Laub über Sofabögen

Runges Morgen der Romantik: Kitsch oder tröstliche Kunst?
Philipp Otto Runge: Hund, der den Mond anbellt. Foto: bpk/Elke Walford und Christoph Irrgang
Philipp Otto Runge: Hund, der den Mond anbellt. Foto: bpk/Elke Walford und Christoph Irrgang
Philipp Otto Runge starb mit nur 33 Jahren im Dezember 1810 in Hamburg an der Schwindsucht. Seinem kunstreligiösen Anspruch geht eine großen Ausstellung in der Münchenener Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung nach.

Wir leben in einer Zeit, in der die Kunst der Religion den Rang abzulaufen droht. Ästhetische Erfahrungen haben bei den Gebildeten religiöse Bedeutung. Museums- und Konzertbesuch geht vor Gottesdienstteilnahme. Ästhetik als Ersatz für Religion oder ästhetische Religion? Das war auch schon vor zweihundert Jahren bei Philipp Otto Runge die Frage, der mit nur 33 Jahren im Dezember 1810 in Hamburg an der Schwindsucht starb. In einer großen Ausstellung unter dem Titel "Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik", die nach Hamburg nun auch in München (Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung) gezeigt wird, ist zu sehen, wie Runge seinen kunstreligiösen Anspruch umsetzte. Sein Credo lautete: "Kunst ist nur insofern etwas wert, wenn sie einen deutlichen Begriff unseres großen Zusammenhangs mit Gott gibt."

Andererseits will er eine Kunst schaffen, die Teil des bürgerlichen Lebens ist. Mit der "Leimrute" dekorativer Verzierungskunst will er sein Publikum einfangen "dass sie nur erst glauben, es wären bloß Zimmerverzierungen, hernach aber nicht mehr davon loskommen".

Das ist hübsch ehrlich gesagt, tendiert ins Kunstgewerbliche und ist doch etwas anderes, geht eher in Richtung Gesamtkunstwerk. Runge malte und zeichnete nicht nur, er schuf wunderbare Scherenschnitte (einen Hund, der den Mond anbellt ebenso wie einen Johannesknaben), auch Schattenrisse, ein damals sehr beliebter Kunstzeitvertreib, er erfand die Spielkarten mit den spiegelverkehrten Figuren, schuf Dekorationen für Opernvorhänge sowie eine malerische Sofabekrönung für den Hamburger Schwiegersohn von Matthias Claudius, Friedrich Perthes, betitelt "Mondaufgang". Dichtes Blattwerk liegt als Laub über den Sofabögen. Seitlich sitzen zwei blonde Knaben in dem Laub, der eine schlafend, der andere wachend, beide unter dem geschwungenen Stängel von Mohnblüten, die sich dem in der Mitte aufgehenden Vollmond zuwenden. Der Nachthimmel ist von einer durchscheinenden Helligkeit, ähnlich wie der Morgenhimmel auf anderen Bildern.

Das Paradies durch Malerei wiedergewinnen

Runge war ein Maler der Romantik, der durchaus fromm und gottgläubig war. Er wollte das verlorene Paradies durch Malerei wiedergewinnen, durch eine Farbreligion des Lichts.

Seine wenigen großen Gemälde haben etwas Programmatisches. Im "Kleinen Morgen" liegt ein Säugling strampelnd auf der Erde, während Aurora flammend in der Bildmitte in Erscheinung tritt und oben die Genien ätherisch über der Lichtlilie schweben. Auf dem Bild "Die Ruhe auf der Flucht" sitzt Maria unter einem herrlich blühenden Magnolienbaum anbetend vor dem Kind, das die ersten Strahlen der Sonne begrüßt, das Ganze vor einer idealisierten ägyptischen Landschaft. So wird bei Runge die Geburt des Gottessohnes zugleich zur Geburt einer neuen Malerei. Und doch ist die Bedrohung für die Flüchtlinge mit dem sorgenvoll dreinblickenden Joseph noch zu spüren.

Manche mögen diese kunstreligiöse Schönheit als kitschig empfinden. So erging es Samuel Beckett 1936 bei einem Besuch in der Hamburger Kunsthalle. Ein Mitarbeiter versuchte ihm Runge nahezubringen. Doch Beckett notierte in seinem jetzt erst veröffentlichten Tagebuch: "Ein ganzer Raum voll Quatsch, Eltern, die Ehefrau, Kinder und zwei rosenfingrige Morgenröten. Pfui." Mir aber ist der sanft tagende Morgenhimmel Runges trotz aller schlimmen Nachrichten über die Zerstörung der Ozonschicht oder gerade wegen ihnen doch ein Trost.

Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung

Hans-Jürgen Benedict

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Foto: privat

Hans-Jürgen Benedict

Hans-Jürgen Benedict war bis 2006 Professor für diakonische Theologie an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg. Seit seiner Emeritierung ist er besonders aktiv im Bereich  der Literaturtheologie.


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