Eingeschmuggelte Vögel und Kleintiere

Warum die bildliche Darstellung von lebenden Wesen in der islamischen Welt problematisch ist
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Zwar ist im Koran nicht direkt von einem Verbot die Rede, das die Abbildung lebendiger Wesen verbietet, doch in den Überlieferungen des Propheten Mohammed wird ausdrücklich davor gewarnt. Wie sich die bildende Kunst im Islam im Laufe der Jahrhunderte entwickelte, beschreibt Peter Heine, Islamwissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin.

Dass Wein und Schweinefleisch für Muslime verboten sind, ist auch denen wohlbekannt, die vom Islam nicht viel wissen. Mancher weiß auch, dass die Abbildung von lebenden Wesen in der islamischen Welt als problematisch angesehen wird. Allerdings ist im Koran von diesem Verbot nicht die Rede. In den Überlieferungen der Aussprüche des Propheten Muhammad wird dagegen umso häufiger vor der Darstellung lebendiger Wesen gewarnt. Den Grund dafür findet man unter anderem in dem arabischen Wort "Musawwir". Das bedeutet zwar "Maler", vor allem aber ist es einer der hundert Namen Gottes, in der Bedeutung von "Schöpfer". Jemand, der das Abbild eines Menschen schafft, stellt sich demnach frevelhaft auf die gleiche Stufe mit Gott.

Der religionsgeschichtliche Hintergrund des Verbots hängt mit der Ablehnung jeder Form von Götzenverehrung zusammen, wie sie die Araber vor dem Islam praktizierten. Ähnliche Verbote finden sich auch im Judentum oder in bestimmten Phasen der christlichen Tradition. Daher finden sich in den offiziellen Bauten und Moscheen der ersten muslimischen Dynastie der Omayyaden von Damaskus (7./8. Jahrhundert) zwar berühmte Mosaiken, sie stellen aber anstatt von Lebewesen freie Landschaften und Städte dar. Diese Kunstwerke wurden von byzantinischen Künstlern im Auftrag der Kalifen von Damaskus geschaffen und hatten die Funktion von "Kunst am Bau". Sie waren also öffentliche Kunst.

Das islamische Bilderverbot wurde an Moscheen und Medresen (Schulen) besonders ernst genommen. Nur in ganz seltenen Fällen versuchten Künstler in die Ausschmückung eines muslimischen Gotteshauses kleine Lebewesen, wie Vögel oder Kleintiere, hineinzuschmuggeln. Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts begannen muslimische Intellektuelle dann, das Bilderverbot zu kritisieren. Sie bedauerten, dass durch dieses Verbot Bilder als Quelle für die Kulturgeschichte islamischer Gesellschaften unmöglich wurden. Damit fehle ein wichtiges Dokument für die Geschichte und Identität muslimischer Völker.

Privat weniger streng

Anders verhielt es sich schon zur Zeit der Omayyaden-Dynastie mit der privaten Kunst. Im persönlichen Bereich nahm man es mit dem Bilderverbot weniger ernst. Die Kalifen und ihre engere Umgebung zogen sich gerne in von ihnen errichtete Wüstenschlösser zurück, von denen das sechzig Kilometer von Amman gelegene Qusair Amra das am besten erhaltene ist. Der Bau wird auf die Zeit zwischen 711 und 715 datiert. Die Innenräume dieses Schlosses wurden mit großartigen Wandmalereien versehen. Hier sind bis heute auch Darstellungen von menschlichen Wesen erhalten, im Bereich der Badeanlage sogar die einer Frau mit unbekleidetem Oberkörper. Und man kann davon ausgehen, dass auch in den anderen Wüstenschlössern ähnliche Wandausmalungen bestanden haben.

Betrachtet man die gesamte Geschichte der muslimischen Schlossarchitektur, findet man Wandmalereien mit lebenden Wesen der verschiedenen Regionen und Epochen. Das gilt zum Beispiel für den Palast der Abbasidenkalifen in Samarra (9. Jahrhundert), 125 Kilometer nördlich von Baghdad. Dort konnten Wandmalereien von zwei Tänzerinnen mit Weinschalen in den Händen rekonstruiert werden. In den privaten Bereichen der Alhambra in Granada (11. bis 15. Jahrhundert) fanden sich nicht erhaltene Gemälde, die Alltag und Feste bei Hofe schilderten.

Von größerer kunstgeschichtlicher Bedeutung sind indes die zahlreichen Miniaturen, die in arabischen, persischen und türkischen Büchern Texte illustrieren. Aus der Sicht des islamischen Rechts waren nämlich menschliche Darstellungen in Büchern nicht problematisch, wenn sie einen wissenschaftlichen oder pädagogischen Zweck erfüllten. In medizinischen Lehrbüchern waren Abbildungen von Menschen unumgänglich, in astronomischen Werken die Wiedergabe von Sternbildern wie Jungfrau oder Stier mit den entsprechenden bildlichen Darstellungen akzeptabel.

Tradition kunstvoller Miniaturmalerei

Fürstenspiegel, Werke über das richtige Verhalten von Herrschern, wurden von den muslimischen Gelehrten nicht kritisiert, weil dort in der Regel Tiere statt Menschen abgebildet wurden. Im Übrigen dienten die Bilder einem guten Zweck, nämlich der Erziehung von Prinzen. Aus dieser Tradition entwickelte sich seit dem späten 9. Jahrhundert die hohe Kunst der muslimischen Miniaturmalerei, die der Illustration von Büchern, der feinen Bildung und des guten Benehmens ebenso diente wie der in belletristischen Werken oder in Epen. Vor allem im Iran, in Zentralasien und im indischen Mogulreich entstanden zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert regelrechte Künstlerwerkstätten, in denen Spezialisten für Motive wie Wolken, Blumen, bestimmte Tiere oder Menschen entsprechende Miniaturen produzierten, die dann nicht mehr ausschließlich als Illustrationen für Texte gedacht waren, sondern sich spezieller Themen bis hin zu Herrscherporträts annahmen. Darüber hinaus wurde auch durch die Wahl von kunstvoll verziertem Papier für eine entsprechende Umgebung der Miniaturen gesorgt. Mit der Einführung verschiedener Drucktechniken, die auch im Bereich der Illustration angewendet wurden, ging dann die Tradition der Miniaturmalerei verloren.

Trotz allem blieb die bildliche Darstellung eine Form des künstlerischen Ausdrucks, die aus muslimischer Sicht nicht unproblematisch war. Veränderungen in der Einschätzung dieser bildenden Kunst konnten sich auch deshalb nicht durchsetzen, weil sich mit der kunstvollen Wiedergabe der arabischen Schrift eine besondere Kunstform entwickelte, die auf vielfältige Weise mit den Normen des islamischen Rechts übereinstimmte. Das Arabische wird in einer kursiven Konsonantenschrift ausgedrückt.

Für den Islam ist die Schrift von besonderer Bedeutung. In der ersten Offenbarung eines Teils des Korans, in der Sure 95,1-5, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Gott den Menschen das Schreiben gelehrt habe. Also wird das Schreiben und vor allem das Abschreiben des Koran als eine für den Gläubigen religiös verdienstvolle Tätigkeit angesehen.

Die sich im Laufe der Zeit entwickelnden vielfältigen Formen der arabischen Kalligraphie haben auch westliche Künstler fasziniert. Es ergaben sich Möglichkeiten, unterschiedliche Schriftformen zu entwickeln. Man fand eckige Formen der Wiedergabe arabischer Buchstaben, die später vor allem als Bauinschriften in hartes Gestein gemeißelt wurden. Die eckige Schrift ergab sich aus den aus Schilfrohr hergestellten Schreibgeräten, die eckige Formen einfacher wiedergeben konnten als runde. Hinzu kam, dass zunächst auf Pergament und Papyrus geschrieben wurde, deren Oberflächen nicht sehr glatt waren, sodass die arabischen Buchstaben jeweils nur in einzelnen Schriftteilen realisiert werden konnten. Mit der Einführung des Papiers Anfang des 9. Jahrhunderts war es dann möglich, auf dessen glatterem Untergrund die arabische Kursivschrift leichter auszuführen. Und in der Folge entwickelten sich verschiedene Schreibformen und Schriftarten.

Regionale Varianten

Mit der Zeit ergaben sich regionale Varianten, die aber jeweils immer noch als arabische Schrift identifiziert werden können. Besonders aufwändige kalligraphische Formen wurden bei offiziellen Schriftstücken im Bereich der Diplomatie, bei Ernennungsurkunden und ähnlichen bedeutenden Verwaltungsdokumenten verwendet. Nach und nach wurden die unterschiedlichsten Dinge mit arabischen Kalligraphien versehen. Dabei konnte es sich um religiöse und profane Bauwerke handeln wie um kostbare Gegenstände des täglichen Gebrauchs: Gefäße aus den unterschiedlichsten Materialien, Kerzenleuchter, Löffel, Halbedelsteine, bis hin zu Kleidung oder Pantoffeln, die mit passenden Sentenzen in kalligraphischer Form bestickt waren. Manche Schriftkünstler nutzten die grafische Form des Arabischen sogar dazu, das Bilderverbot zu umgehen, indem sie aus Buchstaben und sinnvollen Buchstabenkombinationen Gesichter von Menschen oder Tiere konstruierten.

Mit der Einführung moderner Schreib- und Drucktechniken, vor allem nach dem Ersten Weltkrieg, verschwand die Kunst der Kalligraphie fast vollständig. Erst in den Siebzigerjahren fand die arabische Kalligraphie wieder größere Anerkennung. Die verschiedenen Modernisierungsbewegungen, die seit den Zwanzigerjahren in muslimischen Gesellschaften immer mehr an Einfluss gewannen, wirkten sich auch auf die bildende Kunst aus. Davon weitgehend unberührt blieb aber die Entwicklung der Plastik. In der Regel wurden ausschließlich Herrschergestalten öffentlich aufgestellt. In den Hauptstädten einiger muslimischer Staaten wurden nach europäischem Vorbild Kunstakademien gegründet, an denen zunächst vor allem europäische Professoren lehrten. Daneben reisten Künstler aus diesen Ländern nach Berlin, London, Paris oder Rom und setzten sich dort mit den Entwicklungen europäischer Kunst auseinander. Die Frage des Bilderverbots spielte nun keine Rolle mehr.

In der Zeit zwischen den Weltkriegen war es vor allem der europäische Impressionismus, der an den Akademien muslimischer Länder Einfluss hatte. Während des Kalten Krieges übernahmen dann muslimische Künstler Konzepte der bildnerischen Traditionen und Moden, die in den westlichen Staaten oder denen des kommunistischen Lagers aktuell waren, je nachdem, wie eng die Beziehungen der verschiedenen muslimischen Staaten zu dem jeweiligen Machtblock waren. Im Irak, in Syrien oder Ägypten spielten Formen eines sozialistischen Realismus eine große Rolle, im Iran oder in Pakistan waren dagegen westliche Kunstformen, auch abstrakte Tendenzen, Vorbilder. In einigen Ländern, in denen säkulare Ideologien die Politik bestimmten, wurde moderne gegenständliche Kunst besonders gefördert. Hier entwickelte sich dann auch eine eigene plastische Formensprache. Damit sollte wohl auch eine Distanzierung vom Islam deutlich gemacht werden.

Seit den Siebzigerjahren emanzipierten sich viele Künstler in muslimischen Staaten vom westlichen, auch vom sozialistischen Vorbild. Einige nutzten Formen der naiven Malerei, um das tägliche Leben und die Feste in ihrer Heimat darzustellen. Andere besannen sich wieder auf ihre bildnerischen Traditionen. Es entstanden Miniaturen, die aber in ihrer Realisierung die Traditionen der europäischen Moderne nicht aus den Augen verloren. Sehr viel konsequenter und auf dem wachsenden Kunstmarkt muslimischer Staaten erfolgreicher war der Bezug auf die arabische Kalligraphie. Hervorzuheben ist die Verwendung von Farbe im Zusammenhang mit der Nutzung von Schriftformen ohne eine spezielle Bedeutung, ja sogar die Verwendung von Formen der arabischen Kursivschrift in kleinen plastischen Gestaltungen. In modernen Verwendungen von arabischer Kalligraphie wird kein Bezug mehr zu den möglichen Bedeutungen von Schriftteilen genommen. Die graphischen Teile eines arabischen Wortes stehen für sich alleine und wirken nur noch durch ihre Form. Beim Anblick dieser modernen Verwendung von Elementen der arabischen Kalligraphie kann man die Bemerkung von Pablo Picasso verstehen: "Wenn ich die arabische Kalligraphie gekannt hätte, wäre ich nie Maler geworden."

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Peter Heine

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