Das "Singen im Gottesdienst" ist besser als sein Ruf. Zu diesem Fazit kommt eine empirische Untersuchung zu diesem Thema, angeregt vom Musikausschuss der Liturgischen Konferenz. Nun ist ein Buch erschienen, das die Ergebnisse und ihre Deutung zusammenfasst. Den Anfang machen Beiträge aus praktisch-theologischer und kirchenmusikalischer Sicht, religionspädagogische und -soziologische sowie hymnologiedidaktische Stellungnahmen runden das Bild ab. "Ich singe gern". Das sagt die große Mehrheit (92 Prozent) von Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern, die sich an der Studie im Advent beteiligt haben. Wieweit nun gerade diese Kirchenjahreszeit mit ihrer starken traditionellen und emotionalen Prägung repräsentative Ergebnisse erbringt, fragen mehrere Stellungnahmen. Eine größere Schwäche freilich ist, dass mehr als zwei Drittel aller Fragebögen aus Nordrhein-Westfalen zurückkamen. Die ostdeutschen Bundesländer und Bayern sind dagegen so gut wie nicht vertreten. Trotzdem ist das Fazit der Kommentierenden insgesamt positiv, zumal es bisher zwar viele allgemeine Klagen über den schlechten Gemeindegesang, aber kaum empirische Untersuchungen gab. Der Bonner Praktische Theologe Michael Meyer-Blanck spricht von der "Rehabilitierung des Sonntagskirchgängers", denn besonders gern singen die regelmäßigen Kirchgängerinnen unter den Befragten. Die weibliche Form ist bewusst gewählt, denn auch das ergab die Studie: Der Frauenanteil liegt bei 65 Prozent. Insgesamt war das Durchschnittsalter aller Befragten mit 53 Jahren sehr hoch, ihr Bildungsniveau überdurchschnittlich und ihr Musikgeschmack eher klassisch und traditionell. Orgelmusik und Choral werden mit dem Gottesdienst verbunden und geschätzt, bekannte Lieder besonders gerne gesungen. Aber wie im säkularen Bereich gibt es auch im kirchenmusikalischen Geschmack Unterschiede zwischen den Generationen. Der Berliner Kirchenmusikdirektor Gunter Kennel fragt in seiner Stellungnahme, ob diese Unterschiede möglicherweise im Lauf der Jahre durch persönliche Entwicklungs- und Reifeprozesse nivelliert werden, die Liebe zum Choral also mit dem Alter größer wird. Viele Menschen, so Kennel, haben ohnehin eine kirchenmusikalische "Patchworkidentität": Ihr Musikgeschmack setzt sich aus verschiedenen Stilen zusammen. Der Kölner Konzertpädagoge Bernhard König betont, wichtiger als Kategorien wie "alt" oder "modern" sei die Übereinstimmung von Musik und Kontext. Darauf weist auch Stephan Reinke hin. Er hat in einer Untersuchung zum Singen im Kasualgottesdienst festgestellt, dass Lieder, die "allein von kirchlicher Seite ausgewählt wurden, nicht wirklich relevant für das Erleben der Feier", für die Teilnehmenden seien, wenn sie emotional nichts mit Text und Melodie verbinden. Gerade bei Trauerfeiern gibt es ja um die angemessene Musikauswahl immer wieder Debatten. Aus dem Strauß der Stellungnahmen lässt sich der Schluss ziehen, dass die Kirchenmusik auch im "normalen" Sonntagsgottesdienst vielfältiger werden kann und muss und dabei weder die Sonntagskirchgänger noch die Kasualchristen, weder Ältere noch Jüngere unterschätzt werden sollten, was ihre Offenheit für "fremde" Musikstile angeht. "Repertoire-Erweiterung auf allen Ebenen" ist das Stichwort. Die verschiedenen Diskussionsbeiträge geben dazu sowohl Pfarrerinnen und Pfarrern als auch den kirchenmusikalisch Tätigen Anregendes wie Nachdenkenswertes für den Berufsalltag auf den Weg. Klaus Danzeglocke u. a. (Hg.): Singen im Gottesdienst. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2011, 176 Seiten, Euro 19,95.
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Jutta Schreur