Lob der Linken

Eindrucksvolle Porträts von kirchlichen Antifaschisten
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Es ist Friedrich-Martin Balzers Verdienst, dass er in gründlicher Kennerschaft der zeitgenössischen Texte der NS-Gegner auf eine Lücke in der traditionellen Kirchengeschichtsschreibung hinweist, die sich immer mehr als wissenschaftlicher Skandal erweisen dürfte: die Geringschätzung des linken Protestantismus in der Kirchengeschichte.

Es ist für die Erforschung der kirchlichen Zeitgeschichte gut, dass es Autoren gibt, die gegen das Vergessen derer anschreiben, die im Raum des Protestantismus mit ihren intellektuellen Analysen und in ihrem praktisch-politischen Verhalten konsequente Gegner des Nazismus waren. Zu diesen Autoren gehört seit Jahrzehnten der Marburger Friedrich-Martin Balzer. Die Einleitung seiner Aufsatzsammlung von Hans Heinz Holz zeigt, welche Bedeutung Balzer in der linken Szene zukommt. Und das Nachwort von Manfred Gailus ist der Versuch, dem "Iserlohner Pfarrersohn", "Marburger Achtundsechziger" und "protestierenden Post-Protestanten" gerecht zu werden.

Balzer zeichnet eindrucksvolle Porträts der mit ihm befreundeten Wolfgang Abendroth, Hans Heinz Holz, Helmut Ridder und anderen Denkern. Aber auch zwei Theologen, die als Religiöse Sozialisten vor und nach der Machtübergabe an Hitler gegen den Geist und die Praxis des Nationalsozialismus kämpften haben, werden porträtiert: Erwin Eckert und Emil Fuchs. Es ist Balzers Verdienst, dass er in gründlicher Kennerschaft der zeitgenössischen Texte der NS-Gegner auf eine Lücke in der traditionellen Kirchengeschichtsschreibung hinweist, die sich immer mehr als wissenschaftlicher Skandal erweisen dürfte: die Geringschätzung des linken Protestantismus in der Kirchengeschichte.

Mehrheitsprotestantismus nahe bei Hitler

Der aufregendste Beitrag von Balzer dürfte, in Aufnahme seiner älteren Forschungsergebnisse, eine "Streitschrift" mit dem Titel "Die Mitverantwortung des deutschen Protestantismus für Faschismus und Holocaust" sein. Für mich ist sie eine notwendige Provokation gegenüber einer Kirchengeschichtsschreibung, die sich immer noch weigert, die historische Mitverantwortung des Kirchen- und Milieuprotestantismus für das Aufkommen und die Stabilisierung des NS-Systems wie für die mehrheitliche Bejahung der Innen-, Außen- und Kriegspolitik Hitlers quellengerecht darzustellen, die immer noch die Bekennende Kirche (BK) in die Nähe einer Widerstandsbewegung bringen und nur die Deutschen Christen als nazistisch orientierte Kombattantengruppe als Häretiker und Irrläufer qualifizieren will.

Balzer unternimmt einen Streifzug durch die Jahre 1930 bis 1945, um zu zeigen, dass der Mehrheitsprotestantismus eine klare politische Nähe zum Hitlerstaat hatte. Die Quellen sprechen hier eine eindeutige Sprache und entlarven die späteren Selbstdarstellungen der BK und die in ihrem Gefolge stehende Geschichtsschreibung als Apologie, bis hin zur Vertuschung der Mitverantwortung für Hitlers System und vor allem für seinen Krieg gegen den Bolschewismus. Dass Balzer demgegenüber die "Christlichen Antifaschisten der ersten Stunde: Erwin Eckert, Emil Fuchs und Heinz Kappes" ihren historischen Rang geben will, ist berechtigt, und dass er führende Männer des Kirchenapparates vor und nach dem Krieg als hochproblematische Zeitgenossen darstellt, ist notwendig, um von dem Mythos eines kirchlichen Widerstands Abschied zu nehmen und sich den wirklichen Antifaschisten zuzuwenden.

Die Streitschrift will provozieren. Das heißt, sie lädt ein zum kritischen Dialog mit anderen Positionen. Die kirchenhistorische Zunft sollte dieses Angebot eines kirchenkritischen Protestanten annehmen.

Friedrich- Martin Balzer: Prüfet alles, das Gute behaltet. Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2010, 428 Seiten, Euro 19,90.

Günter Brakelmann

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