Neugierig, ratlos, entsetzt: Achtzehn Konfirmanden der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Maleme, zwanzig Kilometer westlich der kretischen Hafenstadt Chania. Hier sind 4500 Soldaten bestattet, umgekommen beim Luftüberfall "Merkur" auf Kreta, 1941, die meisten blutjung. Im Friedhofsmuseum des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge verschafften sich die Konfirmanden über den Überfall und die Besetzung Kretas ein Bild. Hierher gekommen waren sie im Rahmen der Konfirmandenarbeit der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche; neben Pfarrerin Cornelia Kulawik begleiteten zwei Gruppenleiter die Gruppe.
Nach dem Besuch Malemes ging es im Bus auf dem Weg der Invasionstruppe von 1941 in das Dorf Kontomari. Zur Erläuterung hatten die Konfirmanden Texte mit den Bildern und Berichten erhalten, die der Wehrmachtsphotograph Franz Peter Weixler in dem Dorf angefertigt hatte. In einer "Vergeltungsaktion" hatte die Wehrmacht Dorfbewohner als "Partisanen" massakriert. Doch die Konfirmanden gingen nicht auf eine ohnehin zweifelhafte Suche nach Spuren des Massakers durch den kleinen Ort; stattdessen unterhielt man sich in einem Kapheneion. Angesichts der noch frischen Kenntnis über die grausame Besatzungszeit äußerten sich die Konfirmanden fast verwundert über die große Herzlichkeit, auf die sie bei den Kretern überall stießen. Später gab Kästners Feststellung "Glaubt nicht, Ihr hättet Millionen Feinde ... euer einziger Feind heißt - Krieg" das Motto für einige der regelmäßigen Abendandachten.
Das war in der Pfingstwoche 2010. An einem Pfingsttag 1941 hatte die Wehrmacht in Kontomari gewütet. Der Soldatenfriedhof Maleme konnte später eingerichtet werden, weil der orthodoxe Bischof Irenäus bei Kriegsende 1945 seine kretischen Landsleute davon überzeugt hatte, mit den Leichnamen deutscher Soldaten nicht in verständlicher Wut zu verfahren, sondern ihre Särge im Kloster Gonia respektvoll zu verwahren. Und ein griechisch-deutsches Abkommen ermöglichte es 1965, ihnen auf dem Soldatenfriedhof ihren letzten Ort zu geben.
Gespräch mit einem Totenkopf
Die Konfirmanden wohnten im Westen Kretas, in der am Meer gelegenen Orthodoxen Akademie von Kolympari gegenüber dem Kloster Gonia. Der zum Metropoliten avancierte Irenäos hatte 1968 - also in der Zeit der Diktatur von 1967 bis 1974 - die weltweit erste orthodoxe Akademie nach dem Vorbild deutscher evangelischer Akademien einrichten lassen. Das Leitmotiv der Akademien stammt vom Heiligen Makarios dem Ägypter (ca. 300-397), der von einem Gespräch berichtete, das er mit einem Totenkopf über dessen Leben in der Hölle geführt habe: Die schlimmste Strafe sei nach Auskunft des Schädels gewesen, dort Rücken an Rücken gefesselt gewesen zu sein, so dass kein Gespräch Auge in Auge möglich gewesen war. Makarios sah - und die Akademie folgt ihm darin - in den anderen Menschen nicht wie Sartre die Hölle, sondern die Möglichkeit, durch das Gespräch Freude ins Leben zu bringen.
"Jeden Tag begannen wir im Meer und lernten danach mehr als in der Schule", war nach einer Woche das einhellige Echo aller achtzehn Konfirmanden. Die Orthodoxe Akademie, die den Kontakt zu drei Schulen in Kolympari und Chania organisierte, und die Berliner Gemeinde hatten gemeinsam Gelder aus dem EU-Fonds "Jugend in Europa" beantragt, um das Gespräch der Konfirmanden mit gleichaltrigen orthodoxen griechischen Schülern zu ermöglichen. Kreter und Deutsche stellten einander in vorbereiteten Referaten ihre Glaubenswelt vor. Eine Griechin gab den Kindern eine Einführung in die Ikonenmalerei. Sie zeigte den Konfirmanden zuerst Ikonen in der Kirche des Kloster Gonia, dann malten die Konfirmanden in der Akademie unter ihrer Anleitung Ikonen.
Durch den Besuch des fast zweistündigen Pfingstgottesdienstes und der Feier des Seelensamstags konnten die Berliner Konfirmanden in die orthodoxe Lebenswelt eintauchen. Und der Priester Dionysios Ntaountakis erklärte vieles. Die Jugendlichen unterhielten sich mit Händen und Füßen, ein deutsch-griechischer Vokabelbogen half weiter, und ohne Vokabelnöte tanzten und spielten sie miteinander. Die Referenten sprachen entweder in beiden Sprachen oder deutschsprachige Mitarbeiter der Akademie übersetzten.
Am Ende war wohl allen der Aufenthalt zu kurz. Einige werden zurückkehren. Und dann werden sie Griechenland mit anderen Augen betrachten als gewöhnliche Touristen. Zunächst aber ist ein Gegenbesuch vorgesehen: Schüler aus dem ländlichen Kreta sollen evangelisches Leben in der Millionenstadt Berlin kennenlernen.
Andreas Meier