Liebe macht blind

Die Eurorettung gefährdet die europäische Integration
Das Eurosymbol vor der Zentralbank in Frankfurt am Main. Foto: dpa/Mauritz Antin
Das Eurosymbol vor der Zentralbank in Frankfurt am Main. Foto: dpa/Mauritz Antin
An Währungsunionen sollte man nur so lange festhalten wie sie funktionieren, meint der Frankfurter Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe.

Der Euro war neben der Wiedervereinigung Deutschland das große politische Projekt Bundeskanzler Helmut Kohls und sollte das endgültige Aufgehen Deutschlands in einem gemeinsamen Europa signalisieren. Manche meinen auch, der Euro sei der Preis, den Frankreich seinerzeit für seine Zustimmung zur deutschen Einheit gefordert habe. Doch selbst wenn: Kohl gab gerne, denn Europa war sein Herzensanliegen. Und Liebe macht blind. Denn eine Währungsunion ist eine komplizierte Angelegenheit, die nicht allein vom guten Willen abhängt. Doch die Einwände der Ökonomen wischte man vom Tisch, und der skeptischen Bevölkerung verordnete man die Baldriantropfen des Stabilitätspaktes. Und dann setzte die Regierung die Währungsunion durch.

Zu Anfang schien das zu klappen. Die europaweit sinkenden Zinsen wirkten wie eine Art Doping, von dem aber die Bundesrepublik nichts hatte, weil sich ihr Zinssatz ja nicht änderte. Sie schlitterte vielmehr in eine Art Starre, zu deren Überwindung die Regierung Schröder seinerzeit die Hartz-Therapie - im Nachhinein gesehen recht erfolgreich - entwickelte. Die anderen Staaten hatten das nicht nötig: Dort boomte - nicht zuletzt wegen zinsgünstiger Kredite - die Wirtschaft, und der Immobiliensektor und private Konsum jagten von Hoch zu Hoch. Wer jetzt keine Kredite aufnahm, war selber schuld. Und die Banken freute es.

Sachverstand in den Wind geschlagen

Die Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2007 riss den Schleier des Erfolgs fort. Plötzlich hatte alle Welt Angst, Geld zu verlieren. Kredite waren nicht mehr so leicht und schon gar nicht mehr so billig zu haben. Staaten ohne solides Geschäftsmodell mussten sehr hohe Zinsen zahlen. Die Zinslast der ohnehin bereits stark verschuldeten Länder nahm dramatisch zu und Insolvenz drohte. Nun waren aber viele über den Euro miteinander verbunden. Doch ein Ausweg aus der Krise durch Währungsabwertung war nicht mehr möglich. Andererseits verbot der Vertrag von Maastricht kategorisch jede Hilfe für Griechenland oder Portugal. Das war im April 2010. Da hätte man sagen müssen: "Im Euroraum kann und darf nicht geholfen werden, er behindert zudem die Handlungsfähigkeit der verschuldeten Länder. Diese Länder müssen - zumindest zeitweilig - den Euro-Raum verlassen und sich aus eigener Kraft sanieren. Dann kann man weitersehen."

Doch wie bei der Einführung des Euro schlug man auch jetzt jeden Sachverstand in den Wind. Diesmal nur mit anderen Gründen. Helmut Kohl wollte die Europäische Union um jeden Preis, "Bimbes" interessierte ihn nur in anderen Zusammenhängen. 2010 hatte man Angst, dass Griechenland die Banken in Frankreich und Deutschland in den Abgrund reißen würde. Denn die hatten, um ordentlich zu verdienen, reichlich Kredite gewährt, ja griechische Banken gleich ganz übernommen. Die Alarmrufe reichten, um handstreichartig den Vertrag von Maastricht über Bord zu werfen, weil sonst - wie dem zögerlichen Publikum gegenüber behauptet wurde - Europa gefährdet sei. Es ging aber eigentlich nur darum, Griechenland Geld zu verschaffen, dass es seine Schulden bei den Gläubigern bezahlen kann.

Also garantierte der europäische Steuerzahler für neue Kredite - und überdies kaufte die Europäische Zentralbank (ezb) gegen alle Regeln griechische Schuldtitel und begann, minderwertige Titel als Kreditsicherheiten zu akzeptieren. Denn ohne diese Großzügigkeit der ezb hätten die meisten Privatbanken Griechenlands überhaupt kein Geld mehr bekommen. Wie man heute sieht, half das nicht wirklich, da das Land weiterhin pleite ist. Nur sind seine Gläubiger jetzt andere, nämlich neben einigen verbliebenen Privatgläubigern die ezb und - über die gegebenen Bürgschaften - die europäischen Steuerzahler. Dabei ist die Hoffnung, Griechenland bekomme durch die Hilfen, die man ihm gewährt, die nötige Zeit, um seine wirtschaftlichen Probleme anzugehen, bisher enttäuscht worden. Und es spricht auch nichts für eine schnelle Lösung. Das Land hat seit Kriegsende ein chronisches Leistungsbilanzdefizit, und die öffentliche Hand ist - aus welchen Gründen auch immer - unterfinanziert. Alle bisherigen Hilfen (Marshall-Plan, Militärhilfen im Rahmen der nato, EU-Zahlungen, billige Kredite im Euro-Raum) haben das Problem nicht vermindert, sondern vergrößert. Und warum soll das plötzlich anders werden, zumal eine durchgreifende Änderung auf eine Senkung des Lebensstandards hinausliefe?

Probleme nur verschoben

Probleme hat man mit all den Hilfen also nicht gelöst, sondern nur verschoben und verstärkt. Jetzt darf Griechenland nicht umschulden, weil das die ezb in den Abgrund reißen könnte. Das ist überhaupt das einzig handfeste Ergebnis der Euro-Rettung bisher: Die existenzielle Bedrohung der ezb. Man fragt sich, welche europäischen Institutionen als nächste zu Opfern der Rettungsaktionen werden. Da rufen in der deutschen Öffentlichkeit manche, es sei die zögerliche Haltung der Bundesregierung, die die Probleme hervorrufe. Das ist zwar gutgemeint, aber nicht vernünftig, weil man offensichtlich glaubt, Geld (also: Steuereinnahmen) stünde unbegrenzt zur Verfügung und die Hilfe sei nur eine Frage des guten Willens. Angesichts der eigenen, derzeit weiter wachsenden Staatsverschuldung von bereits mehr als 80 Prozent des bip (zum Vergleich: Schweiz rund 40 Prozent) ist eine derartige Haltung bestenfalls naiv.

Nein, nüchtern betrachtet, ist die Euro-Rettung eine Gefahr für die europäische Integration. Denn, was nicht funktioniert, kann auf Dauer - auch beim besten Willen - nicht finanziert werden, ohne dass anderes Schaden nimmt. Und es ist auch nicht nötig. Währungsunionen sind Verabredungen, an denen man festhalten sollte, solange und soweit sie gut funktionieren. Und das hängt von der Fähigkeit und der Bereitschaft der Teilnehmer ab, sich an die vereinbarten Regeln zu halten. Wer das nicht tut, darf nicht teilnehmen, weil die Währungsunion sonst dort zu Wohlstandsverlusten führt, wo die Regeln beachtet werden. Und das untergräbt ihre Legitimität. Dem kann man vielleicht zeitweilig mit moralischen Appellen gegensteuern. Doch ist es nur eine Frage, bis diese an der wirtschaftlichen Realität scheitern. Und dann ist es mit der politischen Glaubwürdigkeit endgültig vorbei. Nein: Kohls politisches Projekt war überstürzt, und die derzeitigen Rettungsmaßnahmen sind kontraproduktiv. Sie verschärfen die Spannungen, zu deren Beruhigung sie vorgeblich einen Beitrag leisten sollen. Wie der Volksmund sagt: "Das Gegenteil von gut ist - gut gemeint!"

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Werner Plumpe

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