Wir sehen nur die großen Frösche
zeitzeichen:
Herr Professor Binswanger, Sie sind Ökonom und beschäftigen sich mit dem Zusammenhang zwischen Geld und Glück. Derzeit herrscht in Europa vor allem Angst um die gemeinsame Währung. Macht uns das unglücklich?
Mathias Binswanger:
Zumindest sind viele Menschen besorgt, weil etwas nicht im gewohnten Maße weitergeht. Und wie sich eine Finanzkrise auf die Realwirtschaft auswirken kann, haben sie erst vor Kurzem erlebt. Unsere Wirtschaft funktioniert gut, solange sie wächst. Doch wenn das Wachstum ausbleibt, bekommen wir ein Problem. Die Finanzmärkte werden unruhig. Denn unsere Geldwirtschaft lebt ja von der Vergabe von Krediten und dem Vertrauen darauf, dass diese auch wieder zurückgezahlt werden können. Gelingt das nicht, drohen nicht nur Kreditausfälle für die Banken, sondern auch die Schließung von Betrieben und damit Arbeitslosigkeit. Das ist ein großer Unglücksfaktor in Familien. Hinter der Sorge um den Euro steckt bei den Meisten also vor allem die Angst vor der Arbeitslosigkeit und dem damit verbundenen Unglück.
Haben wir ein emotionales Verhältnis zum Geld?
Mathias Binswanger:
Ja, ein sehr emotionales. Wäre es nicht so, wäre ein Euro immer ein Euro, egal, wofür wir ihn ausgäben. Das ist aber nicht der Fall: Es gibt Menschen, die sich darüber aufregen, wenn ein Joghurt plötzlich zehn Cent mehr kostet, gleichzeitig aber cool bleiben, wenn sie an der Börse Tausende von Euros verlieren. Das sind zwei voneinander getrennte Schubladen. Menschen beurteilen Geld unterschiedlich, je nachdem, woher sie es bekommen und wofür sie es ausgeben.
Wenn Geld für Gefühle bei uns sorgt, kann es uns dann auch glücklich machen?
Mathias Binswanger:
Wenn Sie fragen, ob die Bevölkerung eines Landes durchschnittlich glücklicher wird, wenn das Land insgesamt wohlhabender wird, weil die Wirtschaft wächst, lautet die Antwort: nein. Zumindest in den Industrieländern gibt es da keinen Zusammenhang, das haben langfristige Untersuchungen aus den usa gezeigt. Dort hat sich das reale Bruttoinlandprodukt pro Kopf seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als verdreifacht, aber das Glücksempfinden der Menschen ist genau gleich geblieben. In ärmeren Ländern ist das noch anders. Hier geht es darum, dass Grundbedürfnisse erfüllt werden können, und dabei hilft Wirtschaftswachstum. Wenn solche Länder allerdings ein Durchschnittseinkommen von 15.000 bis 20.000 Dollar pro Jahr erreicht haben, steigt die Zahl der Menschen, die sich als glücklich bezeichnen, auch nicht mehr weiter an.
Dann kostet es also gar nicht so viel, glücklich zu sein?
Mathias Binswanger:
Die 15.000 bis 20.000 Dollar sind ja nur ein Durchschnittswert im Ländervergleich. In Deutschland liegt der Wert deutlich höher, bei mindestens 40.000 Euro, was etwa dem Durchschnittseinkommen eines Haushaltes entspricht. Aber es gibt noch einen wichtigen zweiten Aspekt: Wenn man innerhalb eines Landes fragt, ob reiche Menschen glücklicher sind als arme Menschen, dann ist die Antwort ja. Denn wenn die Grundbedürfnisse gedeckt sind, gewinnt das relative Denken an Bedeutung. Die Menschen vergleichen sich untereinander. Und dabei stellen sie Unterschiede fest. Diejenigen, die mehr Geld besitzen, sind in der Regel zufriedener und in diesem Sinne glücklicher mit ihrem Leben, als diejenigen, die ein geringeres Einkommen haben. Und wer weniger hat, will entsprechend mehr haben, weil er hofft, damit auch glücklicher zu werden.
Aber es ist nicht das Geld, das ihn glücklicher macht, sondern die damit verbundene gesellschaftliche Stellung ...
Mathias Binswanger:
In einer Untersuchung wurden Harvard-Studenten befragt, in welcher Welt sie lieber leben möchten: In einer Welt, in der sie selbst 50.000 Dollar verdienen und alle anderen 25.000 Dollar oder in einer Welt, in der sie selbst 100.000 Dollar verdienen und alle anderen 250.000 Dollar? Die Mehrheit zog die erste Welt vor, in der man zwar absolut weniger verdient, aber im Vergleich zu den anderen reicher ist. Das relative Einkommen zählt mehr als das absolute Einkommen, sobald einmal ein bestimmtes Mindestniveau überschritten ist.
Geld allein macht also tatsächlich nicht glücklich.
Mathias Binswanger:
Das ist eine alte Weisheit, aber es gibt einen modernen Zusatz: Menschen, die behaupten, dass Geld nicht glücklich macht, wissen nicht, wo sie einkaufen sollen. Geld ist eigentlich ein Mittel zum Zweck. Zwar definiert schon die Höhe meines Einkommens meinen gesellschaftlichen Status. Aber wir geben dieses Geld für Dinge aus, die diesen Status anzeigen sollen. Teure Kleidung, ein Haus oder eine große Wohnung, ein neues Auto.
Damit geraten wir in eine der Tretmühlen des Glücks, auf die Sie immer wieder hinweisen: Die Status-Tretmühle.
Mathias Binswanger:
Im Englischen gibt es den Ausspruch: "Es ist besser, ein großer Frosch in einem kleinen Teich zu sein als ein kleiner Frosch in einem großen Teich." Das Problem ist, dass wir heutzutage in einem sehr großen Teich leben. Das ist auch eine Folge der Globalisierung und der weltweiten Vernetzung. In den Medien sehen wir die größten Frösche aus der ganzen Welt: die Besten, Schönsten, Erfolgreichsten oder Reichsten. Und wir vergleichen uns mit ihnen. Dadurch werden wir tendenziell zu kleinen Fröschen in einem großen Teich.
Und damit geben wir uns nicht zufrieden ...
Mathias Binswanger:
Wir werden ja auch zu ständigem Wettbewerb und materiellem Wachstum angetrieben. Der amerikanische Traum, dass es jeder nach ganz oben schaffen kann, ist Teil unserer Mythologie. Das ist aber eine Illusion, denn ganz oben können immer nur Einzelne sein, und das sind selten wir. Wenn wir aber Geld für Statussymbole ausgeben, also für solche Kleider oder Autos, wie sie die großen Frösche besitzen, fühlen wir uns zumindest etwas weniger klein.
Dieses Glück hält aber nicht lange an, oder?
Mathias Binswanger:
Nein, denn Statussymbole entwerten rasch. Einerseits dadurch, dass sich diese mit steigendem Wohlstand immer mehr Menschen leisten können, und zweitens durch stets neu auf den Markt kommende weitere Statusgüter. Man muss sich also ständig abrackern, um nur den Status quo halten zu können, und so steigt das Glück schlussendlich nicht an.
Außer bei den Unternehmen, die diese Produkte herstellen.
Mathias Binswanger:
Die Konsumgüterhersteller versuchen ständig, neue Statussymbole auf den Markt zu bringen oder bereits existierende Güter in solche zu verwandeln. Das ist auch verständlich. Eine Aktiengesellschaft muss Gewinne machen und sich dabei immer mit der Konkurrenz vergleichen. Es gibt keine bösen Ausbeuter in diesem Spiel, wie das noch zum Beispiel Karl Marx formuliert hat. Alle unterliegen den Regeln des Systems. Wir brauchen ein gewisses Wirtschaftswachstum zur Lebenszufriedenheit, aber die Dynamik des Systems hat sich verselbstständigt, und das macht es uns schwer, glücklich zu sein.
Weil wir uns nicht nur in der Status-Tretmühle abstrampeln.
Mathias Binswanger:
Nein, sondern zum Beispiel auch in der Anspruchs-Tretmühle, die sich aus der Differenz zwischen den eigenen Ansprüchen und dem tatsächlichen Besitz ergibt. Wir gewöhnen uns sehr schnell an die Dinge, die uns beim Kauf oder kurz danach glücklich gemacht haben. Dann muss wieder etwas Neues kommen, das den nunmehr gewachsenen eigenen Ansprüchen genügt. Das hat man zum Beispiel bei Lottogewinnern festgestellt: Ein Jahr nach dem Lottogewinn waren sie so glücklich oder unglücklich wie vor dem großen Gewinn.
Welche Tretmühlen gibt es noch?
Mathias Binswanger:
Die Multioptions-Tretmühle, dabei geht es um die Qual der Wahl. Das Wirtschaftswachstum bringt eine immer größere Zahl von Dienstleistungen und Produkten mit sich, die uns alle angeboten werden. Gleichzeitig sind traditionelle moralische Tabus weggefallen, welche das menschliche Handeln beschränkten. Die Optionen für Arbeit, Freizeit und Konsum nehmen also ständig zu. Die Auswahl wird dadurch immer schwieriger, da das Zeitbudget gleich bleibt.
Dabei leisten wir uns doch so viele Dinge, die uns helfen, Zeit zu sparen. Hochgeschwindigkeitszüge, mobile Telefone, E-Mails ...
Mathias Binswanger:
Und genau das bringt uns in eine weitere Tretmühle. Denn es kommt zu einem so genannten Rebound-Effekt. Je schneller eine Aktivität durchgeführt werden kann, umso öfter wird sie durchgeführt. Früher haben wir Briefe geschrieben, das hat länger gedauert, als sich per E-Mail auszutauschen. Aber dafür schreiben wir nun mehr. Je schneller die Transportmittel werden, umso weiter und häufiger fahren wir. So hat sich zum Beispiel die Zeit, die wir durchschnittlich für den Weg zur Arbeit aufwenden, im Laufe der vergangenen Jahrzehnte nicht verringert, weil die Wegstrecken länger geworden sind. Das liegt auch daran, dass mit steigendem Einkommen immer mehr Menschen ins Grüne gezogen sind, was sie glücklicher machen soll. Allerdings brauchen sie nun mehr Zeit für das Pendeln zur Arbeit. Diese Fahrten stehen bei einem nach einer Umfrage unter texanischen Frauen erstellten Glücksindex übrigens auf dem letzten Rang, direkt hinter der Erwerbsarbeit.
Was hat die Frauen denn glücklich gemacht?
Mathias Binswanger:
Ganz oben auf der Liste stand Sex. Wobei die tatsächlich aufgewendete Zeit dafür eher kurz war. Dann folgten mit deutlich höherem Zeitbudget geselliges Beisammensein mit Freunden, Abendessen und Entspannung. Diese Ergebnisse finden sich so oder ähnlich immer wieder in verschiedenen Studien. Ein attraktives Sozialleben macht die Menschen viel glücklicher als materielle Güter anzuhäufen. Nur dazu fehlt vielen Menschen die Zeit.
Nun leben wir aber in einem System, das sich weniger von gemütlichem Beisammensein als von materiellem Wachstum abhängig gemacht hat.
Mathias Binswanger:
Wir brauchen ein gewisses Maß an Wachstum, aber nicht auf Teufel komm raus. Denn das führt dazu, dass wir unvernünftige Risiken eingehen. Die Finanzkrise vor einigen Jahren und auch die aktuelle Euro-Krise hatten ja auch damit zu tun, dass wir diese Wachstumsidee auf ganz Europa ausgedehnt haben, obwohl die Grundlagen in einigen Ländern gar nicht vorhanden waren. Es würde uns besser gehen, wenn wir uns Grenzen setzten, gemächlicher wachsen würden und dafür unsere Wirtschaft stabiler wäre. In der Forschung und in der Politik gibt es ja zunehmend Offenheit für dieses Thema. Der Deutsche Bundestag hat zum Beispiel eine entsprechende Enquête-Kommission eingerichtet.
In Ihren Vorträgen weisen sie als Gegenmodell zum Leben in den Tretmühlen immer auf die Amish-People in den USA hin, die nach sehr strengen Regeln abgeschieden leben und den technischen Fortschritt ablehnen. Kann uns so ein quasi klösterliches Leben tatsächlich unabhängiger vom Geld machen?
Mathias Binswanger:
Nicht umsonst haben viele Mönchsorden die Besitzlosigkeit gepredigt. Ich sage nicht, dass das für alle Menschen der Weg zum Glück ist. Aber in vielen Religionen gibt es die Tendenz, den ewigen Drang zum Vergleich mit anderen zu dämpfen. In der Bibel heißt es: Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden. Und vor Gott sollen schließlich alle Menschen gleich sein. Allerdings hat die Religion in unserer Gesellschaft an Bedeutung verloren. Das darf man nicht übersehen.
Sie fordern, dass wir uns wieder in der Kunst der Lebensführung üben müssen, um glücklicher zu werden. Was stellen Sie sich dabei vor?
Mathias Binswanger:
Wir lernen in den Schulen und Universitäten viel darüber, wie man einen guten Job bekommt und viel Geld verdient, aber zu wenig darüber, wie man ein gutes Leben führt und was das eigentlich ausmacht. Das Wissen darum wird als selbstverständlich vorausgesetzt, aber die Menschen sind in diesem Punkt oft ziemliche Amateure.
Glück als Schulfach?
Mathias Binswanger:
Ja, das ist ein sinnvoller Ansatz, der auch schon in einigen Schulen erprobt wird. Dabei geht es nicht um theoretische Debatten, sondern um ganz praktische Versuche.
Was kann oder muss noch geschehen, um die Abhängigkeit unseres Glücksempfindens vom Geld zu senken? Sie fordern zum Beispiel eine Begrenzung der Managergehälter ...
Mathias Binswanger:
Nicht eine absolute, sondern eine relative. Das höchste Einkommen innerhalb eines Unternehmens sollte zum Beispiel nicht mehr als das Zwanzigfache des niedrigsten Lohnes in dem Unternehmen ausmachen. Ansonsten heben die Spitzenverdiener ab, und der ewige Zwang zum Vergleich sorgt für absurde Vergütungen, die wiederum für Neid bei denen sorgen, die weniger Einkommen und Einfluss haben. Diese Debatte wird in der Schweiz geführt. Allerdings ist sie zurzeit mit Blick auf die Euro-Krise in den Hintergrund getreten.
Könnten die Regiogeld-Initiativen, die ja zumindest auf eine regionale Begrenzung setzen, uns aus den Tretmühlen holen? Ist das für Sie als Ökonom ein ernstzunehmender Ansatz?
Mathias Binswanger:
Es ist ein ernstzunehmender Ansatz auf lokaler Ebene, der die regionalen Wirtschaftskreisläufe stärken kann. Das funktioniert bei Lebensmitteln oder anderen kleineren Produkten. Einen Airbus oder einen neuen Computer kann man auf dieser Grundlage aber nicht entwickeln und bauen. Hier sind die nötigen Investitionen viel zu groß.
Wenn uns die Anhäufung von Geld schon nicht glücklich macht, macht es uns dann wenigstens unabhängiger?
Mathias Binswanger:
Viel weniger als man glaubt. Denn ob sich jemand unabhängig fühlt oder nicht, hängt viel mehr von seinem Charakter ab als von seinem Bankkonto. Wer zum Beispiel diese Unabhängigkeit nutzen will, um zu reisen, kann dies auch ohne viel Geld tun. Es gibt Menschen, die reisen mit dem Rucksack um die ganze Welt. Und dann gibt es diejenigen, die eine große Reise davon abhängig machen, dass sie noch 20.000 Euro mehr auf dem Konto haben. Aber bis sie die zusammenhaben, passieren viele Dinge, die sie wieder vom Reisen abhalten. Das hat also nicht wirklich etwas mit dem Geld zu tun. Wer so denkt, wird nie aufbrechen.
Das Gespräch führte Stephan Kosch am 7. November am Rande des Symposiums "Glück bei der Arbeit“ der DASA in Dortmund.
Literatur
Mathias Binswanger: Sinnlose Wettbewerbe - Warum wir immer mehr Unsinn produzieren. Herder Verlag, Freiburg 2010, 240 Seiten, Euro 19,95.
Ders.: Die Tretmühlen des Glücks - Wir haben immer mehr und werden nicht glücklicher. Was können wir tun? Herder Verlag, Freiburg 2006, 224 Seiten, Euro 9,95.