In schwierigen Zeiten gibt der bekannteste (und umstrittenste) Schweizer Politiker der Gegenwart die Weisheit einer ihm lieben Romanfigur zum Besten. Es handelt sich um eine polnische Magd, Faktotum auf dem Landgut deutscher Adliger, eine liebenswürdige Person, die gleichermaßen das Vertrauen der Familie und der Bediensteten genießt. Wer auch immer Kummer hat, wendet sich an diese Magd, die ihr Trostwort Mal für Mal wie folgt eröffnet: "Keine Angst, es geht auf Ostern!"
Liebe Leserin, lieber Leser, kurz vor Ostern wende ich mich zum ersten Mal als Mitherausgeber von an Sie. Gewiss, vor uns liegt zuerst noch der Karfreitag. Es geht also zuerst einmal auf das Kreuz zu. Doch anders als die Jünger damals sind wir schon beschenkt mit der Gewissheit um den kommenden, alles übertönenden Osterjubel.
Freilich, die Angst ist uns geblieben, Angst vor dem Leben so sehr wie vor dem Tod, persönliche so sehr wie gemeinsame. "In der Welt habt ihr Angst", lesen wir im Johannesevangelium. In der Tat, wir haben Angst, nicht alle und nicht immer, aber alle immer wieder. Eine davon möchte ich mit Ihnen teilen: Es ist die Angst vor der immer größeren Verschuldung unserer Länder.
Nicht theologisch meine ich das, nicht Schuld, sondern ökonomisch und im Plural, Schulden. In einem gigantischen Plural, notabene, die Schulden sind immens, zu groß, als dass wir sie je abtragen könnten. Stattdessen werden wir sie unseren Kindern weiterreichen, aufbürden wie ein bleiernes Gewicht. Schuldzinsen werden Unsummen verschlingen, sinnlos verprasste Steuergelder. Die fehlen dann dort, wo man sie wirklich bräuchte, für Gesundheit, Erziehung und Sozialhilfe zum Beispiel. Menschen werden sie ertragen und abtragen müssen, und sei es auch nur dadurch, dass mühsam gespartes Geld weniger und weniger wert sein wird. Auch Inflation ist Schuldendienst. Das ist meine Angst: Ich weiß nicht, wie groß die Last sein wird, die wir dereinst anderen aufbürden. Um im Bild zu bleiben: Leiden werden jene, die sich keine Lastesel für die Schuldenlast leisten können. Leiden werden eher die Schwachen als die Starken. Leiden wird, wen die Last in die Knie zwingt. Das ist meine Angst: dass unsere Schulden dereinst unsere Kinder und Kindeskinder knechten. Vom ökonomischen zum theologischen Wortsinn wäre es dann nicht mehr allzu weit: aus Schulden wird Schuld.
Just in solch düstere Gedanken hinein spricht nun das Kirchenjahr. Ostern ist Gottes Machtwort. "In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden" (Johannes 16,33). Keine Schuld der Welt kann mehr verhindern, dass auf Karfreitag Ostern folgt, die Auferstehung, der überwundene Tod.
Was auch immer kommen mag: Immer kommt auch Ostern. Das zu glauben, ist nicht naive Weltflucht, sondern nachhaltiger Widerspruch, Widerspruch gegen eine Weltsicht, die nicht an Gottes Eingreifen glauben kann. Widersprechen wir umso mutiger jeder Angst, auf dass sie uns nicht den Blick auf den Auferstandenen verstellt. Gut beraten ist deshalb, wer sich an die kluge, vom Leben erprobte polnische Magd und ihren Trost erinnert: "Keine Angst, es geht auf Ostern!"
Gottfried Locher