Tilmann Moser, Jahrgang 1938, gehört nicht zur Fraktion der orthodoxen Psychoanalytiker. Schon vor vielen Jahren hat er als Vorreiter mutige und überzeugende Schritte zu einer behutsamen Integration körpertherapeutischer Interventionen in das klassische psychoanalytische Setting getan. Mit seinem neuen Buch versucht er eine Erweiterung im Hinblick auf die spirituelle Dimension. Zwar beurteilt Moser in seinem neuen Buch den religiösen Glauben milder und positiver. Anders als in seinem 1976 erschienenen Bestseller Gottesvergiftung, in dem Moser mit dem schrecklichen Gott seiner Kindheit abrechnete, kann er ihn heute sogar als eine gewaltige Quelle von Kraft und seelischem Reichtum anerkennen.
Dennoch hinterlässt die Lektüre des flüssig und sehr anschaulich geschriebenen Buches ein merkwürdig ambivalentes Gefühl. Das Zusammenspiel zwischen einem entspannten Körper und einem vertrauensvollen, zuversichtlichen Seelenzustand bezeichnet Moser als die "Fähigkeit zur Andacht", die als menschliches Grundgefühl "vielleicht das wichtigste Fundament von Religion bildet". Nach Moser hilft der "Rückgriff auf Spiritualität als eine aus der Kindheit stammende Fähigkeit zur Andacht, Glaubensprobleme therapeutisch anzugehen, ohne zu werten".
Es ist sehr zu begrüßen, dass Moser die religiöse Prägung und spirituelle Dimension mit in eine therapeutische Behandlung einbezieht. Leider wird der Autor jedoch der theoretischen Einsicht eines wertfreien Umgangs damit in den folgenden Teilen seines eigenen Buches nicht gerecht. Diese sind nämlich nach wie vor von den Auswirkungen eines gequälten Gottesbildes geprägt.
Moser gesteht ein, dass viele Patienten ihn wegen seines Buches Gottesvergiftung aufsuchen, um ihre eigenen religiösen Neurosen behandeln zu lassen. Wäre aber hier nicht der Kontrast erhellend und weiterführend? Nach Mosers eigener Erfahrung muss man sich bei manchen Patienten "zufrieden geben, wenn ein vergiftetes sich in ein erträgliches Gottesbild wandelt". Zweifelsohne redet er an dieser Stelle auch von sich. Wo aber bleiben - zumindest als Gegenbild und Ausgleich - positiv getönte Gottesvorstellungen?
Religionspsychologische Studien belegen, dass der Glaube an einen freundlichen Gott, der menschliche Schwächen nachsichtig beurteilt, in Verbindung mit emotionaler Geborgenheit in einer Glaubensgemeinschaft, das psychische und körperliche Wohlbefinden deutlich stärkt. Sie kommt in seinem Buch nicht vor - und auf die entsprechenden Studien wird nicht hingewiesen. Das im Titel angekündigte "Neue" im Verhältnis von Psychoanalyse und Religion kann auch deshalb nicht entfaltet werden, weil wichtige Arbeiten wie die von Isabelle Noth (Freuds bleibende Aktualität, Stuttgart 2010) nicht aufgenommen wurden.
Moser ist es im Laufe seiner jahrzehntelangen Analytikertätigkeit immerhin gelungen, sein krankmachendes Gottesbild auf ein "erträgliches Maß" an Verunsicherung, Einschüchterung und Bedrohung zu reduzieren. Und somit hat er wiederum ein sehr persönliches Zeugnis seiner Glaubenszweifel veröffentlicht. Doch so, wie der Arzt sich nicht heilen kann, kann Moser seine therapeutische Kompetenz im Umgang mit religiösen Fragen anderer nicht zur Bewältigung der eigenen Gottesneurose nutzen. Moser verwechselt das verinnerlichte, biographisch geprägte Gottesbild mit dem Geheimnis des Glaubens. Das führt zu der Anstrengung, ein sozialisationsbedingtes negatives Gottesbild ertragen zu müssen. Gott will nicht ertragen, sondern kann im Glauben erfahren werden. Glauben bedeutet jedoch loslassen und vertrauen - vielleicht für Psychoanalytiker eine fast unzumutbare Herausforderung.
Tilmann Moser: Gott auf der Couch. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2011, 225 Seiten, Euro 19,99.
Michael Utsch
Michael Utsch
Michael Utsch ist Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin.