Die drei großen V

Gegner, Konkurrenten, Freunde, Geschwister: Wir brauchen eine Ökumene des Verständnisses
EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider und Papst Benedikt XVI. beim Gottesdienst in Erfurt. Foto: epd-bild/Norbert Neetz
EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider und Papst Benedikt XVI. beim Gottesdienst in Erfurt. Foto: epd-bild/Norbert Neetz
Verständnis, Verlässlichkeit, Vertrauen, die drei großen V, sind die notwendigen Voraussetzungen jeder Ökumene, meint Bayerns Altlandesbischof Johannes Friedrich, früherer Catholica-Beauftragter und Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands.

War der Besuch des Papstes im Augustinerkloster in Erfurt im Herbst nun ein Erfolg oder ein Misserfolg? Daran scheiden sich im evangelischen Bereich immer noch die Geister. Wer Ökumene mit den drei V betreibt, Verständnis, Verlässlichkeit, Vertrauen, für den ist die Antwort allerdings klar: Wenn wir uns über bestehende Differenzen austauschen wollen, müssen wir verstehen, warum der andere so denkt, wie er denkt, und warum er so reagiert und handelt. Und ich muss versuchen, zu ergründen, ob das nicht im Rahmen seiner Denk- und Glaubensvoraussetzungen sehr verständlich ist - und nicht von vornherein an dem messen, was innerhalb meiner Denkkategorien richtig ist. Es kann nicht Aufgabe der Ökumene sein, zunächst das eigene Profil zu intensivieren und herauszuarbeiten - das führt fast zwangsläufig dazu, dies auf Kosten des Anderen zu tun. Das Verständnis fördert es nicht.

Hierzu drei Beispiele:

- Es gibt ja immer wieder Differenzen in der Frage, ob und wann es am Sonntagvormittag ökumenische Wortgottesdienste geben darf. Lange habe ich mich über die Haltung der römisch-katholischen Kirche in dieser Frage, die ich als Verweigerung gewertet habe, nur geärgert. Bis ich merkte: Ich muss das erst einmal ernst nehmen, dass für die römisch-katholische Kirche die Eucharistie untrennbar zum Gottesdienst am Sonntagvormittag gehört - und dass diese Wertschätzung der Eucharistie ein hohes Gut ist. Seit mir dies richtig bewusst geworden ist, kritisiere ich ihre Haltung nicht mehr - auch wenn ich es für dringend nötig halte, uns über das Thema der ökumenischen Gottesdienste bei besonderen Anlässen auch am Sonntagvormittag weiter auszutauschen, aber auf der Grundlage der gemeinsamen Wertschätzung und Hochschätzung der Eucharistie. Auf dieser Grundlage müssen wir dann weiter überlegen: Wie können wir es schaffen, dass, wie in Bayern, weiterhin Gottesdienste anlässlich von Vereinsfesten und ähnlichen ortsüblichen Feierlichkeiten nicht ganz ausfallen, weil die Vereine inzwischen oft sagen: Entweder ökumenisch oder gar nicht. Keine Lösung wäre beispielsweise, sich in überwiegend katholischen Gebieten so zu behelfen, dass der evangelische Pfarrer oder die Pfarrerin im Rahmen einer Eucharistiefeier lediglich nach dem Segen ein kleines Grußwort sprechen darf. Das ist einfach demütigend. Gut, dass es hie und da schon Regeln für Ausnahmefälle gibt, an denen wir, um unseres gemeinsamen Zeugnisses willen, auch weiterhin festhalten sollten.

- Viele auf evangelischer Seite regen sich immer wieder darüber auf, dass Rom uns angeblich nicht als Kirchen anerkennt. Abgesehen davon, dass die katholischen Bischöfe in Deutschland uns nie den Eindruck vermitteln, wir seien keine Kirchen, und abgesehen davon, dass ich für mein Selbstbewusstsein als Bischof einer lutherischen Kirche keine Anerkennung aus Rom brauche: Viele bei uns haben nicht verstanden, dass die Aussage, die protestantischen Kirchen seien keine Kirchen im eigentlichen Sinn, auf der Grundlage des katholischen Kirchenverständnisses folgerichtig ist. So, wie die römisch-katholische Kirche sich Kirche vorstellt, mit all dem, was nach ihrem Verständnis zum Kirchesein gehört, sind wir keine Kirche, und so wollen wir auch nicht Kirche sein. Wenn wir das verstehen, brauchen wir uns nicht unnötig über diese Aussage zu entrüsten, obwohl ich sie ökumenisch gesehen nicht gerade für sensibel halte.

Nicht so Kirche

Mit etwas Verständnis für die evangelischen Kirchen hätte man das so ausdrücken können, wie Kardinal Walter Kasper das Dominus Jesus interpretiert hat: "Die evangelischen Kirchen sind nicht so Kirche, wie die römisch-katholische Kirche sich Kirche vorstellt." Und der damalige Kardinal Joseph Ratzinger hatte damals diese Interpretation bestätigt. So ähnlich war es dann in der Schrift der Glaubenskongregation vom Juli 2007, den sieben Antworten auf die sieben Fragen, auch ausgedrückt.

Die genannten "kirchlichen Gemeinschaften", die nach katholischem Verständnis vor allem wegen des Fehlens des sakramentalen Priestertums die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, können nach katholischer Lehre nicht "Kirchen" im eigentlichen Sinn genannt werden. Das heißt doch: Die katholische Kirche hat ein anderes Verständnis von dem, was die Kirche ausmacht, als wir.

In der Tat setzen wir andere Akzente: im Verhältnis von Ortsgemeinde und Gesamtkirche, von Regionalkirche und weltweiter lutherischer Gemeinschaft, und vor allem in der Frage des kirchlichen Amtes. Aber wir bekennen gemeinsam die eine Kirche Jesu Christi im Glaubensbekenntnis, die ja nicht einfach mit einer der Konfessionskirchen identisch ist.

- Das dritte Beispiel wechselt die Perspektive: Ich habe gehört und gelesen, und höre es immer noch, dass es von römisch-katholischer Seite wenig Verständnis gibt für unsere Schrift "Ordnungsgemäß berufen" und die daraus folgende Praxis von Ordination und Beauftragung in unserer Kirche. Ich erkläre dann immer, wenn die Rede darauf kommt, dass diese Schrift der Versuch der theologischen Ordnung eines vorher manchmal eher ungeordneten Zustandes in evangelischen Kirchen ist. Es ist also nicht so, dass wir uns hier etwas Neues hätten einfallen lassen, mit dem wir uns vom katholischen Amtsverständnis entfernen. Sondern es müsste auch für katholisches Verständnis ein positiver Schritt sein, zu realisieren, dass es bei uns nun kein Amt der öffentlichen Verkündigung und Sakramentsverwaltung mehr gibt, zu dem nicht ordnungsgemäß berufen, gesegnet und gesendet wird. Wer bei uns predigt oder die Sakramente verwaltet, ist also im Sinne des Augsburger Bekenntnisses ordentlich zu diesem Amt berufen.

Vielfalt in der Praxis

Wenn ich dies erkläre, dann erfahre ich sehr oft auch von katholischer Seite Zustimmung zu diesem Versuch. Gleichwohl lese ich nach wie vor sehr kritisch-ablehnende Meinungen zu dieser Schrift, aus denen hervorgeht, dass man sich noch nicht einmal die Mühe macht, unser lutherisches Amts- und Ordinationsverständnis von unseren Denk- und Glaubenskategorien her zu beurteilen. So einfach sollte man es sich nicht machen.

Und so könnten wir sicher auf beiden Seiten weitere Beispiele dafür finden, dass mangelndes Verständnis Vorurteile fördert.

In der Praxis, in den Gemeinden und den Einrichtungen unserer Kirche, habe ich eine große Vielfalt von Diensten erlebt, die sich über das bisherige traditionelle Verkündigungsamt durch einen Pfarrer oder eine Pfarrerin hinaus entwickeln. Auch in der römisch-katholischen Kirche hat sich eine ähnliche Vielfalt in der Praxis entwickelt, wo auch weiter theologisch darüber nachgedacht werden muss, wie dies zu begründen ist. Ich bin der Ansicht, dass es hier interessante Ansatzpunkte für einen Dialog zwischen unseren Kirchen geben könnte. Ökumenische Annäherung kann nur gelingen, wenn ich mich auf die Perspektive meines Gesprächspartners einlasse, wenn ich versuche, mich in die andere Tradition hineinzuversetzen und die theologischen Entscheidungen des Partners nachzuvollziehen. Und dabei kann es geschehen, dass sich meine Perspektive verändert und meine Äußerungen in der eigenen Kirche auf Skepsis stoßen.

Verständnis für Unterschiede

Schließlich halte ich es auch für wichtig, dass wir gemeinsam mehr Verständnis für die unterschiedlichen Frömmigkeitsformen, die verschiedenen Kulturen und die vielfältige Spiritualität auf der jeweils anderen Seite entwickeln. Was die geistlichen Gemeinschaften in dieser Hinsicht in den letzten Jahrzehnten geschafft haben, halte ich für großartig und ökumenisch weiterführend.

Diese Grundnorm christlich-ethischen und besonders kirchlichen Verhaltens ist auch eine Grundnorm ökumenischen Verhaltens. Ich muss mich so verhalten, dass sich mein Partner darauf verlassen kann, dass das gilt, was ich gesagt habe, dass ich Zusagen einhalte, dass ich nicht hier so und dort anders rede.

Als Erzbischof Reinhard Marx eingeführt wurde, hatte ich ihm zugesagt, dass ich nichts von ihm fordern würde, was er aus dogmatischen oder kirchenrechtlichen Gründen von vornherein nicht erfüllen könne. Und ich hoffe, dass ich mich daran gehalten habe. Ich habe den Eindruck, dass er sich darauf verlassen hat und dass dies unser Vertrauensverhältnis gestärkt hat. Hier kommt wieder das wechselseitige Verständnis ins Spiel. Nur wenn ich weiß, was der andere - in diesem Fall ein römisch-katholischer Ortsbischof - geben kann und was er im Gesamt einer Weltkirche nicht geben kann, kann ich eine solche Zusage einhalten.

Hermeneutik des Misstrauens

Wenn wir, Evangelische und Katholiken, ernstnehmen, dass wir alle auf den Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft sind, und wenn wir ernstnehmen, dass wir alle Zeugen des auferstandenen Herrn sein wollen und sind, können und dürfen und müssen wir uns doch zu allererst vertrauen. Dann müssen, ja dürfen wir keine Hermeneutik des Misstrauens pflegen, wie ich es in der Ökumene immer wieder erlebe, wenn man erst einmal überlegt, was der andere wohl mit einer Äußerung oder einer Aktion im Schilde führen könnte, sondern dann muss das Vertrauen zueinander im Vordergrund stehen. Wir reden uns gerne mit Bruder und Schwester an, aber deswegen müssen wir doch nicht den unter Geschwistern - wenn sie noch klein sind - alltäglichen Streit nachmachen, sondern sollten das unter erwachsenen Geschwistern meist übliche Vertrauen kultivieren. Dann muss ich nicht immer denken: Was könnte der andere in Wirklichkeit gemeint haben? Was steckt hinter diesem freundlichen Lächeln, was hat er in Wirklichkeit vor? Sondern dann nehme ich ernst, was der andere sagt, und gehe davon aus, dass es auch so gemeint ist.

Ich habe in meinem Leben mit der Maxime gute Erfahrungen gemacht, immer davon auszugehen, dass das, was andere mir sagen, ernst gemeint ist - bis zum Beweis des Gegenteils. Das ist nicht naiv, es ist vielmehr eine Grundregel, dem anderen zu vertrauen. Wenn das als allgemeine Lebensregel richtig ist und gut tut - um wie viel mehr gilt es in der Ökumene?

Ich fände es gut, wenn wir all unser ökumenisches Reden unter diese Überschrift stellten: Ich vertraue darauf, dass der andere all sein Reden und Tun mir gegenüber nach bestem Wissen und Gewissen vor Gott und nach seiner Auslegung der Bibel verantwortet. Deshalb ist eine Ökumene des Vertrauens dringend notwendig. War der Besuch des Papstes nun ein Erfolg für die Ökumene oder nicht?

Ich denke, es war eine gute Erfahrung, dass wir uns mit dem Papst auf unsere Einladung hin im Augustinerkloster in Erfurt treffen konnten, einem Ort, der für Martin Luther und die Reformation eine ganz große Rolle gespielt hat. Zu Recht hat der katholische Bischof von Regensburg, Gerhard Ludwig Müller, dies "ein Stück römisch-katholischer Rehabilitation Martin Luthers" genannt. Das, denke ich, bleibt. Denn der Papst hat - inspiriert durch den Ort - in seinem Gespräch mit uns das große Anliegen Martin Luthers aufgenommen: seine Frage "Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?" Und er hat damit und mit der Wahl des Ortes deutlich gemacht, dass es eine gemeinsame theologische Basis gibt, die in Zukunft für die Auslegung der Bibel wie für ein gemeinsames Wirken in die Welt hinein fruchtbar gemacht werden kann. Es war eine ausgesprochen herzliche Atmosphäre.

Ein Erfolg

Es war also ein Erfolg. Und seine Geste muss man in Vorbereitung des Reformationsjubiläums auch im Zusammenhang mit dem sehen, was er mir im Januar vergangenen Jahres gesagt hatte, in einer Privataudienz, als er die Kirchenleitung der VELKD empfing:

"So richten wir unseren Blick gemeinsam auf das Jahr 2017, das uns an die Veröffentlichung der Thesen Martin Luthers zum Ablass vor fünfhundert Jahren erinnert. Zu diesem Anlass werden Lutheraner und Katholiken die Möglichkeit haben, weltweit ein gemeinsames ökumenisches Gedenken zu begehen, weltweit um die Grundfragen zu ringen, nicht - wie Sie selbst gerade gesagt haben - in Form einer triumphalistischen Feier, sondern im gemeinsamen Bekenntnis zum dreifaltigen Gott, im gemeinsamen Gehorsam gegen unseren Herrn und sein Wort. Dabei müssen das gemeinsame Gebet und das innige Bitten an unseren Herrn Jesus Christus um Vergebung für das einander angetane Unrecht und für die Schuld an den Spaltungen einen wichtigen Platz einnehmen."

Wenn wir katholische Lehrbildung verstehen und Vertrauen haben, dann wissen wir, dass der Papst in Erfurt kaum weiter gehen konnte, als er es getan hat. Vertrauen, Verlässlichkeit, Verständnis - wenn wir uns alle gemeinsam um diese drei Grundnormen bemühen, dann kommen wir auch in der Ökumene weiter.

Johannes Friedrich

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