Sich einmischen

Zum 80. Geburtstag von Günter Brakelmann
Foto: privat
Die Kirche benötigte sehr viel Zeit und wohl auch den Druck der Not, um sich die soziale Frage zu eigen zu machen und dann ein eigenes Verhältnis zu der ­regulati­ven Bedeutung der Gewerkschaften zu finden.

Es wird weithin erwartet, dass sich die Kirchen in die relevanten öffentlichen Debatten einmischen sollen. Und sie tut das auch mit recht unterschiedlicher Überzeugungskraft. Dabei verlässt sie sich nicht auf zufällige Einschätzungen und gefühlte Bewertungen, sondern bedient sich spezialisierter Kompetenzen besonders aus den theologischen Fakultäten, um zu möglichst belastbaren Aussagen zu kommen. Auch wenn sie im kirchlichen Bewusstsein immer noch ein wenig stiefmütterlich behandelt werden, hat sich die Kirche seit dem 19. Jahrhundert immer wieder zu Fragen der Wirtschafts­politik und ihrer gesellschaftlichen Relevanz zu Wort gemeldet. Die Kirche benötigte sehr viel Zeit und wohl auch den Druck der Not, um sich die soziale Frage zu eigen zu machen und dann ein eigenes Verhältnis zu der regulati­ven Bedeutung der Gewerkschaften zu finden.

Im September dieses Jahres hat der Bochumer Sozialethiker und Historiker Günter Brakelmann seinen 80. Geburtstag gefeiert. Es ist zu einem erheblichen Teil seinem unermüdlichen Engagement zu verdanken, dass es zu einer konsequenten Normalisierung der Beziehungen der evangelischen Kirche zu den Gewerkschaften und der spd gekommen ist. Brakelmann hatte von 1972 bis 1996 den ausdrücklich im Blick auf die besondere Situation des Ruhrgebiets eingerichteten Lehrstuhl für Christliche Gesell­schafts­lehre inne und von dort aus in zahlreichen Gremien in Kirche und Gesell­schaft, Rundfunkrat und anderen, gewirkt, wobei ihm seine engagierte historische Umsicht zu einem besonderen Stehvermögen verholfen hat. Theologisch motiviert hat sich Brakelmann streitbar für eine arbeitnehmerorientierte Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verantwortung verwandt - dafür sei ihm von hier aus gedankt!

Die Zeiten haben sich radikal verändert. Im Horizont einer globalisierten Ökonomie werden wir zunehmend von den übermächtigen Finanzmärkten in Atem gehalten, die die politisch Verantwortlichen wie eine eigenwillige oder gar zickige Diva zu umwerben versuchen, um sie von unbedachten und für die Weltgemeinschaft verheerenden Extremreaktionen abzuhalten.

Der Schüler und Nachfolger Brakelmanns, Traugott Jähnichen, sieht die wenigen einflussreichen Rating-Agenturen die Staaten in einer Weise vor sich hertreiben, in der zunehmend die demokratischen Willensbildungen und Entscheidungsmechanismen zugunsten von verborgen gehaltenen Spekulationsinteressen außer Kraft gesetzt werden. Das Finanzsystem sei auf dem Weg, der Verpflichtung auf eine solide und nachhaltige ökonomische Entwicklung mehr und mehr den Rücken zuzukehren, um nun gänzlich zu einer Arena hemmungsloser und überaus folgenreicher Spekulationskämpfe zu mutieren. Jetzt ist einzuschreiten. Schon bald kann es zu spät sein, fürchtet der Wirtschaftsethiker Jähnichen. Ein Grund für die Kirche, sich vernehm­bar einzumischen.

In einer Zeit, die sich so sehr auf Religion und Spiritualität einzurichten versucht wie die unsere, wird es für eine ihre besondere Freiheit wahrnehmende Kirche nicht unwesentlich darauf ankommen, dass es ihr gelingt, die Aufmerksamkeit auch für die fundamentale Dimension (globaler) gesellschaftlicher Verantwortung entschieden und konkret lebendig zu halten.

Michael Weinrich

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