Mitten im Leben

Der Evangelische Erwachsenenkatechismus wurde neu bearbeitet und aufgelegt
Im Spiegel der Moderne ist Orientierung gefragt. Foto: dpa/www.bildagentur-online.com
Im Spiegel der Moderne ist Orientierung gefragt. Foto: dpa/www.bildagentur-online.com
Wer wissen will, was Protestanten glauben, ist mit dem Erwachsenenkatechismus gut beraten. Denn der verkündet nicht nur christliche Wahrheiten wie das früher Katechismen taten, sondern liefert Argumente, hat der Hannoveraner Theologieprofessor Joachim Track festgestellt.

Die Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) hat die achte neu bearbeitete und ergänzte Auflage 2010 des Evangelischen Erwachsenenkatechismus vorgelegt. Gegenüber früheren Auflagen des 1975 zum ersten Mal erschienenen Erwachsenenkatechismus hat die Neuauflage nicht nur ein neues Gewand, sondern ist auch in der inneren Struktur verändert.

Schon bisherige Auflagen hatten in den einzelnen Kapiteln mit einer Situationsanalyse begonnen, Einsichten und Erfahrungen aus dem wissenschaftlichen, philosophischen und allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs sowie aus Frömmigkeitspraxis, Kirche und Theologie aufgenommen und sich auf sie in der Entfaltung christlichen Glaubens, Lebens und Handelns bezogen. Dies wird in der Neuauflage des Erwachsenenkatechismus nun klarer und übersichtlicher strukturiert in einem Dreischritt: Wahrnehmung - Orientierung - Gestaltung.

Das Konzept von "Wahrnehmung und Orientierung" ist angelehnt an Paul Tillichs Methode der Korrelation, geht aber davon aus, dass nicht nur die Fragen der Menschen mit den Antworten des christlichen Glaubens in Beziehung gebracht werden sollen. Vielmehr ist man sich bewusst, "dass der christliche Glaube nicht für alle Probleme fertige Antworten hat".

Voller Dynamik

In den Kapiteln zur "Wahrnehmung" werden die Situation der Menschen, der Gesellschaft und der gesellschaftliche Diskurs mit seinen Fragen und Antworten wahrgenommen und mit "dem christlichen Glauben" in Beziehung gebracht. Zum anderen sind sich die Herausgeber auch bewusst, dass der christliche Glaube in sich selbst "vielgestaltig und voller Dynamik" ist. Das gilt nicht nur, wie die Herausgeber meinen, für den Glauben der Einzelnen, sondern das gilt nach meinem Verständnis auch für den gemeinsamen Glauben, der im Bekenntnis seinen Niederschlag gefunden hat. Auch hier zeigt sich die Vielgestaltigkeit und Dynamik in den unterschiedlichen Akzentsetzungen in der Auslegung der Bekenntnisse.

Das Konzept der "Gestaltung" wird in den einführenden methodischen Überlegungen nur benannt und interessanterweise nicht weiter entfaltet. Es findet sich aber eine ausführliche Begründung für Lebensführung und Handeln der Christinnen und Christen im Kapitel 4 "Leben in der Welt: Ethik", dort der Abschnitt 4.1. "Einführung zur Ethik".

Theorie der Lebensführung

Ethik wird in diesem Anschnitt näher bestimmt als eine Theorie der menschlichen Lebensführung, und das schließt alle Gestaltungen ein. Ethik erweist sich darin als eine Theorie, in der es vorrangig nicht um Information geht, sondern um Orientierung. Ethik setzt das Interesse an ethischen Fragen und die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme und Handlungsfähigkeit voraus. Aus christlicher Sicht ist der Mensch in seinem Handeln immer auf sich selbst, auf andere, den Nächsten, anderes, die Welt, und auf Gott bezogen.

Der Glaube ist Geschenk und das Werk des Glaubens entspringt aus dem Herzen, dem Zentrum der Person. Dadurch entsteht ein Bild des Handelns, in dem Glaube und Tun aufs engste miteinander verbunden sind. Der Glaube offenbart sein Wesen in der Liebe zu Gott und den Menschen. Aus dieser erwächst die Lust an den Geboten, die Lust, die Welt, das Miteinander, das eigene Leben zu gestalten. Solcher Glaube ist aber kein Besitz. Er muss uns - angesichts der Macht der Sünde - vielmehr immer wieder geschenkt werden. Der Erwachsenkatechismus beschreibt Ethik als Ethik der Freiheit. Ethik beschreibt, was wir nach Gottes Willen sind und sein sollen. So lauten die Überschriften: "Personen werden - Freiheit eines Christenmenschen", "Gemeinschaftsfähig werden" und "Handlungsfähig werden- Gerechtigkeit üben". Das sind die Grundlinien für alle Gestaltung.

Dieses Konzept der neuen Auflage des Erwachsenenkatechismus erweist sich als offenes, einladendes Orientierungs- und Gesprächsangebot, ein Angebot in evangelischer Freiheit und zur evangelischen Wahrnehmung von Freiheit.

Am Rande sei hier nur kritisch erwähnt, dass die Gliederung der Kapitel weniger einleuchtet. Sie folgt dem Glaubensbekenntnis, schiebt dann nach dem Kapitel zu Jesus Christus aber das Kapitel über die Ethik ein (Leben in der Welt: Ethik) und nach dem Kapitel über den Heiligen Geist das Kapitel über die Kirche (das Leben in der Kirche) mit verschiedenen Aussagen zur Gestaltung dieses Lebens in der Kirche und der Frömmigkeitspraxis.

Globalisierung der Religionen

Angesichts des Umfangs ist es unmöglich, den Inhalt der neuen Auflage des Evangelischen Erwachsenenkatechismus genauer vorzustellen. So kann hier nur an einem ausgewählten Abschnitt geprüft werden, wie argumentiert wird und wie sich dieses Konzept "evangelischer Freiheit" bewährt. Ich wähle dazu das aktuelle Thema "Gott und die Religionen".

Der Erwachsenenkatechismus geht davon aus, dass die moderne Medienlandschaft, der Ferntourismus, die Zuwanderung von Angehörigen nichtchristlicher Religionen die Vielfalt der Religionen und religiösen Vorstellungen in Deutschland stärker als früher ins Bewusstsein getreten ist. Die Globalisierung der Wirtschaft geht einher mit der Globaliserung der Religionen. Und das weckt Fragen: Sind die Grundmotive aller Religionen gleich, führen unterschiedliche Weg zum selben Ziel? Brauchen wir eine Weltreligion? Ist Religion eine überwundene Stufe der Menschheitsentwicklung?

In den unterschiedlichen Erwartungen und Hoffnungen, die sich mit den Religionen verbinden, lässt sich aber - so der Erwachsenenkatechismus - eine gemeinsame Grundfrage erkennen: Worauf kann ich im Letzten vertrauen?

So kann als Arbeitshypothese formuliert werden "Religion ist die gemeinschaftliche Antwort des Menschen auf Transzendenzerfahrung, die es in Ritus, Kult und Ethik gibt" (Theo Sundermeier). Religion sucht und versucht eine Deutung der Welt und des Menschseins, in der die alltäglichen Erfahrungsbereiche überschritten werden. So sucht man im Unfassbaren und Unverfügbaren einen Halt, der mit den Mitteln menschlicher Vernunft weder widerlegt noch bestätigt werden kann. Solche Unbedingtheitsansprüche begegnen uns aber auch in säkularen Bereichen, in manchen Formen der Zivilreligion, in der Politik und im Heiligenkult für politische Führer und im Kult um Sportereignisse oder Medienauftritte.

Verschiedene Modelltypen

Nach einer genaueren Analyse verschiedener Religionen (Islam, Hinduismus, Buddhismus, ethnische Religionen, neue religiöse Bewegungen) wendet sich der Erwachsenenkatechismus der entscheidenden Frage zu: Wie können der eigene und der fremde Glaube zueinander ins Verhältnis gesetzt werden?

Dabei lassen sich verschiedene Modelltypen unterscheiden: Illusionsmodelle gehen davon aus, dass es sich bei religiösen Aussagen um Wunschvorstellungen und Projektionen handelt, die nicht wahrheitsfähig sind und es folglich nicht sinnvoll ist, sich über Scheinprobleme zu streiten. Daran ist richtig, dass sich religiöse Vorstellungen und Erfahrungen nicht mit wissenschaftlichen Methoden eindeutig verifizieren lassen. Das hebt jedoch die existenziell erfahrene Wahrheit (Erschließungserfahrungen) von Menschen nicht auf.

Solche Erfahrungen gibt es auch im zwischenmenschlichen Bereich. Erfahren heißt, am eigenen Leibe erleben, spüren, fühlen, wie es ist. Und das erlebte Bekannte und erlebte Neue wollen verarbeitet, verstanden sein. Dies geschieht im Prozess der Erfahrung in zwei Schritten. Etwas, das wir erlebt haben, wird darin zu mehr als einem Gefühl, dass wir es von anderem unterscheiden, ihm einen Namen, eine Bedeutung geben. Wir interpretieren unser Erleben. Neues, Ungewohntes wird in Beziehung gebracht zu unseren bisherigen Erfahrungen und Einsichten.

Mut zu Erfahrungen

Innerhalb dieses Verständnisses von Erfahrung lassen sich religiöse Erfahrungen, und Gotteserfahrungen in ihrer Besonderheit, näher bestimmen: Gotteserfahrungen sind Erschließungserfahrungen. Wir alle wissen darum, dass es Schlüsselerfahrungen in unserem Leben gibt. Es gibt Situationen, in denen uns plötzlich unser Weg klar wird und wir sehen, was zu tun ist. Es gibt Schlüsselerfahrungen im Umgang mit anderen Menschen, wenn wir den anderen plötzlich verstehen, wenn uns ein Licht aufgeht und wir merken, was in einer Gruppe läuft.

Die Bibel redet vielfach von solchen Erfahrungen, in denen sich die Wirklichkeit Gottes erschließt. Erschließungserfahrungen schaffen neues Vertrauen und Gewissheit. In der Erfahrung Gottes wird die alltägliche, übliche Erfahrung aufgebrochen und transzendiert. Ich werde in der Erfahrung Gottes aufgeschlossen für die neue Begegnung, die mir von Gott her zukommt. Erfahrungen Gottes sind unmittelbare Erfahrungen. Diese sind Erfahrungen, die jeweils nur im Wahrnehmungsbereich der betroffenen Person liegen. Meine Trauer, meine Freude und meine Liebe zu einem anderen Menschen liegt unmittelbar nur in meinem Wahrnehmungsbereich. Und das schützt mich vor Irrtumsangriff. Denn wer will mir meine Erfahrungen bestreiten? Aber es erfordert auch Mut, zu meinen Erfahrungen zu stehen und meine Kompetenz, sie zu interpretieren. Zeigen kann ich meine Erfahrungen einem anderen nicht, aber interpretieren und leben, was sie für mich bedeuten.

Gott ist nahe und doch entzogen

Solche Unmittelbarkeit hat zwei Seiten. Auf der einen Seite ist mir die Erfahrung Gottes ganz nahe, oft näher als ich will. Die Liebe zu einem anderen Menschen, so sagen wir, ist über mich gekommen. Auf der anderen Seite ist sie mir auch entzogen. Ich habe meine Liebe nicht im Griff. So ist mir Gott nahe und doch entzogen. Das Illusionsmodell wird diesem Sachverhalt nicht gerecht.

Ein zweites Modell ist das exklusive Modell: Es geht davon aus, dass es außerhalb des Christentums keine gültige Gotteserfahrung und Wahrheit gibt. Dieses Modell nimmt aus christlicher Sicht zwar das Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes und zur Einzigkeit Jesus Christi ernst, übersieht aber die Universalität des Heilswillens Gottes und die darin begründete Möglichkeit von Gotteserfahrungen in anderen Religionen.

Das dritte, inklusive Modell gesteht anderen Religionen eine eigenständige Wertigkeit zu - bis hin zur Anerkennung als in einem relativen Sinn gültige Heilswege. In der Selbstoffenbarung des universalen Gottes in Jesus Christus aber sieht man die Erfüllung aller religiösen Suche. Hier droht eine Relativierung anderer religiöser Erfahrungen und eine Vereinnahmung.

Das vierte Modell ist ein pluralistisch-relativistisches Modell. In diesem Modell wird jeder für den christlichen Glauben erhobene exklusive Absolutheitsanspruch abgelehnt. Andere Religionen sind gleichberechtigt und von gleichwertiger Gültigkeit. Das erscheint den Forderungen nach Toleranz und dem Dialog zwischen den Religionen angemessener zu sein. Doch besteht hier die Gefahr, dass alles gleich gültig erscheint und damit gleichgültig wird.

Positioneller Pluralismus

Und gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Kann man einen klaren Standpunkt mit der Anerkennung der Vielfalt der Religionen verbinden? Im Erwachsenenkatechismus wird das versucht. Überlegungen von Wilfried Härle zu einem "positionellen Pluralismus" folgend, wird ein pluralistisch-positives Modell vertreten, in dem an der eigenen Wahrheitsgewissheit festgehalten, die andere Wahrheitsgewissheit aber geachtet wird und Dialog und Zusammenarbeit in gegenseitiger Achtung gesucht werden. Dass einer den eigenen Glauben für absolut wahr hält, ist nicht das Ende, sondern der Anfang des Dialogs (Hummel). Damit ist der Weg zur Begegnung und für ein gegenseitiges Glaubenszeugnis und besseres gegenseitiges Verstehen - und, wenn es gut geht, für Zusammenarbeit - geöffnet.

Ein Beispiel für die differenzierende Argumentation im Erwachsenenkatechismus aus und in evangelischer Freiheit. Es lohnt sich also, auf dieses Werk zurückzugreifen. Literatur

Evangelischer Erwachsenenkatechismus. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2010, 1020 Seiten, Euro 29,99.

Joachim Track

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