Sicher, es ist ein ehrgeiziges Projekt, eine Kulturgeschichte der islamischen Welt zu schreiben. Man kann sich kaum einen wuchtigeren Gegenstand für einen Islamwissenschaftler vorstellen als ein solches Kompendium dieser monotheistischen Religion. In nicht wuchtigem Format, auf 240 Seiten, hat sich Heine, ehemals Professor für Islamwissenschaften des nicht-arabischen Raumes an der Humboldt-Universität zu Berlin, seiner angenommen: "Märchen, Miniaturen, Minarette", die schöne Alliteration fasst kurz zusammen, was den Lesenden auf den kompakten 240 Seiten des Bandes erwartet.
Zu allererst formuliert Heine seinen Kulturbegriff und grenzt sich ab, denn eines ist klar: Auf derart kleinem Raum bleibt kein Platz für alle kulturellen Ausprägungen, so dass der Berliner Professor einen "bewusst reduzierten Kulturbegriff verwendet". Nur mit Bewunderung kann man sehen und wahrnehmen, welche Sach- und Detailkenntnis hinter seiner Arbeit steckt. Aber fast mehr noch ist bemerkenswert, wie der Autor sein Thema gliedert. Er führt zunächst gut lesbar und informativ in die Grundlagen des Islam ein. Damit ist ein Fundament für die Literaturen, die bildende Kunst, die Architektur, die Musik und auch die Textilien im Islam gelegt. Die Kapitel sind in sich geschlossen und lassen sich je nach Interessenlage unabhängig voneinander lesen. Dabei erfährt der Lesende viel Wissenswertes, zum Beispiel über das Bilderverbot. Es gehöre nicht zu den Vorschriften aus der islamischen Frühzeit und lasse sich nur schwer aus dem Koran extrahieren. Trotzdem werden lebendige Wesen in islamischen Gesellschaften erst seit knapp zwei Jahrhunderten abgebildet. Oder die Kalligraphie. "In Mekka war es in vor-islamischer Zeit üblich, die Texte von Gedichten, die als besonders gelungen angesehen wurden, auf Tücher zu sticken und an der Kaaba aufzuhängen", schreibt Peter Heine. Kein Wunder also, dass die Schrift für viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens so bedeutsam wurde. Den Koran abzuschreiben, gehört bis heute zu den guten Werken, die ein Gläubiger vollbringen kann.
Fast lexikalisch angelegt ermöglicht Heine auch dem religiösen Laien den Einstieg in das Thema. In Großbuchstaben gesetzte Zwischenüberschriften strukturieren die Seiten und liefern zudem einen schnellen Überblick. Besonders erwähnenswert: Jede Doppelseite besticht durch ein großformatiges Bild. Überhaupt ist die graphische Aufmachung des Buches eine Augenweide. Anhand vieler Belege, Bilder und graphischer Darstellungen zeigt der renommierte Islamwissenschafter die Errungenschaften, die unter muslimischer Herrschaft gewachsen sind. Und er weist daraufhin, wie vielfältig und reich der Islam fern jeglicher massenmedial einengenden Bildsprache ist. Genauer: Heine räumt auf mit dem eurozentrierten Blick, der den Islam nur im Nahen und Mittleren Osten beheimatet weiß. So bezieht er Afrika und Südostasien mit ein.
Die Haltung, die sich hier artikuliert, ist sachlich, fundiert und interessiert; sie weiß wohl um die räumliche Beschränkung des Themas auf nur 240 Seiten, also die Reduktion auf das Wesentliche. Und auch deshalb weckt sie die Entde-ckerfreude und vermittelt als Einstiegslek-türe ein äußerst informatives Bild des Islam von seinen Anfängen bis heute.
Peter Heine: Märchen, Miniaturen, Minarette. Primus Verlag, Darmstadt 2011, 240 Seiten, Euro 49,90.
Kathrin Jütte
Kathrin Jütte
Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.