Wolfsklang

Hélène Grimaud spielt Mozart
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Wie ihre geliebten Wölfe bewegt sich Hélène Grimaud in Mozarts Musik - mal voller Energie, mal abwartend-lauschend, dann davonjagend, frei und ungebunden...

Beim Adagio in Mozarts A-Dur-Klavierkonzert No. 23 lässt sich Hélène Grimaud Zeit - viel mehr Zeit als die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen. Langsam tropfen große Töne nieder, hinunter auf den dunklen See, den das Kammerorchester des Bayerischen Rundfunks der gebürtigen Französin zu Füßen legt. Man lauscht auf die Musik, aber ebenso sehr hört man die Stille zwischen den Tönen und glaubt, darin zu versinken. Als der Schlusssatz dann wieder losspringt, galant und wieselflink, ist nur scheinbar wieder alles so, wie man es an Mozart kennt und liebt. Etwas von der Stille ist im Hörer haften geblieben, winzige Flecken von Dunkelheit im großen Glitzern. Das Tempo sei aus der Aufführungssituation heraus entstanden, sagt Hélène Grimaud über die Aufnahme, die einen 2011er-Auftritt im Münchener Prinzregententheater dokumentiert. "Ich habe es im Moment des Konzertes und in dieser Akustik so empfunden. Die Rückkehr des Klangs bestimmt, wann man die nächste Note spielt. Tempi richten sich immer nach dem Saal." Und nach der Sicht der Künstlerin natürlich, die gerade dieses Stück Musik bei Mozart über alles liebt: "Selbst wenn wir nur diesen Satz von ihm hätten, wäre das genug." Man muss die Überzeugung nicht teilen, und Hélène Grimauds erste Mozart-CD taugt gleich selbst als Gegenbeweis. Das Orchester unter der Leitung von Radoslaw Szulc eröffnet sie mit der gebührenden Noblesse und dem Klavierkonzert Nr. 19 in F-Dur. Das Klavier gesellt sich hinzu wie ein übermütiger junger Hund. Oder Wolf? Wahrscheinlich ist die Interpretation sehr gewagt, doch man sieht die Künstlerin förmlich vor sich, wie sie in ihrem Wolfsgehege den Tieren beim Spielen zuschaut. Aber Wölfe sind keine Hunde. Sie sind Raubtiere, wild, scheu, gefährlich - wenn auch nicht für den Menschen, wie in vielen alten Legenden fälschlicherweise behauptet wird. Wie ihre geliebten Wölfe bewegt sich Hélène Grimaud in Mozarts Musik - mal voller Energie, mal abwartend-lauschend, dann davonjagend, frei und ungebunden. Diese Freiheit nimmt sie sich auch in der Auswahl der Stücke. Statt ein drittes Klavierkonzert hat sie für den Mittelteil der CD die Arie "Ich dich vergessen? - Sorge dich nicht, o Vielgeliebte" ausgewählt. Mit der jungen Sopranistin Mojca Erdmann harmoniert die Pianistin ausgesprochen gut - und ist in diesem Punkt ganz und gar keine Wölfin. Anders als in den streng hierarchisch organisierten Rudeln bewegen sich die beiden völlig gleichberechtigt. Oder ist Mozart der Leitwolf, dem sich beide unterordnen?

Hélène Grimaud: Mozart. Mit dem Kammerorchester des bayerischen Rundfunks. Deutsche Grammophon 477 9455.

Ralf Neite

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