fotos über einen viel längeren Zeitraum als bisher im Netz bleiben werden, der Vorstellung eines Online-Tagebuches entsprechend von der Kindheit bis zum hohen Alter. Facebook will offenbar noch mehr wissen von mir, es gilt also bald ein bestimmter Dresscode auf der Party. Gefällt mir das noch? Mal sehen ...

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Stephan Kosch

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