Gegenakzent

Gesprächsangebot für Theologen
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Gerd Scobel setzt mit seinem neuen Buch einen wichtigen Gegenakzent zu all den schrillen Verlautbarungen neuer Atheisten und Fundamentalisten. Nicht gelehrt, aber sehr gebildet, weiß Scobel seine Leser durch die gegenwärtigen philosophischen, soziologischen und theologischen Religionsdebatten zu führen.

Gert Scobel ist ein bekannter und anerkannter Fernsehmoderator, der schon in verschiedenen Sendeformaten bewiesen hat, dass es auch in diesem Medium Raum für Nachdenklichkeit und sinnvolle Gespräche gibt. Ruhig und reflektiert geht es in seinen philosophischen Debatten zu, aber keineswegs langweilig. Diese Qualitäten zeichnen Scobel auch als Wissenschaftsjournalist und Buchautor aus. In seiner neuesten Veröffentlichung versucht er, Vernunft und Glauben miteinander ins Gespräch zu bringen und in ein konstruktives Verhältnis zu setzen. Auch hier bewährt er sich als sicherer und sympathischer Moderator, dem es gelingt, einander entfremdete Parteien in ein gemeinsames Nachdenken zu führen.

Damit setzt er auf dem aktuellen Buchmarkt einen wichtigen Gegenakzent zu all den schrillen Verlautbarungen neuer Atheisten und Fundamentalisten. Nicht gelehrt, aber sehr gebildet, weiß Scobel seine Leser durch die gegenwärtigen philosophischen, soziologischen und theologischen Religionsdebatten zu führen. Wichtigste Referenzgrößen sind für ihn dabei Immanuel Kant, Ludwig Wittgenstein, Charles Taylor und Paul Tillich. Aber auch Ingolf Dalferth hat er gelesen. Die modische Protestantismus-Verachtung der Feuilletons macht der Katholik also nicht mit. Sein gut gemachtes Sachbuch kommt wirklich zur rechten Zeit. Allerdings hätte es Straffungen und mehr sprachlichen Gestaltungswillen vertragen können.

Die eigene Begrenztheit sehen

Scobels Leitmotiv ist das Fliegenglas. Bei Wittgenstein hat er diesen Aphorismus gefunden: "Was ist dein Ziel in der Philosophie? - Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen." Der Mensch als vernünftiges, aber auch als religiöses Wesen ist wie eine Fliege, die in einem Glas gefangen ist und keinen Ausweg findet. Er lebt sogar - in unterschiedlichen Hinsichten - in mehreren Fliegengläsern. Er ahnt etwas, das jenseits seines Gesichtskreises liegt, möchte es erkennen, geht darauf zu, stößt jedoch unweigerlich an eine unsichtbare Grenze und prallt zurück. Darum ist es das Wichtigste, sich zunächst der eigenen Erkenntnisgrenzen bewusst zu werden. Dies gilt aber nicht nur für den Glauben, sondern auch für die Vernunft.

Mit freundlicher Nachdrücklichkeit kritisiert Scobel sowohl theologische als auch rationalistische Dogmatismen, die einer wechselseitigen Verständigung entgegenstehen. Erst wenn beide Seiten die jeweils eigene Begrenztheit einsehen und die jeweils eigene Erkenntnisebene anzugeben wissen, können Vernunft und Glaube einander als unterschiedliche und jeweils begrenzte Weisen, die Wirklichkeit zu deuten, ergänzen. Dazu müssen die religiösen Menschen eingestehen, dass es ihnen "nicht in erster Linie um Erkenntnis und Wahrheit geht, sondern um Erlösung - oder zumindest um das Gefühl, erlöst zu sein". Sie sollten sich deshalb konzentrieren und zwar "auf die wesentlichen Dinge, auf Glück, ein besseres Miteinander und eine nachhaltige Zukunftsperspektive". Der Zielpunkt von Scobels Buch ist also der Glücksbegriff. Das ist nicht nur gedanklich einleuchtend und menschlich sympathisch, sondern auch theologisch reizvoll.

Akademische Theologen beklagen sich häufig darüber, dass die Medien sich so gar nicht um sie kümmerten. Gert Scobel ist endlich ein Fernsehjournalist, der mit ihnen kommunizieren möchte. Die Frage ist nur: Werden die akademischen Theologen dieses Gesprächsangebot wahrnehmen?

Gert Scobel: Der Ausweg aus dem Fliegenglas. S. Fischer, Frankfurt/Main 2010, 464 Seiten, Euro 22,95.

Johann Hinrich Claussen

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