Grenzbeschreitung

Tristano mit Bach und Cage
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Francesco Tristano ist ein musikalischer Grenzgänger. Doch seine neue Aufnahme ist interessant, weil er Bach und Cage vollkommen ernst nimmt und gewisse Grenzen gerade nicht überschreitet.

Eine dieser neumodischen Schreibweisen: bachCage. Man vermutet einen der üblichen Tricks, um einer Wortpaarung größere Aufmerksamkeit zuzuführen. In diesem Fall wäre das eine CD mit Klavierwerken von Johann Sebastian Bach und John Cage, eine Gegenüberstellung von Barock und 20. Jahrhundert.

Ungewöhnlich genug ist schon der Einstieg: Francesco Tristano beginnt weder mit Bach noch Cage, sondern mit sich selbst. Sein "Introit" baut eine sanft schwingende, von abrupt finsteren Bassnoten durchbrochene Atmosphäre auf. "Ambient" würde man in der Popmusik dazu sagen. Warum dieser Querverweis auf Pop?

Das "Introit" klingt in einem elektronisch verfremdeten Grollen aus, dann beginnt, ohne jede Pause, das Präludium aus Bachs Partita Nr. 1 in B-Dur. Ohne Pause, doch nicht ohne Bruch - wie sollte das auch sein mit rund 300 Jahren Musikgeschichte zwischen den Ereignissen?

Und erneut öffnet sich eine Kluft, wenn im Anschluss Cage's "In A Landscape" erklingt. Cage modifizierte den Klang seines Klaviers, indem er die Saiten mit unterschiedlichen Gegenständen präparierte. Tristano nun hat den Soundmann Moritz von Oswald dabei, der Hall, Echo und elektronische Klangmodulationen hinzufügt, die mechanisch nicht zu erzeugen wären. Von dort geht es, wieder ohne Atempause, zurück zu Bach. Darauf erneut Cage. Und zum zweiten Mal Tristano. Und ein letztes Mal Bach.

Kein Effekt um des Effektes willen

Francesco Tristano ist ein musikalischer Grenzgänger. Im Konzertsaal verblüfft er sein Publikum, indem er ein Frescobaldi-Stück nahtlos in eine eigene Komposition übergehen lässt. Mit seinem Projekt "Aufgang" tritt er auch in Clubs auf und erzeugt dort gleichermaßen Irritation, wenn er den Dancefloor mit Techno nach Noten bespielt.

Seine neue Aufnahme ist interessant, weil er Bach und Cage vollkommen ernst nimmt und gewisse Grenzen gerade nicht überschreitet. Da gibt es keine Effekte um des Effekts willen, schon gar nicht bei Bach. Dessen Musik bleibt so, wie sie geschrieben wurde. Glockenklar, perkussiv und stellenweise virtuos gespielt, nur eben auf dem Klavier statt auf dem Cembalo. Doch auch Cage wird nicht zum Steinbruch für elektronische Sperenzchen, sondern Tristano denkt ihn mit allem gebotenen Respekt klanglich weiter. So wirft er ein neues Licht auf die kompositorische Verwandtschaft der beiden Meister, die in mathematischen Ansätzen, in tonalen und strukturellen Parallelen besteht.

Wie die CD auch hätte klingen können, demonstrieren der junge Pianist und sein Soundmann zum Schluss bei einem nicht einmal zweiminütigem Bach-Menuett, das durch Filtertechnik in eine Art futuristisch-eigenwilliges Glockenspiel verwandelt wurde.

Francesco Tristano - bachCage. Deutsche Grammophon 0289 476 417-3-5.

Ralf Neite

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