Kühner Neuerer

Über Franz Liszt
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Franz Liszt hat weit mehr vorzuweisen als pianistische Artistik, weiß die ungarische Musikwissenschaftlerin Klára Hamburger. Sie erzählt nicht nur die faszinierende Lebensgeschichte eines Mannes, sonder beschreibt auch kenntnisreich und einfühlsam sein Werk.

Er war ein durch und durch romantischer Künstler, geboren in Ungarn, wo seine Werke häufiger als in Deutschland aufgeführt werden, musikalisch gebildet in Wien und Paris, später als Hofkapellmeister in der Provinzstadt Weimar ansässig, doch immer wieder ruhelos unterwegs bis zu seinem Tod. Mit seinem einzigartigen Klavierspiel beeindruckte er das Publikum auf Konzerttourneen durch ganz Europa. Bis heute aber verdeckt der gefeierte Klaviervirtuose (ein Starpianist, bevor es den Begriff gab) den innovativen Komponisten.

Dabei hat Franz Liszt weit mehr vorzuweisen als die pianistische Artistik der Ungarischen Rhapsodien, wie die ungarische Musikwissenschaftlerin Klára Hamburger zeigt. Sie erzählt nicht nur die faszinierende Lebensgeschichte eines Mannes, der Pianist, Komponist, Dirigent und großzügiger Förderer vieler Musikerkollegen und Schüler war, Frauenliebling mit vollendeten Manieren und sozialer Wohltäter, weltoffener Europäer und glühender Patriot in einer Person. Sie beschreibt auch kenntnisreich und einfühlsam sein Werk, das sich mit den Jahren immer reicher und zukunftsweisender entfaltete. So regt Hamburgers Buch dazu an, auch die weniger bekannten Kompositionen Liszts zu entdecken.

Gemeinsam mit Hector Berlioz schuf Liszt die so genannte "Programmmusik", versah "seine von einem neuartig subjektiven Ton und neuen Klangfarben geprägten Klavierwerke mit programmatischen Titeln" und komponierte symphonische Dichtungen und Symphonien, die von außermusikalischen Momenten oder literarischen Ideen angeregt waren. Neben Dante, Shakespeare, Goethe und Schiller war es besonders der "schwarze" Romantiker Lord Byron, der ihn inspirierte.

Seine in den Jahren seit 1860 komponierten Klavierwerke sowie seine religiösen und kirchenmusikalischen Kompositionen zählen nach Hamburger "zu den bedeutendsten Kunstwerken der europäischen Romantik". In seiner Spätphase habe er Wege gebahnt, die erst in der Musik des 20. Jahrhunderts begangen wurden.

Liszt war in seiner expressiven Harmonik ein kühner Neuerer. Das beweist auch seine Kirchenmusik: mehrere Vertonungen der Messe, unter denen die wie eine symphonische Dichtung mit religiösem Text wirkende "Graner Messe" und die "Missa choralis" mit ihrer Verbindung von gregorianischer Melodik und starker Chromatik hervorzuheben sind, sowie zwei groß angelegte Oratorien, "Die Legende von der Heiligen Elisabeth" und das gewaltige "Christus-Oratorium".

Wie selbstlos Liszt sich für die Musik anderer Komponisten einsetzte, bezeugen nicht zuletzt seine Bearbeitungen der Werke von Berlioz und Beethoven, Verdi und Wagner. Beispielhaft sind seine "werktreuen und doch klaviergerechten Bearbeitungen der neun Symphonien Beethovens".

Die Autorin lässt deutlich ihre Verehrung des Musikers Liszt erkennen, verschweigt aber auch Befremdliches und Peinliches nicht: seine Empfänglichkeit für Titel und Ehrungen, sein von Liebenswürdigkeit in unverständliche Grausamkeit umschlagendes Verhalten zu seinen Kindern, das ambivalente Verhältnis zwischen Wagner und Liszt und die unwürdigen Umstände seiner letzten Lebenstage. Erst ab 1975 kam nach und nach die von Tochter Cosima lange verfälschte Wahrheit über Krankheit und Tod ihres Vaters in Bayreuth ans Licht. Schade nur, dass das Lesevergnügen an dieser sympathischen und klugen Biographie durch nicht wenige, vom Lektor übersehene Syntaxfehler getrübt wird.

Klára Hamburger, Franz Liszt. Böhlau Verlag Köln/Weimar/Wien 2010, 279 Seiten, Euro 24,90 €

Michael Heymel

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Foto: Privat

Michael Heymel

Dr. habil. Michael Heymel ist habilitierter praktischer Theologe und Pfarrer im Ruhestand in Limburg/Lahn. Er arbeitet als freier Autor und Dozent.


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