Kein Königsweg

Mystik gehört nicht originär zum Christentum
Foto: privat
Michael Weinrich, Professor für Systematische Theologie in Bochum und Mitherausgeber von zeitzeichen, zur Frage, wie mystische Selbsterfahrung im christlichen Kontext zu bewerten ist.

Der Religionswissenschaftler Peter L. Berger unterscheidet zwei Grundtypen der Religion. Den auf Offenbarung gründenden monotheistischen Religionen aus Vorderasien stehen die aus Indien stammenden mystischen Religionen gegenüber, wo der Mensch auf seine Innerlichkeit verwiesen wird. Das Eintauchen in die Tiefe der Innerlichkeit gilt dort wohlgemerkt nicht der Vergewisserung der individuellen Identität, sondern der Relativierung der Individualität durch den Kontakt mit einem überpersönlichen "göttlichen" Seinsgrund.

Die Mystik gehört weder zu den Wurzeln des Christentums noch zu seinem Wesen. Das macht plausibel, warum in der Geschichte des Christentums mystischen Bestrebungen immer auch eine große Skepsis entgegengebracht wurde, tritt uns doch Gott gegenüber und ist gerade nicht in unserem Inneren zu suchen. Im Horizont eines identitätsorientierten Individualismus kann die Mystik der Versuch sein, vor allem bei sich selbst zu bleiben.

Eine solche Engführung des Verständnisses der Mystik auf die religiöse Selbsterfahrung wird gewiss weder der Tiefe noch der Selbstlosigkeit christlicher Mystikerinnen und Mystiker gerecht. Immerhin sollte es zu denken geben, dass die genuin mystischen Religionen keinen handelnden Gott kennen. Die Erleuchtung ist dort vor allem das Resultat eines konsequenten Loslassens.

Christliche Mystik dagegen setzt recht verstanden die Begegnung mit Gott voraus, die dann im Inneren in besonderer Weise vergewissert wird. Sie wird sich von der Spannung von außen und innen nicht verabschieden können oder eben dem Bekenntnis des christlichen Glaubens den Rücken kehren. Weil die Mystik ein überaus vielschichtiges Phänomen ist, das mindestens ebenso viele Gefahren wie Ermöglichungen mit sich bringt, ist im Umgang mit ihr eine bleibende und besondere theologische Achtsamkeit geboten, die in der Regel gern vernachlässigt wird. Daher bietet sie sich wohl kaum als ein Königsweg für die Zukunft des Christentums an.

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Michael Weinrich

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