Klangvolle Geheimnisse

Eine hörenswerte Melange aus Chor, Trompete, Bandoneon
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Was, so fragt man sich, haben ein korsisches Gesangsensemble, ein Trompeter und ein Bandoneon-Spieler gemeinsam? Egal, sie schaffen schöne Musik.

Ein Grenzgänger ist ECM-Produzent Manfred Eicher immer gewesen. Viele werden sich an Officium, die sehr erfolgreiche Kooperation des Hilliard Ensembles mit dem Jazz-Saxophonisten Jan Garbarek erinnern, die unter Eichers Ägide entstanden ist. Mistico Mediterraneo verfolgt dieses Konzept weiter und ist dabei noch wagemutiger: Was, so fragt man sich spontan, haben ein korsisches Gesangsensemble, ein Trompeter und ein Bandoneon-Spieler gemeinsam?

Zunächst einmal ist eine kleine Einstiegshürde zu bewältigen: Der Liederzyklus beginnt mit pathetischen Stimmen, auf die ein Nachhall gelegt ist, der ungefähr der dreifachen Größe des Kölner Doms entsprechen müsste. Bald gesellen sich elektronische Spielereien da­zu, die auch nicht viel aussagekräftiger klingen als der übliche Weltmusik-Keyboard-Kitsch. Die Elektronik bleibt der Hörerin und dem Hörer fortan meist erspart, die Hall-Menge lässt hingegen die ganze CD über nicht nach. Nun ja, man gewöhnt sich daran. Und es lohnt sich.

Die mediterranen Geheimnisse sind zunächst von dem korsischen Chor "A Filetta" unter der Leitung von Jean-Claude Acquaviva geprägt. Die sieben Sänger sind Meister einer Polyphonie, die nur wenig mit jenen volkstümlichen, "La Montanara"-artigen Liedern gemein hat, die Korsika-Touristen in den Souvenirshops finden. Stattdessen verbindet "A Filetta" die Vokaltradition der Insel mit mittelalterlicher Choralkunst und polyphonen Einflüssen vom ganzen Globus. Ein tibetisches Mantra wird hier verarbeitet, in anderen Stücken erinnern tonale Reibungen an die gewagten Melismen bulgarischer Frauenchöre. Die Texte sind in Korsisch, Latein und Französisch verfasst.

Butterweicher Ton

Dazu gesellt sich der sardinische Trompeter Paolo Fresu, dessen butterweicher Ton von Miles Davis und Chet Baker inspiriert ist. Zumal, wenn er das Flügelhorn spielt, mischt sich eine ganz eigene Melancholie ins Bild, die sich mal perfekt in die Texturen des Chores einfügt, mal frei improvisierend darüber schwebt. Melancholische Beiklänge hat natürlich auch das Bandoneon, doch der Italiener Daniele di Bonaventura trägt als Kontrast auch leichtere, beinahe schon tänzerische Aspekte bei.

Mehrfach werden Passagen aus dem "Dies Irae" vertont; zum Teil entnommen aus Filmmusiken, die Jean-Claude Acquaviva komponiert hat. Es wäre ein lohnenswertes Folgeprojekt für "A Filetta", Paolo Fresu und Daniele di Bonaventura, diesen Ansatz auf ein komplettes Requiem auszuweiten. Dann aber gerne mit normalem Hall - eine einfache Kathedrale reicht.

Paolo Fresu, A Filetta, Daniele di Bonaventure - Mistico Mediterraneo. ECM 2203 274 5621.

Ralf Neite

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