"Ich bin das Gefäß, Gott der Dürstende"

Vor fünfzig Jahren wurde der schwedische UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld ermordet
Dag Hammarskjöld ein Jahr vor seinem Tod. Foto: dpa/UN
Dag Hammarskjöld ein Jahr vor seinem Tod. Foto: dpa/UN
UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld (1905-1961) war ein religiöser Mensch. Als intellektuell brillant und demütig charakterisiert ihn Jürgen Werbick, katholischer Fundamentaltheologe in Münster.

Gedenktage können ganz schön subversiv sein, vor allem dann, wenn zur Nostalgie kein Grund besteht. Die Jahre, in denen Dag Hammarskjöld Generalsekretär der Vereinten Nationen war (1953-1961), wird sich niemand zurückwünschen. Mehrfach stand die Welt am Rand eines großen Krieges, kaum dass der Koreakrieg ohne Frieden zu Ende gegangen oder genauer: in einen Kalten Krieg übergegangen war. Die Großmächte belauerten sich, sie waren entschlossen, ihre Einflusssphären bei jeder sich bietenden Gelegenheit auszuweiten und ohne Rücksicht auf Verluste oder Kollateralschäden zu verteidigen.

England und Frankreich griffen 1956 auf den Suezkanal zu, als Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser ihn verstaatlichte. Sowjetische Truppen walzten den ungarischen Volksaufstand und die Hoffnungen auf ein Tauwetter im Ostblock brutal nieder. Und in diesen Ausbruch politischer Brutalität hinein sollten die Völker Afrikas einen Weg in ihre Unabhängigkeit finden. Die Unabhängigkeitserklärungen entfachten neue Kriege. Und die alten, hoch gerüsteten Interessen wussten sich gerade jetzt, wo es neue Strukturen noch nicht gab, mit ungeahnter Rücksichtslosigkeit durchzusetzen.

Wer die Verpflichtung der Vereinten Nationen, in diesem Tohuwabohu so etwas wie eine Weltgerechtigkeit und die Zukunftsfähigkeit von Politik einzufordern, ernst nehmen wollte, begab sich auf ein Himmelfahrtskommando. Dag Hammarskjöld hatte es gewusst oder schnell gelernt, als er 1953 sein Büro am East River bezog. Die Großmächte hatten ihn zunächst nicht besonders ernst genommen. Aber sie hatten schnell lernen müssen, dass sie mit diesem Generalsekretär kein leichtes Spiel haben würden. Als er 1956 die Suezkrise vorbei am Weltsicherheitsrat, in dem die Großmächte das Sagen hatten, fast im Alleingang entschärfte und die UN in die Lage versetzte, friedenserzwingende Militäreinsätze anzuführen, wusste man endgültig, dass man mit einem neuen Machtzentrum am East River zu rechnen hatte - und eben auch damit, dass es sich nicht ohne Weiteres den eigenen Machtinteressen fügen würde.

Schmiedehammer und Schutzschild

Hammarskjöld ließ von Anfang an keinen Zweifel daran, wie er sein hohes Amt verstand. Bei der ersten Pressekonferenz als Generalsekretär zu seinem für Anglophone so schwer aussprechbaren Namen befragt, antwortete er schlagfertig: "Nennen Sie mich einfach Hammerschild." Und so war der Name schon auf dem Familienwappen ins Bild gebracht worden. Er legte das Bild für sich so aus: Schmiedehammer für die Realisierung der Menschenrechte und der UN-Charta wolle er werden - und Schutzschild für die kleinen und blockfreien Staaten.

Ein unverschämtes Selbstbewusstsein! War es angesichts der realen Machtverhältnisse nicht ganz und gar unrealistisch? Gepaart war es mit einer ebenso unverschämten, nicht verschämten Demut. So selbstbewusst kann man nur als demütiger Mensch sein, der sich nicht selbst aufs Podest stellen und glänzen will. Fehlte die Demut, würde jeder Hohlheit und Aufgeblasenheit eines solchen Selbstbewusstseins konstatieren: Politikerschicksal landauf, landab.

Selbstbewusstsein in Demut, Demut selbstbewusst zu leben, das muss von weither kommen, jedenfalls nicht aus dem Tageskalkül erfolgsfixierter Machtpolitik. Hammarskjölds geistliches Tagebuch (auf deutsch: Zeichen am Weg), das man nach seinem gewaltsamen Tod fand, dokumentiert, von woher er sein demütiges Selbstbewusstsein lebte. Es zeigt einen Menschen, der sein Leben betend und meditierend immer wieder neu in diese Demut zu konzentrieren versuchte und ihr so - in der Versuchung, sie durch den Stolz des intellektuell Überlegenen zu überspielen - einen neuen Sinn geben konnte. Hammarskjöld hat das Wort Demut durch sein Leben und sein Glauben tatsächlich neu definiert. Das ist wohl ebenso erinnerungswürdig wie seine mitunter zwiespältig gebliebene politische Leistung.

Demut, "die nie vergleicht"

Mehrfach spricht Hammarskjöld in seinem geistlichen Tagebuch von der Demut, "die nie vergleicht". Das ist wohl das Sinnzentrum, von dem her er die Demut zu leben versucht. Und damit spricht er treffsicher den hohlen Kern der stolzen Aufgeblasenheiten an, zu denen sich ja nicht nur Politiker und die Helden der Öffentlichkeit verführen lassen. Vergleichen: das ist der Treibstoff im Vorankommenwollen und die Hefe im Stolz der Arrivierten. Das moderne, allgegenwärtige Wort dafür lautet "Ranking". Klar, man braucht Rankings. Denn ohne den möglichst rationalen Vergleich geht wenig. Man muss wissen, wem man vernünftigerweise etwas zutrauen darf und wohin man die knappen Fördermittel gibt. Die Bestenauslese mag im einzelnen noch so fragwürdig sein; unverzichtbar ist sie allemal. Wer - Qualifikationen und Verdienste - hat, dem wird gegeben: das Amt, die Position, die Förderung, das Vertrauen eben. Wer in den Augen derer, die es zu beurteilen haben, besser ist, der wird es besser haben, damit er noch besser wird. Was soll da die Demut, die nicht vergleicht?

Demut, das ist die Weisheit, die dem Kalkül der Bestenauslese und der Rankings ihr Recht und sich von ihm doch nicht verführen lässt. Die Verführung geht dahin, sich zu vergleichen, um sich des eigenen Wertes, der eigenen Überlegenheit, zu vergewissern. Wenn intellektuelle Exzellenz mit diesem abschätzigen Vergleichen zusammengeht, versündigt man sich an den Aufgaben, die gerade jetzt warten, und an den Menschen, die man abschätzt - weil man damit beschäftigt ist, sich das eigene Bessersein zu bestätigen.

Der intellektuell brillante Hammarskjöld kennt die Versuchung wie kaum ein anderer. Und er geht weite innere Wege, ihr zu widerstehen: Selbstbewusstsein - Bewusstsein der eigenen Sendung - Ja, Sich-Vergleichen - Nein: "So wird nur einer geschaffen, und wenn er versagt, wird der Einsatz, welcher der seine hätte sein können, ewig fehlen." Ganz bei der Aufgabe sein, die sich gerade mir stellt, und für sie da sein, selbstvergessen, im selbstbewusst-selbstvergessenen Einvernehmen mit dem, der mich hier sendet. Das gibt die Freiheit von der Bestätigungssucht, sich im Beifall des Publikums des eigenen Besserseins vergewissern zu müssen; die Freiheit für diese Aufgabe; die Freiheit, sich ihr so auszusetzen, wie sie es verlangt. In dieser Freiheit zu tun, was dran ist, nicht das, was erwartet wird oder Beifall bringt: so will Hammarskjöld sein Amt wahrnehmen.

Mystische Selbstrelativierung

Auch hier liegen noch kalter Hochmut und Demut eng beieinander: der Hochmut dessen, der sich über den Beifall des Pöbels erhaben dünkt und dabei doch nur den ausbleibenden Beifall verschmerzen will - die Demut, die sich über Zustimmung freut, weil sie die Zustimmenden ernst nimmt und sich doch nicht von der Selbstvergessenheit des Dienstes abbringen lässt, nicht vom Dasein für diese Aufgabe, für die jetzt niemand anders da wäre, weil sie meine Aufgabe ist. Es bedarf der weiten Wege mystisch-gläubiger Selbst-Relativierung, um diese empfindliche Unterscheidung zu treffen und zu leben. Es bedarf eines Sendungsbewusstseins, das sich im Sendenden festmacht - und deshalb von der Unendlichkeit der Aufgabe weiß; und unfähig wird, sich zu rühmen, außer in Christus (1. Korinther), aus dem alles ist, was durch mich an Hilfreichem geschehen kann.

Wer in den Zeichen am Weg nachverfolgt, wie Hammarskjöld immer wieder neu um das demütige Selbstbewusstsein, die Unterscheidung vom Hochmut, ringt, mag ahnen, mit welch ungeheurer Versuchung er zu ringen hatte und weshalb er sich zu allerletzt der Demut hätte rühmen können. Er wusste, "was im Menschen ist: an Kleinlichkeit, Gier, Hochmut, Neid - und Verlangen". In seiner Selbst-Konfrontation gelingen ihm Einsichten, an die Menschen sich halten können, wenn sie in die Nähe dieser Versuchung geraten, wenn sie geistlich überlebensnotwendig nach der Quelle authentischer Demut graben müssen. Dahin möchte er gelangen, dass "mein ganzes Sein zum Werkzeug wird für das in mir, was mehr ist als ich".

Unverkennbar ist hier - und immer wieder - Meister Eckhart der Gesprächspartner. Und dann dieses Bild: "Ich bin das Gefäß. Gottes ist das Getränk. Und Gott der Dürstende." Weiter: "Der Stolz des Bechers ist sein Getränk, seine Demut das Dienen. Was bedeuten da seine Mängel?" Gott dürstet nach dem Getränk, das ich, der Becher, darreichen darf. Er hat es eingegossen. Durch mich soll es dem Durst der Menschen und darin Gottes selbst wohltun. Die unverschämt selbstbewusste Demut des Bechers: Den Menschen und Gott selbst gut sein zu dürfen - mit dem ihm Ein-Geschenkten; so dass es unendlich auf ihn ankommt, aber nichts an den Mängeln oder Vorzügen liegt, die ihn nur zieren oder ein wenig verunstalten, aber nicht daran hindern, Becher zu sein.

Freiheit, die das Leben kostet

Wer das begriffen hätte, wüsste, was Demut ist und Dienen bedeutet. Er hätte die Freiheit gewonnen, die im Dienen liegt; die Freiheit, mit dem mir Ein-Geschenkten zur Verfügung zu stehen, in dem unverschämten Selbstbewusstsein, dass das Eingeschenkte gut ist, gut sein kann für die Trinkenden, weil es nicht aus mir quillt, sondern von Ihm eingeschenkt ist. Dass ich nicht nur der Becher sein will und dauernd die von mir so hochgeschätzten Ingredienzien ins Getränk untermische, das ist das Problem. Das macht abhängig: Die Trinkenden sollen mich bekömmlich und gut finden. Gottes Becher, sein Instrument sein wollen, das bedeutet frei werden, es Gott überlassen, was aus mir und meinem Einsatz wird und es den Menschen überlassen, wie sie ihn aufnehmen: "Wer sich Gottes Hand überlassen hat, der steht den Menschen frei gegenüber: ganz frei, weil er ihnen das Recht gab, zu verurteilen."

Solche Freiheit kann das Leben kosten. Darüber war sich Dag Hammarskjöld im Klaren, in christologischer, von weither kommender Klarheit. Dass er diese Klarheit mit seinem eigenen Leben zu besiegeln hatte, hat er nicht ausgeschlossen. Umso mehr erschüttert uns nach fünfzig Jahren noch die Niedertracht der Motive, die sich an seinem Leben vergriffen haben: wirtschaftliche Motive der alten kolonialen Cliquen, wenn man den Indizien trauen darf.

Jürgen Werbick

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