Fern vom Apfel

Hommage an Fritz Kreisler
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Eine zwei CDs umfassende Hommage an den 1962 in New York gestorbenen Künstler. Sie ist zugleich eine Zeitreise durch die Rezeptionsgeschichte Kreislers.

Geistiges Eigentum: Schon der Begriff klingt sperrig. Wo beginnt geistiges Eigentum, wo hat es seine Grenzen, wo wird es zur Waffe? Und nebenbei gefragt: Wo stünde die Menschheit heute, wenn der Erfinder des Rades damals mit seiner Entdeckung zum Patentamt gegangen wäre? In solchen Tagen tut es gut, sich an einen wie Fritz Kreisler zu erinnern. Er galt schon zu Lebzeiten als großer Geiger, feierte mit seinem warmen, vibratoreichen Ton Erfolge auf dem ganzen Globus. Was Kreisler aber lange für sich behielt: Er war auch sehr aktiv als Komponist. Nur für wenige seiner Werke stand er mit dem Namen ein, warum auch?

Er brauchte einfach Nachschub für seine virtuosen Darbietungen. Erst 1935, da war er schon sechzig Jahre alt, offenbarte der gebürtige Wiener sein Geheimnis: Viele der barocken oder klassischen Stücke, die er in seinen Konzerten zum Besten gab, stammten gar nicht von Couperin, Tartini oder anderen anerkannten Komponisten, sondern von ihm selbst.

Die meisten Musikliebhaber verbinden vor allem die Tanzweisen "Liebesfreud" und "Liebesleid" mit Kreisler. Und diese beiden Stücke liefern nun auch den passenden Titel für eine neue, zwei CDs umfassende Hommage an den 1962 in New York gestorbenen Künstler. Sie ist zugleich eine Zeitreise durch die Rezeptionsgeschichte Kreislers. Da gibt es Interpretationen von Jascha Heifetz und David Oistrach aus den Vierzigerjahren, sprudelndes Inspiriertsein von Ruggiero Ricci und Christian Ferras aus den Sechzigern, Shlomo Mintz’ strahlenden Ton anno 1980, schließlich aktuelle Aufnahmen von Gidon Kremer und Anne-Sophie Mutter - dazu Fritz Kreisler selbst, den man vor rauschendem und knisterndem Hintergrund erlebt. Kein Wunder, diese Tondokumente stammen aus den Jahren 1910 bis 1912. Vor allem das quirlige, in den höchsten Lagen notierte "Tambourin chinois" begeistert den staunenden Hörer.

Kreislers Musik hat gerne Schwärmendes, wobei die Romantik durch einen humorvollen Unterton aber davor bewahrt wird, zu sehr ins Zuckrige abzugleiten. Anders als beim Wiener Kaiserschmarrn braucht niemand Sorge zu haben, dass die Portion zu mächtig werden könnte. Woher Fritz Kreisler seine Zutaten genommen hat, ob er das "Gypsy Caprice" selbst komponiert oder ein Dvoˇrák-Klavierstück für die Geige umgeschrieben hat, ist zwar nicht egal. Doch letztlich zählt nur die Musik, und die klingt nicht dem nach geistigem Eigentum eines Menschen, sondern einfach himmlisch.

Liebesfreud, Liebesleid - Hommage to Fritz Kreisler. Deutsche Grammophon 477 9942.

Ralf Neite

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