Geistesblitze

Erfindergeist unter Theologen
Bild
Wer die Geschichte von Theologie und Naturwissenschaften verstehen will, stößt auf mehr Verwandtschaften, als die gegenwärtigen kontroversen Ethikdebatten vermuten lassen: Das ist die These von Eckart Roloffs verdienstvollem Buch.

Technik reimt sich auf Fortschritt. Aber: Reimt sich Fortschritt auch auf Christentum? In den christlichen Kirchen tut man sich seit langem schwer mit der Würdigung von Fortschritten auf den Gebieten von Naturwissenschaft und Technik. Da ist zum einen das notorische Folgenproblem: Innovationen schaffen Neues, aber die sozialen und ökologischen Wirkungen sind nicht einfach kontrollierbar. Also doch bes-ser die Finger davon lassen und dem Status quo huldigen? Hinzu kommen theologische Anfragen: Darf der Mensch die Schöpfung verbessern? Oder doch zumindest seine Umwelt und Lebenswelt?

Wer die Geschichte von Theologie und Naturwissenschaften verstehen will, stößt auf mehr Wahlverwandtschaften, als die gegenwärtigen kontroversen Ethikdebatten vermuten lassen: Das ist die These von Eckart Roloffs verdienstvollem Buch mit dem Titel Göttliche Geistesblitze. In ihm präsentiert der Autor eine beeindruckende Fülle an technischen Erfindungen und naturwissenschaftlich inspirierten Theorien, die allesamt von Geistlichen entwickelt wurden. Am Beispiel von 23 evangelischen Pfarrern und katholischen Priestern zeigt Roloff überzeugend auf, dass insbesondere in der frühen Neuzeit Naturwissenschaft und Technik für viele Theologen sehr wohl ein "Erlebnis" darstellten, dem sie sich - zumeist neben ihren traditionellen Aufgaben als Seelsorger und Prediger - leidenschaftlich widmeten.

Erbsenzähler und Pionier

Da sind zunächst die Geistlichen, die es zu Weltruhm gebracht haben: Sebastian Kneipp (1821-1897), der "Gesundheitsapostel für Leib und Seele", und Gregor Mendel (1822-1884), der "als Erbsenzähler seiner Zeit voraus" war und als einer der Väter der Vererbungslehre gilt. Aber auch der Jesuit und Universalgelehrte Athanasius Kircher (1602 -1680) kommt bei Roloff ausführlich zu Wort. Kircher war ein Pionier auf so unterschiedlichen Wissensgebieten wie der Bakteriologie, Medizin, Akustik, Astronomie, Mechanik und Farbenlehre. Freilich war der "Kosmopolit aus der Rhön" bei allem wissenschaftlichen Interesse durchaus theologisch-spekulativ veranlagt. Sein großes Thema war der Magnetismus, den er als "Bauprinzip der Schöpfung" behauptete. Es ist nicht verwunderlich, dass bei vielen Theologen ihr kosmologisches und naturkundliches Forschen im Streben nach einer Formel gründete, die "die Welt im Innersten zusammenhält". Dabei wusste man sich durchaus auf der Höhe der Zeit, so zum Beispiel die "Theologen der Elektrizität" um den Pietisten Friedrich Christoph Oettinger (1702-1782), die versuchten, den inneren Zusammenhang zwischen der naturwissenschaftlichen und der christlichen Schau des Universums herzustellen.

Aber nicht nur "Weltformel-Sucher", sondern auch zahlreiche praktische Begabungen finden sich unter den Theologen. Besonders hervorzuheben ist der protestantische Pfarrer Jacob Christian Schäffer (1718-1790) aus Regensburg, der als der Erfinder der Waschmaschine gilt und darüber hinaus wegen seiner naturkundlichen Studien weltweit zu Ehren kam. Gerade bei ihm findet sich der segensreiche, praktisch orientierte Einfluss der Aufklärungstheologie.

Auf die Frage nach dem theologischen und sozialhistorischen Amalgam, das das Technikverständnis von Theologen in der frühen Neuzeit charakterisiert, finden sich in Roloffs Buch - mangels Forschung - freilich nur wenige Anhaltspunkte. Seine biographischen Skizzen sind für ein breiteres Publikum geschrieben und wollen vor allem zur eigenen "Spurensuche" einladen, wofür die Hinweise auf regionale Fundgruben am Ende jedes Kapitels hilfreich sind.

Eckart Roloff: Göttliche Geistesblitze. Pfarrer und Priester als Erfinder und Entdecker. Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2010, 337 Seiten, Euro 24,90.

Stephan Schleissing

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"