Starke Verunsicherung

Einst bildeten die koptischen Christen in Ägypten die Bevölkerungsmehrheit
Vor dem St. Simeon-Kloster in Kairo gab es im letzten Oktober bei blutigen Zusammenstößen 24 Tote. Foto: epd
Vor dem St. Simeon-Kloster in Kairo gab es im letzten Oktober bei blutigen Zusammenstößen 24 Tote. Foto: epd
Schon am Ende des 2. Jahrhunderts bildete sich die später "koptisch" genannte christliche Kirche in Ägypten heraus. Nach der islamischen Eroberung im 7. Jahrhundert folgte für die koptischen Christen eine lange Unterdrückungs- und Verfolgungsgeschichte, die bis auf den heutigen Tag anhält: Heike Behlmer, Professorin für Ägyptologie und Koptologie an der Universität Göttingen, über die "Kirche der Märtyrer".

Nach der Tradition, die unter anderem der Kirchenvater Eusebius überliefert, wird das Christentum in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. vom Evangelisten Markus nach Ägypten gebracht. Wie Johannes von Hermopolis, ein um 600 n. Chr. tätiger ägyptischer Autor, schreibt, "gab es überhaupt keinen Tag in Ägypten, sondern nur immerwährende Nacht", bevor Markus kam. Am Ende des 2. Jahrhunderts trat eine Kirchenorganisation mit einem Patriarchen und Bischöfen an ihrer Spitze in das Licht der Geschichte, die gleich mit Kirchenvätern wie Clemens und Origenes eine wichtige erste Blüte erleben sollte.

Die letzte große Christenverfolgung im Römischen Reich, die auch Ägypten traf, wurde von Kaiser Diokletian (284–305 n. Chr.) initiiert. Nach dem Ende der Verfolgung und der Tolerierung des Christentums unter Konstantin wuchs die Zahl der ägyptischen Christen schnell, und Ende des 4. Jahrhunderts stellten sie die große Mehrheit der Bevölkerung. Noch heute sind ägyptische Theologen wie Athanasius und Kyrill von Alexandria nicht nur Wissenschaftlern ein Begriff. Im 5. Jahrhundert nahm dann ein Prozess seinen Anfang, der die später "koptisch-orthodox" genannte Mehrheit der ägyptischen Christen in einem mehrere Jahrhunderte dauernden Ablösungsprozess von der griechisch-orthodoxen Kirche mit Zentrum Konstantinopel trennte.

Diese Trennung wird heute weniger in fundamental unterschiedlichen Auffassungen des Streitgegenstandes gesehen, dem Verhältnis von menschlicher und göttlicher Natur in Jesus Christus, sondern in kirchenpolitisch verschärften Interpretationsunterschieden bei im Wesentlichen ähnlichen theologischen Grundauffassungen. In dieser frühen Zeit entstanden die beiden großen Säulen des Christentums in Ägypten, die über die Jahrhunderte von zentraler Bedeutung geblieben sind. Die eine ist die Verehrung der Glaubens-zeugen der großen Verfolgungen. Die ägyptischen Christen zählen noch heute ihre Jahre nach der "Ära der Märtyrer", eine Jahreszählung, die in der früh-islamischen Zeit die vorher üblichen Datumsangaben ablöste. Die Selbstidentifikation der koptischen Kirche als "Kirche der Märtyrer" hat auch wesentlich zum Überlebenswillen und zum Zusammenhalt der Kirche unter oft schwierigen Bedingungen beigetragen.

Unter Steuerdruck

Die andere ist die Verehrung der großen Asketen und Mönchsheiligen der ausgehenden Antike. Um den erwähnten Johannes zu zitieren, "praktizierten lle bedeutenden Mönche ihre Askese in Ägypten". Sowohl Eremiten und spirituelle Leiter kleiner Asketengemeinschaften, wie Antonius (†356) oder Makarius, als auch Vorsteher von organisierten Klöstern, wie Pachom (†346) und Schenute (†465), genossen die Bewunderung der Zeitgenossen im In- und Ausland und die Verehrung folgender Generationen.

In den Jahren 640/42 eroberte eine kleine arabische Streitmacht unter dem Feldherrn Amr ibn al-As Ägypten, das zu der Zeit Teil des byzantinischen Reiches war. Zunächst veränderte sich wenig an der Lage der christlichen Mehrheit. Die Bauern und Handwerker zahlten nun ihre Steuern an die neuen Oberherren, die anfangs nicht daran interessiert waren, dass die eroberten Völker zum Islam konvertierten, denn dann wären diese in den Genuss von Privilegien gekommen, die die Einkünfte der Eroberer aus Tributen geschmälert hätten. Erst einige Generationen später, als sich der Steuerdruck auf die Christen stark erhöhte, kam es zu einer größeren Anzahl von Übertritten zum Islam, insbesondere als viele Christen in der Folge von gescheiterten Steueraufständen im 9. Jahrhundert nach Bagdad deportiert wurden.

Im Mittelalter war Christen zwar die Ausübung ihrer Religion gestattet, sie mussten jedoch jizya, eine zusätzliche Steuer, zahlen. Eine weitere Welle von Übertritten gab es im 13. Jahrhundert: Die Christen wurden aufgerieben zwischen einer grausam herrschenden Regierung, für die viele Kopten – oft nicht freiwillig – arbeiteten und einer Bevölkerung, die sie als Sündenböcke für die Gewalttaten der Herrschenden sah. Ab dem 10. Jahrhundert wurde das Arabische zur Sprache der ägyptischen Christen. Es ersetzte das Koptische, die letzte Stufe der altägyptischen Sprache. Das Koptische lebt aber auch heute noch in zentralen Bestandteilen der koptisch-orthodoxen Liturgie weiter, und es gibt Bemühungen, es wieder aufleben zu lassen.

Kopten = Ägypter

Aus dem Arabischen kommt auch der Name "Kopten". Der Begriff leitet sich von der griechischen Bezeichnung Aigyptios, "Ägypter", ab. So wurde nach der arabischen Eroberung die einheimische Bevölkerung des Landes bezeichnet. Über die arabische Form qubt/qibt kam das Wort in die europäischen Sprachen.

Das europäische Interesse an den koptischen Christen war zunächst ein vorwiegend missionarisches und antiquarisches. Ab dem 17. Jahrhundert führten Missionsanstrengungen der katholischen Kirche zu einem verstärkten Interesse an der Sprache und der religiösen Literatur der Kopten. Gleich-zeitig wurden koptische Handschriften und Kunstobjekte von Sammlern in Schon am Ende des 2. Jahrhunderts bildete sich die später "koptisch" genannte christliche Kirche in Ägypten heraus. Nach der islamischen Eroberung im 7. Jahrhundert folgte für die koptischen Christen eine lange Unterdrückungs- und Verfolgungsgeschichte, die bis auf den heutigen Tag anhält: Heike Behlmer, Professorin für Ägyptologie und Koptologie an der Universität Göttingen, über die "Kirche der Märtyrer".

Privatsammlungen und später in die neu entstehenden Museen gebracht. Ab dem Mittelalter hatten die Klöster einen Prozess des Niedergangs erleiden müssen, was es den Reisenden und Händlern der frühen Neuzeit oft sehr leicht machte, Handschriften aus Klosterbibliotheken zu erwerben oder sich ihrer in bisweilen unredlicher Art zu bemächtigen. Dabei wurde wenig Wert auf wissenschaftliche Dokumentation gelegt, so dass wir heute bei vielen Objekten kaum etwas über ihre Herkunft und ihre ursprünglichen Schöpfer und Besitzer wissen. Viele historische Dokumente wurden auch ganz zerstört, nicht zuletzt durch das im ausgehenden 19. Jahrhundert rapide ansteigende Interesse an den monumentalen pharaonischen Tempeln und Grabbauten. Hier wurden die jüngeren und damit obenauf liegenden Hinterlassenschaften der ägyptischen Christen oft nur als Schutt gesehen und einfach abgeräumt. Dies änderte sich erst mit dem Aufkommen eines wirklichen wissenschaftlichen Interesses an den koptischen Denkmälern ab dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Heute ist die Koptologie, die Erforschung der koptischen Sprache und Literatur und der Kultur der ägyptischen Christen, eine kleine, aber engagiert betriebene Wissenschaft.

Einfluss verloren

Unter der ausgehenden osmanischen Herrschaft des 19. Jahrhunderts und der britischen Kolonialherrschaft waren die Kopten widerstreitenden Kräften ausgesetzt. Während die Herrschaft des Vizekönigs Muhammad Ali (†1849) mit der Aufhebung der jizya-Steuer und anderer Diskriminierungen eine Blüte der koptischen Kultur begründete, brachte die Zeit des britischen Protektorats (ab 1882) wenig Verbesserungen für die Kopten. Die Kolonialherren betrachteten die koptische Kirche weithin als häretisch und versuchten Muslime und Christen gegeneinander auszuspielen.

Im frühen 20. Jahrhundert kämpften koptische Intellektuelle gemeinsam mit muslimischen gegen die Kolonialmacht, in der Hoffnung, einen modernen Nationalstaat zu schaffen. Nach einer kurzen Periode weitgehender Harmonie kurz nach der Unabhängigkeit 1922 nahm die Präsenz der Kopten in der ägyptischen Politik sukzessive ab – trotz der Prominenz einzelner, wie des früheren Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Boutros Boutros-Ghali.

Dies war eine Folge der politisch-religiösen Entwicklungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nach dem Ende des zentralistischen Regimes Nassers, der einen arabischen Sozialismus verfolgte, bewegte sich dessen Nachfolger Anwar as-Sadat zur Machtsicherung immer mehr in die Richtung eines islamischen Staates hin. Nun verloren die ägyptischen Christen die öffentlichen Räume in der Gesellschaft, in denen sie sich noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts bewegen konnten. Um sich im neuen Ägypten sicher zu fühlen, zogen sie sich aber auch selbst in die von ihrer Religion und ihrer Kirche angebotenen Schutzräume zurück oder wanderten aus. Im Rahmen einer allgemeinen Respiritualisierung ist auch eine Renaissance des Mönchtums und seiner Rolle in der christlichen Gesellschaft Ägyptens festzustellen. Die Zahl der Mönche ist seit den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts exponenziell gewachsen, und an den Feiertagen pilgern Tausende von Christen auch zu entlegeneren Klöstern wie dem Antonius-Kloster in der Nähe des Roten Meers. Seit dem Ende der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts haben insbesondere gebildete und wohlhabende Kopten in zunehmender Zahl das Land verlassen. Sie haben sich vornehmlich in den traditionellen Einwanderungsländern Australien, Kanada und USA niedergelassen.

Einige Tausend in Deutschland

In Deutschland gibt es dagegen nur einige Tausend Kopten, die auch aufgrund ihrer kleinen Gemeinden sehr am ökumenischen Dialog mit anderen Konfessionen interessiert sind. Spirituelle Zentren sind das 1980 gegründete Kloster des Hl. Antonius in Kröffelbach im Taunus (www.stantonius-kroeffelbach.de) und das ab 1993 in mühevoller Restaurierung eines denkmalgeschützten Barockbaus angelegte Kloster der Hl. Jungfrau Maria und des Hl. Mauritius in Höxter-Brenkhausen (www.koptisches-kloster-hoexter.de). Hier hat auch Bischof Damian, das 1995 bestellte Oberhaupt der Kopten in Deutschland, seinen Sitz. Seit 2011 sind die ägyptischen Christen verstärkt in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses in Europa getreten.

Obwohl auch Kopten den arabischen Frühling in Ägypten unterstützt haben, konnten sie den Sturz des Regimes Hosni Mubaraks nicht nur positiv sehen. Unter Mubarak wurden die Kopten de facto diskrimi- niert, in öffentlichen Ämtern und der Armee gab es eine gläserne Decke, Über-griffe gegenüber koptischen Institutionen und Personen wurden zwar juristisch verfolgt, aber fast nie bestraft. Dennoch garantierte ihnen das System ein gewisses Maß an Sicherheit und zumindest eine Rhetorik der Brüderlichkeit. Jetzt zeichnen sich besorgniserregende Veränderungen ab. Insbesondere ob sie in einem neuen, islamisch geprägten Ägypten als gleichberechtigte Bürger anerkannt werden, ist mehr als unsicher. So werden bereits vereinzelt Rufe nach der Wieder-einführung der Jizya-Steuer laut. Es ist daher zu vermuten, dass die Kopten in einem islamischen Staat des 21. Jahrhunderts genauso wie im Mittelalter auch rechtlich diskriminiert sein werden. Dass seit März 2011 weitere hunderttausend Kopten das Land verlassen haben sollen, zeigt, wie stark ihre Verunsicherung ist.

Heike Behlmer

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